Ansatzpunkte für die Therapie |
23.11.1998 00:00 Uhr |
Pharmazie
Bei der Neurodermitis ist nicht nur die Reservoir-, sondern auch die Barrierefunktion
der Hornschicht sowie das Verhältnis der Lipide zwischen den Hornzellen gestört,
betonte Professor Dr. Wolfgang Wohlrab aus Halle. Die Wasserbindungskapazität
der Haut ist gering, so der Referent, der die Bedeutung von Harnstoff als
Moisturizing-Faktor beim atopischen Ekzem hervorhob. Der Wirkstoff, der zur
Keratolyse und Hydratisierung des Stratum corneum führt, besitze einen
antipruriginösen Effekt und antibakterielle Wirksamkeit, zudem wirke er nicht
allergisierend.
In der externen Therapie der Neurodermitis komme Harnstoff eine immer wichtigere
Rolle aufgrund verbesserter Kenntnisse der Eigenschaften und der Pharmakokinetik
zu. Der Referent verwies auch auf die verbesserte Hydrocortison-Penetration durch
Harnstoff. So könne man mit geringeren Hydrocortison-Konzentrationen den
gleichen therapeutischen Effekt erreichen. Generell käme in der Dermatologie der
Grundlage im Vergleich zum Wirkstoff immer mehr Bedeutung zu.
Von der gestörten Barriere, die sich schon makroskopisch zeigt, sprach auch
Privatdozent Dr. Dietrich Abeck, München. Auch er hob die Bedeutung
wirkstofffreier Grundlagen und Ölbäder als Basisbehandlung zur Wiederherstellung
der gestörten Barrierefunktion hervor. In seiner Klinik werde seit vier Jahren nicht
mehr mit Harnstoff gearbeitet, da Kleinkinder das Brennen des Wirkstoffes nicht
tolerieren.
Topische Corticoide, speziell Prednicarbat, Hydrocortisonaceponat und
Mometasonfuroat, seien noch immer Mittel der ersten Wahl zur Behandlung der
Entzündung. Die Haut sei unmittelbar nach dem Ölbad besonders aufnahmebereit.
Patienten sollten das Präparat möglichst abends aufgetragen, da der Juckreiz dann
am stärksten ist, so Abeck. Als nichtsteroidales Antiphlogistikum komme trotz
Auftreten schwerster Kontaktekzeme in ein bis zwei Prozent der Fälle Bufexamac
zum Einsatz, sagte der Referent, der als Alternative auch die Teer- und
Ammoniumbituminosulfat-haltigen Externa erwähnte.
Staphylococcus aureus gehört bei Neurodermitis zur Hautflora, so Abeck. Er sprach
von einer großen Assoziation des Erregers mit dem atopischen Ekzem.
Cephalosporine der ersten Generation wie Cefalexin und Cefadroxil könnten als
Mittel der Wahl zur systemischen Therapie eingesetzt werden. Die lokale
Applikation von Gentianaviolett 0,3 Prozent bessere die Neurodermitis und
korreliere mit der Abnahme der Keimzahl von Staphylococcus aureus. Als
Alternative könne die Haut unter anderem mit Triclosan und Chlorhexidin gepflegt
werden. Man wisse noch zu wenig über die Nebenwirkungen der UV-A1-Therapie,
deshalb könne diese nicht als Standard bei Kindern gelten.
Eine deutliche Besserung der Neurodermitis-Symptome und eine Reduktion der
Keimzahl sei mit feuchten Umschlägen unter Zusatz von 0,5 Prozent Chlorhexidin zu
erzielen. Moderne Antihistaminika wie Cetirizin, Loratadin und Terfenadin "bringen
wenig oder gar nichts", so Abeck. Aufgrund ihrer sedierenden Wirkung zeige der
Einsatz von Doxylamin, Dimetinden und Hydroxyzin mehr Erfolg. Es sei Aufgabe
des Arztes, auf die jeweiligen Bedürfnisse des Patienten einzugehen.
