Pharmazie
Impfungen im Kindesalter, Tumorbehandlung und virale Therapie bei
Kindern, Maßnahmen bei Notfällen in jungen Jahren und die Behandlung
des hyperkinetischen Syndroms sind typische Themen für den Pädiater, so
scheint es auf den ersten Blick. Daß dem nicht so ist, wurde am 21. und 22.
März in Mainz bei einer zentralen Fortbildung der Landesapothekerkammer
Rheinland-Pfalz deutlich.
Um das bislang erfolgreiche Konzept der Mainzer Fortbildungen fortzusetzen,
forderte Kammerpräsident Hartmut Schmall die Teilnehmer auf, sich selbst an der
Programmgestaltung zu beteiligen und Themenanregungen und Vorschläge für die
kommenden Veranstaltungen einzureichen.
Virale Infekte im Kindesalter
"Viele Viruserkrankungen sind in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, das gilt
jedoch nicht für die Atemwegserkrankungen", sagte Professor Dr. Dietrich Hofmann
vom Zentrum für Kinderheilkunde der Frankfurter Johann Wolfgang
Goethe-Universität. Das Problem bei viralen Infektionen sei, daß die größte
Ansteckungsgefahr (Virusausscheidung) meist deutlich vor dem Auftreten der ersten
Symptome und damit vor der Diagnose besteht. Umgekehrt gilt laut Hofmann: "Je
stärker die Symptome, desto weniger ansteckend ist der Infekt".
Kleinkinder sind nach seinen Worten am häufigsten von Atemwegsinfekten
betroffen. Der Cleveland-Studie zufolge leiden sie vier- bis fünfmal im Jahr unter
einer Infektion, bei Schulkindern ist dies, ähnlich wie bei Erwachsenen, nur noch
zwei- bis dreimal jährlich der Fall. Hofmann begründet diese Unterschiede mit der
noch nicht ausgereiften körpereigenen Immunabwehr bei Kleinkindern. Die
Konzentration an Immunglobulinen (IgG) betrage bei ihnen nur einen Bruchteil von
der bei Erwachsenen. Erst ab einem Alter von drei bis vier Jahren sei in der Regel
das Level der Erwachsenen erreicht.
Der Hypothese, Kinder erst mit vollständiger Entwicklung des Immunsystems in den
Kindergarten zuschicken, hält Hofmann eine andere Theorie entgegen. Die nämlich,
daß die seit den 70er Jahren zu beobachtende Verdopplung von kindlichem Asthma
und Allergien Resultat der "typischen 1-Kind-Familie" sei. Durch das
"Nicht-Durchmachen" von Infekten im Kleinkindalter könne es zur unvollständigen
Ausreifung der Immunabwehr mit den genannten Folgen kommen.
Als häufigste Erreger von Atemwegserkrankungen bei Kindern nannte Hofmann
RS-Viren (Respiratory Syncytial Virus), Rhinoviren sowie Parainfluenza- und
Influenzaviren. Letztere würden nach der Art ihrer Oberflächenproteine
Neuraminidase und Hämagglutinin (H) bezeichnet. Von Mensch zu Mensch
übertragbar seien nur H1, -2, -3 sowie H7 und -8. Immunität gegen einen grippalen
Virusinfekt werde nur durch spezifische Antikörper gegen den betreffenden Erreger
erreicht, stellte Hofmann mit Blick auf die oft und gern empfohlenen
Immunstimulantien klar. Diese stimulierten die unspezifische Abwehr und hätten bei
Viruserkrankungen praktisch keine Wirkung.
Als "unsinnig" tat der Kinderarzt die auf den Arzneiverordnungsreport
zurückgehende Empfehlung ab, Expektorantien wie Ambroxol durch hohe
Flüssigkeitszufuhr zu ersetzen. "Beim nicht-dehydrierten Kind führen große
Flüssigkeitsmengen zu nichts anderem als zu Diurese, vielleicht auch noch zu
Erbrechen." Er selbst habe gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Ambroxol bei
Kindern gemacht und empfiehlt es vor allem bei obstruktiven
Atemwegserkrankungen. N-Acetylcystein sei bei katarrhalischen Formen in den
zentralen Atemwegen sinnvoll, wenn ausreichend Husten-Clearance vorhanden ist.
Als zusätzliche Maßnahme bei viralen Infekten ist aus seiner Sicht nichts gegen alte
Hausmittel oder Phytotherapeutika (zum Beispiel Efeublätterextrakt) einzuwenden.
"Sie helfen ein bißchen", so Hofmann. Eher skeptisch beurteilt er die zu erwartenden
therapeutischen Effekte des Virustatikums Amantatin (Infex), das seit 1. April zur
Prophylaxe und Behandlung der Influenza A bei uns auf dem Markt ist.
Therapeutisch werde die Einführung keine zentrale Rolle spielen, wohl aber im
Hinblick auf die Prophylaxe, mutmaßt er.
Notfälle im Kindesalter
"Wirkliche Notfälle, bei denen infolge akuter Erkrankungen, Verletzungen oder
Vergiftungen vitale Funktionen gestört sind und akute Lebensgefahr besteht,
kommen im Kindesalter eher selten vor", betonte Professor Dr. Herwig Stopfkuchen
von der Kinderklinik der Mainzer Universität. Weitaus häufiger seien sogenannte
Akutfälle oder Notsituationen, zu denen er Krupp, Asthma, Fieberkrämpfe oder
Dehydratationen rechnet. Grundsätzlich sei in der Bundesrepublik ein sehr effizientes
Notfallsystem vorhanden, einzige Lücke sei die Zeit bis zum Eintreffen des
Notarztes.
