Vorsicht beim Verzehr von Muscheln |
18.04.2005 00:00 Uhr |
Fast jeder zweite, der in tropische oder subtropische Regionen reist, entwickelt eine Diarrhö. Damit steht diese Erkrankung in der Statistik der Reise-assoziierten Infektionserkrankungen weit vor der Malaria an erster Stelle
Eine Vielzahl von Erregern und Stoffen können Durchfall auslösen oder begünstigen. In den Hochrisikogebieten Lateinamerikas, Asiens oder Afrikas werden Diarrhöen zu über 70 Prozent durch Enterotoxin-bildende Escherichia coli (ETEC) verursacht. Eines der von ETEC produzierten Toxine hat eine hohe strukturelle Ähnlichkeit zum Choleratoxin. Es enthemmt in den Mucosazellen des Dünndarms die Adenylatzyklase. Das führt zu einem Konzentrationsanstieg von cAMP, wodurch in das Darmlumen verstärkt Bicarbonat-, Kalium- und Chloridionen abgegeben werden und gleichzeitig die Resorption von Natrium- und Chloridionen gehemmt wird. Starker Wasser- und Mineralsalzverlust über den Stuhl sind die Folge.
Auf ähnliche Weise lösen Salmonellen und Shigellen akute Durchfälle aus. Verglichen mit ETEC sind sie bei den Reisediarrhöen jedoch von untergeordneter Bedeutung. Ebenso geht von Vibrio cholerae für den Reisenden keine Gefahr aus, solange er sich nicht in ein Cholerarisikogebiet begibt. Auf Grund der niedrigen Virulenz führen erst 108 bis 1011 Keime zu einer Infektion. Die Choleraschluckimpfung aus Choleratoxin und abgetöteten Cholerabakterien, die seit Oktober letzen Jahres in Deutschland auf dem Markt ist, schütze zwar auch in gewissem Maß vor ETEC, sei jedoch nur zur Prophylaxe bei Reisen in endemische und epidemische Choleragebiete zugelassen, so der Referent.
Eindringlich warnte Ruf vor dem Verzehr von Toxinreservoiren wie Muscheln und Raubfischen. Das Gift, das Raubfische wie Barrakudas und Makrelen ungenießbar machen kann, ist das hitzestabile Ciguateratoxin. Es führt beim Menschen zu einer der häufigsten Fischvergiftungen mit heftigen Durchfällen, Lähmungen und allergischen Reaktionen.
Besonderes Augenmerk richtete der Mediziner auf die Arzneistoffklasse der Protonenpumpenhemmer. Patienten, die diese Substanzen einnehmen, reagieren auf Reisen empfindlicher gegen enterotoxische Krankheitserreger. Durch die verminderte Magensäureproduktion können pathogene Keime nur bedingt abgetötet werden.
Auch wenn 80 Prozent der Diarrhöen selbstlimitierend sind, ist die orale Rehydratationstherapie mit Elektrolyten, Glucose und Flüssigkeit zwingend notwendig. Spasmolytika, Adsorbentien und die Peristaltik hemmende Medikamente können im Bedarfsfall zusätzlich eingesetzt werden.
Während sich Ruf für eine Prophylaxe mit Saccharomyces boulardii aussprach, riet er von einer Notfallbehandlung damit ab. Derzeit fehlten verlässliche Daten, die eine Akutbehandlung mit den Hefen rechtfertigen.
Besteht der Durchfall in Verbindung mit Fieber und Bauchkrämpfen länger als drei Tage, so ist eine antibiotische Therapie notwendig. In Anbetracht der Resistenzsituation in vielen Urlaubsgebieten sollte der Reisende Antibiotika aber nur unter ärztlicher Kontrolle einnehmen.
Der Referent wies darauf hin, dass bei länger anhaltenden Durchfällen als Verursacher Parasiten wie Amöben und Lamblien ebenso in Betracht gezogen werden sollten wie orale Antidiabetika, Antibiotika oder Antazida. Erkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa können auf einer Tropenreise exazerbieren und sich manifestieren. Selbst Schilddrüsenüberfunktion und eine Pankreasinsuffizienz können mit Durchfällen einhergehen. Diarrhöen, die länger als ein Woche bestehen, müssten daher durch einen Arzt differentialdiagnostisch abgeklärt werden.
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