Pharmazie
Der Knochen ist wahrlich kein totes Gewebe. Vielmehr wird er ständig
ab-, auf- und umgebaut, und dies ein ganzes Menschenleben lang. Auf sehr
lebendige Art zeigte Privatdozent Dr. Dieter Felsenberg vom
Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin dem Meraner Auditorium,
wie eng Struktur und Funktion des Knochens zusammenhängen.
Die Bausteine des Knochens erscheinen einfach: 70 Prozent anorganische
Mineralstoffe, davon 95 Prozent Hydroxylapatit, und 30 Prozent organische
Substanzen. Die organische Matrix besteht zu etwa 98 Prozent aus Kollagenen vom
Typ I; nur einen geringen Anteil nehmen spezifische Zellen ein. Doch Osteoblasten,
Osteoklasten und Osteozyten steuern den Auf- und Abbau des Knochens.
Die Knochenbildner, die Osteoblasten, kommen "wie Herdentiere" immer in
Clustern von 100 bis 400 Zellen vor. Sie bilden die Knochenmatrix (Osteoid), die
nach etwa zehn Tagen kalzifiziert. Ihre Plasmamembran enthält hohe
Konzentrationen an alkalischer Phosphatase, die bei der Matrixbildung und zur
Vorbereitung der Mineralisation freigesetzt wird und gemessen werden kann.
Wesentlicher größer sind die knochenabbauenden Osteoklasten, die aus der Zellinie
der Makrophagen-Monozyten stammen. Sie sind reich an lysosomalen Enzymen wie
saure Phosphatase und Kollagenase, "die den Knochen anknabbern". An der
Knochenoberfläche bilden sie Resorptionslakunen, die die Festigkeit des Knochens
beeinträchtigen.
Die dritten im Bunde, denen heute die Funktion eines Signalgebers zugesprochen
wird, sind die Osteozyten. Etwa 15 Prozent der Osteoblasten entwickeln sich zu
diesen Zellen, die von mineralisierter Knochensubstanz umbaut werden. Über
Fortsätze an ihrer Oberfläche bilden Osteozyten ein riesiges Netzwerk, in dem sie
Informationen austauschen. Änderungen des Flusses in den winzigen
Plasmaschläuchen geben das Signal für Knochenauf- und -abbau.
Doch wo wird ab- oder angebaut? Diese Prozesse folgen dem Wolff'schen
Transformationsgesetz, das der Radiologe so formulierte: Der Knochenaufbau folgt
seinen Funktionen. Das heißt: Wird der Knochen anders belastet und damit einem
anderen Druck als gewohnt ausgesetzt, zum Beispiel durch vermehrte körperliche
Aktivität und Sport oder durch Frakturen oder Arthrose, so paßt er sich diesen
Veränderungen durch An- oder Abbau oder Verlagerung des statischen Zentrums
an. Auf diese Weise kann sich ein falsch zusammengewachsener Knochenbruch
eines jungen Menschen im Laufe der Zeit wieder entsprechend seinen Tragachsen
ausrichten.
Ab- und Aufbau dienen aber auch der Reparatur von kleinsten Schäden (mikro
damages), die bei der Verformung von Knochen unter Druck entstehen. Dies erklärt
die Bedeutung des Muskels als wichtigem Stimulus des Knochenaufbaus, da die
Muskelkraft bei der Bewegung kurzfristig hohe Drücke erzeugt. Entscheidend dafür
ist die weiße, dynamische Muskulatur (Typ II), die für die schnelle plötzliche
Kraftausübung zuständig ist und durch Übungen und Sportarten trainiert werden
kann, die eine plötzliche hohe Kraftentfaltung verlangen. Diese Erkenntnisse werden
langfristig auch die Krankengymnastik verändern, prognostizierte Felsenberg in der
angeregten Diskussion. Und was ist mit den Schädelknochen? Die Dichte der
Schädelkalotte wird im Alter eher höher. Hier erzeuge allein die Mimik die nötigen
Drücke auf die Knochen. Felsenberg: "Wenn Sie mehr lachen, kriegen Sie keine
weiche Birne."
Körperliche Aktivität und die Mobilisierung älterer Menschen sind für die
Gesunderhaltung des Knochens elementar. Bereits nach vierwöchiger Immobilisation
ist ein deutlicher Knochenmasseverlust meßbar, nach vierzig Wochen kann die
Hälfte der Knochenmasse verloren sein. Ein kompletter Neuaufbau ist bei großen
Defiziten nicht möglich. Körperliche Aktivität soll auch die Gabe von Calcium und
Vitamin D begleiten, forderte der Arzt. Angesichts des sehr weit verbreiteten
Vitamin-D-Mangels, insbesondere in und nach den Wintermonaten und bei Senioren
in Heimen, sollte man allen älteren und alten Menschen die
Calcium-Vitamin-D-Ergänzung anbieten.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, Meran
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