Als eher seltene Notfälle nannte Stopfkuchen Intoxikationen oder Ingestionen. Nach
Angaben der Berliner Giftinformationszentrale stehen hier Produkte wie Waschmittel
oder Kosmetika mit 40 Prozent der Fälle ganz oben, gefolgt von Medikamenten mit
30 Prozent. Unter der Telefon-Nummer 030/19240 gehen bei der Berliner Zentrale
jährlich rund 50.000 Anrufe ein. Bei über 85 Prozent der Anrufe von Laien lautet
der Rat der Fachleute: "Keine Therapie erforderlich". Die Anamnese erhebt das
Beraterteam in Berlin anhand gezielter Fragen: "Wer, was, wieviel, wann, wie?". Mit
dabei ist auch immer der Hinweis an den Anrufer, die Originalpackung der
möglicherweise giftigen verschluckten Substanz aufzuheben.
Die Beratung besorgter Eltern richtet sich nach Aussage von Stopfkuchen nach dem
vermeintlichen Risikograd der Ingestion: In klar erkennbar harmlosen Fällen sei eine
Beruhigung der Eltern ausreichend; als erkennbar harmlos stuft der Kinderarzt
beispielsweise der Verzehr von wenigen Tabakkrümeln oder Ovulationshemmern
ein. Beim Verschlucken sicher subtoxischer Dosen einer Substanz sollte dennoch
immer zur genauen Abklärung bei einem Kinderarzt geraten werden; als Beispiel für
diese Risikokategorie nannte er das Verschlucken einer Zigarettenkippe oder einer
halben Zigarette. Bei allen Unklarheiten müsse sofort an die Kinderklinik verwiesen
werden; ein solcher Fall sei beispielsweise beim Verschlucken eines
Schilddrüsenhormon-Präparates durch ein Kleinkind gegeben.
Als Primärmaßnahme zur Giftentfernung bei leichten bis mittelschweren Vergiftungen
habe die Aktivkohle eine Renaissance erlebt, so der Mainzer Pädiater. In der ersten
Stunde nach Giftaufnahme werde zur Magenentleerung Ipecacuanha-Sirup
empfohlen (nicht bei Kindern unter 9 Monate, bei 9 bis 12 Monate alten Kindern 15
bis 20 ml); 1 bis 2 Stunden nach der Ingestion wird Aktivkohle zu Absorption des
Schadstoffs oder Ipecacuanha-Sirup empfohlen; 2 Stunden nach der Ingestion wird
nur noch die Gabe von Aktivkohle empfohlen, die Dosierung liegt bei 0,5g/kg KG
alle 4 Stunden.
Die Empfehlung zur Giftentfernung gilt laut Stopfkuchen nur für lange Wege bis in die
Klinik, bei Wegen unter 15 Minuten sollte man dies dem Notarzt überlassen. Wegen
des Risikos von Elektrolytstörungen dürfe in keinem Fall Kochsalzlösung verwendet
werden, um Erbrechen zu forcieren, betonte der Kinderarzt. Absolut kontraindiziert
sei jede Art der Erbrechensauslösung bei Vergiftungen mit ätzenden oder
waschaktiven Substanzen, mit organischen Lösungsmitteln, Benzin oder Sedativa
sowie bei Bewußtlosigkeit.
Als weiteres Beispiel für Akutfälle ging Stopfkuchen auf akute respiratorische
Störungen ein. Häufig, aber selten schwerwiegend sei das Krupp-Syndrom, eine
virale Entzündung des Kehlkopfes und der subglottischen Luftwege. Typische
Symptome sind bellender Husten und Tachypnoe (Einziehen beim Atmen). Mittel
der Wahl sei Adrenalin; aber auch Cortisolbehandlung, Sauerstoff oder Anfeuchten
der Atemluft werden eingesetzt. In der Regel komme es über Nacht zu einer
Besserung.
Deutlich seltener, aber gefährlicher als der Krupp ist nach Worten des Kinderarztes
die Epiglottitis (Schleimhautentzündung des Kehldeckels), die im Unterschied zum
Krupp meist mit Halsschmerzen beginnt. Als typische Symptome folgen dann
Schluckbeschwerden, Sabbern und sitzende Haltung der Kinder, die meist älter sind
als Krupp-Kinder. Bereits beim Verdacht auf Epiglottitis sei sofort eine
Klinikeinweisung erforderlich, in schweren Fällen sei die Lebensrettung der Kinder
nur durch Intubation möglich.
Zu den relativ verbreiteten pädiatrischen Akutfällen gehören laut Stopfkuchen die
Dehydratationen. Der Verlust von Wasser und Elektrolyten wird oft durch
Gastroenteritiden oder Dyspepsien verursacht, typische Symptome sind Durst,
Hautblässe, trockene Schleimhäute, kalte Extremitäten, in schweren Fällen auch
Tachykardien. Säuglinge sollten bereits bei leichter Dehydratation (Gewichtsverlust
von rund 5 Prozent) in die Klinik eingewiesen werden, hob Stopfkuchen hervor; bei
mittleren oder schweren Dehydratationen sollten Kinder unabhängig vom
Lebensalter in die Klinik kommen. Zur oralen Therapie werde
Glucose-Elektrolytlösung (beispielsweise Oralpädon 240, Eltrans et cetera)
eingesetzt, so Stopfkuchen, die Behandlung schwerer Dehydratation erfolge
intravenös mit Ringer-Lactat- und physiologischer Kochsalzlösung.
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Mainz
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