Lernen, im Wohlstand zu leben |
03.06.2002 00:00 Uhr |
Pharmacon Meran 2002
Nach Meinung von Professor Dr. Heinrich Laube, Diabetologe aus Giessen, wird die Zahl der Diabetiker von heute rund 5 Millionen auf 7 bis 8 Millionen im Jahre 2015 steigen. Hochrechnungen gehen sogar davon aus, dass im Jahre 2025 über 10 Millionen Bundesbürger "zuckerkrank" sind. Diabetes bedeutet Verlust an Lebensqualität und Lebenserwartung, so der Experte. Die meisten Diabetiker sterben an einem Herzinfarkt auf Grund vaskulärer Gefäßveränderungen, die Folge von Endothelveränderungen beziehungsweise Dysfunktionen sind. Dazu kommt, dass viele Patienten nicht ausreichend therapiert werden.
Die Ausbildung eines metabolischen Syndroms sei Folge einer angeborenen, familiär vererbten, genetisch determinierten Insulinresistenz, die wahrscheinlich bei 30 Prozent der Bevölkerung vorliege, und einer reaktiven Hyperinsulinämie, die bei ausreichender kalorischer Versorgung zur Anlage einer visceralen oder Stammfettsucht zu einer sekundären, "exogen angefressenen" Insulinresistenz führe. Erst dadurch würde das klinisch manifeste Krankheitsbild, zusätzlich mit erhöhten Blutdruck- und Blutfettwerten, zu niedrigem HDL und einer Microalbuminurie, entstehen. Ein komplexes Krankheitsbild, das bei circa 30 Prozent der Bundesbürger vorliegt und im hohen Maße kardiovaskuläre Erkrankungen nach sich ziehe.
Die Ursachen der endogenen, genetisch bedingten, familiären Insulinresistenz seien irreversible und bisher wissenschaftlich noch nicht aufgeklärt. Die exogen angefressene Insulinresistenz hingegen sei Folge einer Down-Regulation der Insulinrezeptorfunktion und weitgehend reversibel.
Neue Erkenntnisse zum metabolischen Syndrom seien durch Beobachtungen gewonnen worden, dass ein niedriges Geburtsgewicht im späteren Leben zu einer höheren Prävalenz führt. Eine fetale Unterernährung präkonditioniere den Stoffwechsel offensichtlich auf ein Leben in Armut. Dies beruhe auf der Überlegung, dass beim Vorliegen einer Insulinresistenz mit Hyperinsulinämie und Adipositas ein Überlebensvorteil in der Evolution des Menschen bestand. In Zeiten eines Kohlenhydratmangels konnte durch eine gesteigerte Gluconeogenese die Gehirnfunktion und eine Schwangerschaft gesichert werden und durch eine gesteigerte Lipogenese mit visceraler Adipositas ein besserer Wärmeschutz und eine optimale Energiekonservierung erreicht werden.
In der heutigen Zeit des dauernden Überflusses scheint sich dieser Selektionsvorteil, so Laube, allerdings zum Nachteil umzukehren. Zur Beruhigung seiner weiblichen Zuhörer, wies der Referent in diesem Zusammenhang daraufhin, dass die gynoide Adipositas nichts mit dem metabolischen Syndrom zu tun hat und keine Gefahr bedeute.
Laube machte auch klar, dass die Krankheit nicht erst mit der Diagnose des Diabetes vom Typ 2 zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr beginne, sondern bereits mit Beginn der Pubertät. Deshalb sei es nötig, mit primären und sekundären Präventionsmaßnahmen in die Krankheitsentwicklung effektiv einzugreifen. Mit Aufklärung und Schulung könnten Ernährungsfehler Bewegungsmangel vermieden werden. Versage diese Prävention, könne nur noch mit einer frühen und aggressiven medikamentösen Behandlung vorgegangen werden, um drohende Organschäden zu vermeiden. Laut Laube helfen die Glitazone die Insulinresistenz einzudämmen. Die Pharmakotherapie des metabolischen Syndroms umfasse nicht nur die Blutzuckersenkung, sondern auch die Blutdrucksenkung vor allem mit ACE-Hemmern, die Senkung der Fettwerte mit Fibraten oder Statinen. An erste Stelle stehe aber die Änderung der Lebensgewohnheiten und das Lernen, im Wohlstand zu leben. Laube sprach sich entschieden gegen Überlegungen der AOK aus, über 65-Jährige nicht mehr behandeln zu wollen.
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