Pharmazie
COX-II-Hemmer kritisch
hinterfragen
PZ-Interview
In diesem Jahr ist der erste
Vertreter aus der Gruppe der nichtsteroidalen
Antirheumatika auf den Markt gekommen, der von sich in
Anspruch nimmt, bevorzugt die Cyclooxygenase II (COX II)
zu hemmen. Inwieweit dieses Konzept aufgeht, fragte die
Pharmazeutische Zeitung Professor Dr. Kay Brune aus
Erlangen.
PZ: Herr Professor Brune, sie beschäftigen sich
seit über 20 Jahren mit Wirkungen und Nebenwirkungen der
nichtsteroidalen antiphlogistischen Analgetika (NSA).
Meloxicam soll der erste selektive COX-II-Hemmer auf dem
Markt sein. Was halten Sie davon?
Brune: Die Entdeckung unterschiedlicher
Cyclooxygenasen (COX I und COX II) hat neue
Forschungsansätze eröffnet. Zunächst wurde angenommen,
daß die COX I in allen Geweben konstitutiv vorkommt und
dort das Equilibrium reguliert. Die COX II sollte nur in
pathologisch verändertem Gewebe gebildet werden und dann
für einen Teil der Symptome verantwortlich sein.
Konsequenz: Eine selektive Hemmung der COX II würde zwar
Entzündungen und Schmerzen kupieren, nicht aber zu
Schäden der Magen-Darm-Schleimhaut, der Niere und zu
Gerinnungsstörungen führen. Diese Hypothese hat sich
leider nicht bestätigt. Die bisher entwickelten reinen
COX-II-Hemmer waren entweder nicht antiphlogistisch
wirksam oder toxisch. Außerdem züchteten Forscher
Mäuse, die entweder keine COX I oder keine COX II hatten
(sogenannte COX-I-K.O.- oder COX-II-K. O.-Mäuse).
Überraschenderweise zeigten die COX-I-K.O.-Mäuse keine
Auffälligkeiten. Sie waren sogar in der Lage,
Entzündungen zu bekommen. Indometacin führte zu
Ulcerationen. COX-II-K.O.-Mäuse hingegen starben
embryonal an Nierenschäden. Dies weist darauf hin, daß
die COX II auch entscheidende regulatorische Funktionen
bei der Entwicklung des Organismus haben muß.
PZ: Heißt das, daß die selektive
Hemmung der COX II nicht als therapeutischer Fortschritt
gewertet werden kann, sondern vielleicht sogar neue
Gefahren impliziert?
Brune: So apodiktisch würde ich das zur
Zeit nicht sehen. Alle auf dem Markt befindlichen NSA
hemmen beide Enzyme etwa gleich stark. Sucht man sich
besondere Zell- oder Enzymsysteme aus, so kann eine
gewisse Dominanz der COX-I- oder COX-II-Hemmung
auftreten. Ob diese In-vitro-Systeme aber die
In-vitro-Realität reflektieren, ist fraglich. Ich
glaube, momentan haben wir noch keine abgesicherte
Möglichkeit zu entscheiden, ob eine wirklich selektive
Hemmung der COX II einen klinischen Vorteil mit sich
bringt.
PZ: Meloxicam, Nabumeton, Nimesulid
sollen sich aber nach Herstellerangaben durch relativ
geringe gastrointestinale Nebenwirkungen auszeichnen.
Weist das nicht doch darauf hin, daß eine geringe
COX-I-Hemmung bei gleichzeitig starker COX-II-Hemmung
therapeutisch nützlich ist?
Brune: Auch dieser Rückschluß ist aus
meiner Sicht nicht zwingend. Nabumeton ist ein Prodrug,
das bei vielen Menschen nicht in therapeutisch
ausreichender Dosis in die eigentliche Wirksubstanz
umgewandelt wird. Das Nimesulid wird zwar erfolgreich
angewandt, seine Bioverfügbarkeit ist aber variabel.
Meloxicam ist nur in Studien des Herstellers getestet.
Trotzdem zeigen Gegenüberstellungen der letzten Jahre,
daß möglicherweise die gastrointestinalen Wirkungen nur
etwas geringer sind als zum Beispiel bei dem strukturell
ähnlichen Piroxicam. Auf der anderen Seite ergeben diese
Studien ein erhebliches Risikopotential von Meloxicam auf
dem Gebiet der allergischen Reaktionen und der
ZNS-Effekte.
PZ: Was soll der Pharmazeut seinem Arzt
raten?
Brune: Der Arzt kann auf ein breites
NSA-Spektrum zurückgreifen. Sie unterscheiden sich kaum
in ihren Nebenwirkungen und ihrer maximalen Wirkstärke.
Einige sind wenig potent (Ibuprofen), aber auch wenig
toxisch. Andere sind hochpotent (Piroxicam), aber auch
toxischer. Schließlich gibt es solche mit kurzer
Halbwertszeit (Diclofenac) und solche mit extrem langer
(Tenoxicam). Hier kann der Arzt frei wählen. Dieses
Spektrum wird durch die Neueinführung Meloxicam (potent,
Halbwertszeit von circa 20 h) ergänzt. Es bleibt der
Klinik überlassen, die empfohlene Dosis (7,5 mg), die
empfohlene Anwendung (einmal täglich) und die vermutete
geringere gastrointestinale Toxizität kritisch zu
hinterfragen.
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Eschborn
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