Pharmazie
Die europäische Einigung macht auch vor Arzneimitteln nicht halt. Was
im Zuge der EU-Anpassung auf die Hersteller pflanzlicher Präparate
zukommt, was das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung zur Zulassung
von Phytopharmaka in der EU mit sich bringt, war Gegenstand eines
Seminars mit internationalen Experten, das der Bundesverband der
Pharmazeutischen Industrie (BPI) am 6. Oktober in Frankfurt veranstaltete.
Gut eine Woche zuvor hatte sich bereits die Gesellschaft für Phytotherapie
in Bonn mit diesen Fragen beschäftigt.
Als "Thema mit Nachholbedarf" bezeichnete Dr. Axel Sander, Geschäftsführer im
Bereich Recht des BPI, die Stellung der pflanzlichen Arzneimittel. Und Marie
Donnelly von der Industry European Commission in Brüssel beklagte: "Wir müssen
zur Zeit mit dem leben, was wir in der Hand haben." Gemeint ist die momentane
Rechtsgrundlage zu Phytopharmaka in der EU, die nach Expertenmeinung durchaus
noch überarbeitungsbedürftig ist. So fehlt es nach Einschätzung der EU-Kommission
unter anderem noch an verläßlichen Parametern zur Beurteilung von Wirksamkeit,
Qualität und Sicherheit pflanzlicher Arzneimittel. Zur Überprüfung der bereits
vorhandenen EWG-Richtlinien und zur Erarbeitung eines gemeinsamen Konzepts
wurde deshalb die Ad-hoc-Arbeitsgruppe "Herbal Medicinal Products" ins Leben
gerufen.
Mindestens fünf Jahre bis zu einer Änderung
Mit einer Modifizierung der rechtlichen Bestimmungen rechnet Donelly allerdings
nicht vor dem Jahr 2002. Derzeit laufe eine Studie zum gegenseitigen
Anerkennungsverfahren, ein Bericht dazu sei jedoch frühestens Anfang 1999 zu
erwarten, ein Änderungsvorschlag wahrscheinlich erst im Jahr 2000, schätzt sie.
Hinzu kämen vermutlich weitere zwei Jahre bis dieser den Europäischen Rat passiert
habe. Zur Rechtslage im einzelnen: Nach den vorhandenen EWG-Richtlinien gelten
für pflanzliche Fertigarzneimittel die gleichen Bedingungen wie für alle anderen
Fertigarzneimittel auch. Einzige Ausnahme sind die homöopathischen Präparate, für
die nach EU-Recht das gegenseitige Anerkennungsverfahren keine Anwendung
findet. Dr. Konstantin Keller vom Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) und Leiter der Ad-hoc-Arbeitsgruppe "Herbal Medicinal
Prodructs" der EMEA, faßte in Frankfurt die Grundlagen der EU-Zulassung von
Phytopharmaka zusammen.
Es gibt - anders als nach bundesdeutschem Recht - keine Sonderregelungen im
Sinne von "besonderen Therapierichtungen", und es gibt auch keine
"EU-Kommission E", betonte Keller. Die Verantwortung für die
Zulassungs-Dossiers von Phytopharmaka liege damit im Bereich der EU allein beim
Antragsteller. Die Anforderungen seien die gleichen wie für alle anderen Arzneimittel
auch. Untersuchungen zu Qualität, Toxikologie, Pharmakologie und Klinik sind somit
auch für pflanzliche Arzneimittel Pflicht, wenn sie nicht bereits in anerkannten
wissenschaftlichen Studien publiziert wurden.
Was sich ab Januar 1998 ändert
"Ab Anfang nächsten Jahres kann ein Unternehmen entscheiden, ob es für sein
Produkt die Zulassung im gegenseitigen Anerkennungsverfahren in der EU anstreben
möchte", erinnerte Donelly. Ist dies der Fall, muß der Antragsteller allen betroffenen
Mitgliedstaaten identische Zulassungsanträge vorlegen. - Umgekehrt ist ab dem 01.
Januar 1998 für ein Produkt, das die nationale Zulassung in einem EU-Land hat, mit
dem gleichen Dossier keine weitere nationale Zulassung in einem anderen EU-Land
mehr möglich, betonte Keller. Dies könne dann nur mit einem geänderten Dossier
erfolgen. Grundlage des gegenseitigen Anerkennungsverfahrens in der EU ist
zunächst die nationale Zulassung in einem Referenzland. Der Antrag auf Zulassung in
einem oder mehreren weiteren Mitgliedstaaten erfolgt dann mit Bezugnahme auf
diese Erstzulassung (identisches Dossier, identische Gebrauchs- und
Fachinformation). Die Zulassungsanerkennung der weiteren Mitgliedstaaten muß
innerhalb von 90 Tagen stattfinden.
Wesentliche Determinanten in dem Anerkennungsverfahren sind laut Keller Struktur
und Inhalt der Dokumentation, die mit den EU-Vorgaben konform sein müssen,
sowie die Ergebnisse eines Expertengutachtens, das diese Angaben kritisch
zusammenfassen soll. Als Hilfsmittel für die Erstellung der Zulassungsdossiers ging
Keller auf die von der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP)
erarbeiteten Monographien ein, die mittlerweile für 50 Arzneipflanzen die
vorhandene Literatur auflisten. Die Literaturangaben der ESCOP-Monographien
seien jedoch kein Ersatz für eigene Untersuchungen, betonte er; die Datendichte
variiere zum Teil erheblich, und für die Inhalte des Zulassungsantrags sei allein der
Antragsteller verantwortlich.
Erste Erfahrung mit der Anerkennung
"Das Verfahren kann dazu beitragen, daß ein Produkt schneller in verschiedenen
Ländern auf den Markt kommt", resümierte Zinck; allerdings habe es durch die
Einspruchsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Anwendungsgebiete
eher einschränkende Wirkung. Als positiv wertete Zinck die "horizontale
Harmonisierung wirkstoffgleicher Produkte in Europa" infolge des gegenseitigen
Anerkennungsverfahrens. Auf der anderen Seite sei jedoch "eine vertikale
Disharmonisierung der Produkte auf nationaler Ebene" zu befürchten.
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Frankfurt
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