Von einem ständigen Dialog zwischen Immunsystem und Psyche sprach Professor
Dr. Thomas Bieber, Bonn, der die Präsenz von IgE-Molekülen und hochaffinen
IgE-Rezeptoren an epidermalen Langerhans-Zellen als Ausgangspunkt einer neuen
wissenschaftlichen Theorie schilderte. Bieber verwies auf die Rezeptor-vermittelte
Neu-Synthese und Freisetzung zahlreicher Entzündungsmediatoren. Die
Rezeptor-Expression korreliere mit dem IgE-Spiegel im Blut.
Um die Aktivität der Langerhans-Zellen zu hemmen, sollten Allergene gemieden
werden. Die konsequente Sanierung von Teppichböden und Möbeln, die von
Hausstaubmilben besiedelt sind, könne den Schweregrad einer Neurodermitis
signifikant verbessern. Die Langerhans-Zellen könnten außerdem durch
UVB-Bestrahlung und Steroide positiv beeinflußt werden.
Mit einer Revolution in der Dermatologie sei durch den Einsatz der Makrolide und
Immunsuppressiva FK 506 und SDZ ASM 981 zu rechnen. FK 506, erstmals vor
zehn Jahren aus Streptomyces tsukubaensis isoliert und als Tacrolimus zur
Behandlung einer manifesten Transplantatabstoßung nach Nierentransplantation im
Handel, könne ein atopisches Ekzem hemmen. Studien zeigen, daß die
Rezeptor-Expression durch FK 506 komplett herabreguliert wird, so Bieber. Er
betonte, daß es durch die topische Therapie mit FK 506 auch zu einer kompletten
Remission der Hautveränderungen im Gesicht- und Halsbereich komme.
Trotz möglicher Nebenwirkungen wie Herpes-Infektionen und Brennen der Haut bei
erstmaliger Applikation sei mit positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität der
Betroffenen zu rechnen. Als mögliche weitere Indikationen neben der Neurodermitis
nannte Bieber Psoriasis vulgaris, chronisches Ekzem, Alopecia areata und Lichen
ruber planus. Langzeiteffekte blieben abzuwarten, räumte der Referent ein. Man
müsse noch lernen, mit der Substanz umzugehen.
Betroffene wünschen sich mehr Verständnis, Sensibilität und Rücksicht, auch von
den behandelnden Ärzten. Das zeigte ein Rollenspiel mit Betroffenen. Die
Psychologin, Professor Dr. Gabriele Niebel, Kiel, zeigte auf, daß
Neurodermitis-Patienten unter Attraktivitätsverlust leiden und die negativen
Reaktionen anderer fürchten. Die Erkrankung habe Auswirkungen auf
Haushaltsführung, Mobilität, soziale Interaktionen, Freizeit, Arbeit, Partnerschaft und
Sexualität.
Der Patient müsse lernen, mit Streß umzugehen. Er müsse Selbstvertrauen gewinnen,
Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit reduzieren, Aberglaube und Schuldgefühle
abbauen und auf Rückfälle vorbereitet sein. Niebel stellte verschiedene
Komponenten der Schulungsprogramme vor, zum Beispiel Progressive
Muskelentspannung sowie Streß-Management-Methoden, die sich auch bei
aufmerksamkeitsgestörten Kindern bewährt hätten.
Eine hohe Hauttemperatur, hohe Umgebungstemperaturen, Feuchtigkeit und
Schwitzen, Veränderung der Blutzirkulation, niedrige Adrenalinsekretion, Mangel an
körperlicher Aktivität, langes Sitzen und Arzneimitteleinnahme sind objektive
Bedingungen, die die Juckreizschwelle senken können, sagte Niebel. Depressive
Stimmungslage, Müdigkeit, psychisches Trauma, chronischer Streß, Konfrontation
mit belastender Thematik, unstrukturierte Aufgabenstellung, mentale Belastung sowie
Aufmerksamkeitslenkung auf die Haut seien subjektive Faktoren, die dazu führen,
daß Neurodermitiker leichter einen Juckreiz empfinden.
PZ-Artikel von Christiane Berg, Damp
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