Diagnostik auf Leben und Tod |
03.06.2002 00:00 Uhr |
Pharmacon Meran 2002
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) zählt zu den Methoden der Pränataldiagnostik (PND), ist jedoch in Deutschland umstritten und verboten. "Die PID ist keine Routinemethode, auch nicht im Ausland, sondern befindet sich noch im experimentellen Stadium", stellte Dr. Dieter Schäfer, Oberarzt an der Humangenetischen Poliklinik der Uni Frankfurt, klar.
Sehr viele schwangere Frauen und ein Großteil der Gesellschaft akzeptieren die vorgeburtliche Diagnostik, zum Beispiel mit Ultraschall, Chorionbiopsie, Fruchtwasser- und Nabelschnurpunktion. Die Methoden sollen helfen, genetisch bedingte Krankheiten des Ungeborenen frühzeitig zu erkennen. Im Gegensatz zu den etablierten Verfahren ist eine PID nur nach künstlicher Befruchtung möglich, bevor die Frucht implantiert wird; beispielsweise bei einer In-vitro-Fertilisation (IVF) oder der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI), erläuterte Schäfer.
In jedem Fall werden zunächst reife Eizellen nach hormoneller Stimulation der Frau aus dem Follikel gewonnen. Bei der IVF werden sie dann im Reagenzglas mit Spermien zusammengebracht. Die aus der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entstandene Frucht wird später zurück in die Gebärmutter gespült. ICSI wird vor allem bei schweren männlichen Fertilitätsstörungen angewendet. Man braucht nur ein einziges Spermium, das in vitro direkt in die reife Eizelle gespritzt wird. Ist eine PID geplant, entnimmt man dem Embryo im Acht- bis Zehnzellstadium eine oder maximal zwei Zellen (Blastomere), deren Erbgut vervielfältigt und analysiert wird. Der Frucht schadet diese Prozedur meist nicht; sie kann implantiert werden. Im günstigen Fall entwickelt sich dann eine Schwangerschaft.
Welchen Sinn hat das mitunter als "Qualitätstest" bezeichnete Verfahren? Mit der PID kann man familiäre Chromosomenstörungen oder monogene Erbleiden frühzeitig aufdecken. Die Geschlechtsbestimmung kann aufschlussreich sein bei Erbleiden, die wie Duchenne´s Muskeldystrophie an das X-Chromosom gebunden sind. Häufig wird auch im Erbgut nach Schäden gefahndet, wenn die Eltern älter sind.
Werden Krankheiten oder Erbgutfehler entdeckt, steht die Frage im Raum, ob die Frucht verworfen oder implantiert werden soll. "Die PID ist immer mit Entscheidungen über Leben und Tod befasst", wandte sich Schäfer den moralischen Aspekten zu. Dabei komme dem Status des Embryo, dessen Schicksal untrennbar mit der Diagnostik verbunden ist, wesentliche Bedeutung zu.
Schäfer warf Fragen auf: Wann beginnt das menschliche Leben und ab wann ist es schützenswert? Ist ein abgestufter Schutz je nach Entwicklungsstadium sinnvoll? Wovon hängt es ab, ob ein Schwangerschaftsabbruch nach PND oder das Verwerfen der Frucht nach PID moralisch zu rechtfertigen ist? Sind die Schwere der Behinderung, die Lebensfähigkeit des Kindes, die Sicherheit der Diagnostik oder vielleicht sogar die Wünsche der Eltern maßgebend?
Auch die PID ist kein vollkommen sicheres Verfahren und kann falsch positive oder falsch negative Befunde liefern. "Darauf müssen wir eine Frau vor der Untersuchung hinweisen und mögliche Konsequenzen mit ihr besprechen", forderte der Arzt in der ausführlichen Diskussion. Leider geschehe dies auch bei der PND viel zu selten. Die Ärzte müssten informieren, welche Details eine diagnostische Methoden liefern kann, damit eine Frau entscheiden kann, ob sie dieses Wissen erfahren will. Druck von Seiten der Gesellschaft oder von Versicherungsträgern müsse ausgeschlossen sein.
Problematisch sind Diagnostik und darauf basierende Entscheidungen bei Erkrankungen, die zwar fast sicher, aber erst in höherem Lebensalter ausbrechen werden wie die Chorea Huntington, erklärte der Referent. Oder bei Mucoviszidose, deren Ausprägung nicht vorhersagbar ist. Oder bei Brustkrebs, für den zwar eine Disposition festgestellt werden kann, die aber nicht manifest werden muss.
Trotz der moralischen Bedenken, die Schäfer ansprach, sah er einen entscheidenden Vorteil der Diagnostik vor der Schwangerschaft: Sie helfe Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden.
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