Pharmazie
Die Arzneimittelforschung von morgen kann nicht mit den Methoden von
gestern arbeiten. Ohne Gentechnik, roboterisiertes
Hochkapazitätsscreening und computergestütztes Design von Molekülen sei
die Entwicklung neuer Medikamente nicht mehr vorstellbar, sagte Professor
Dr. Bernd Wetzel, Boehringer Ingelheim, auf dem Fortbildungskongreß der
Bundesapothekerkammer (BAK) in Westerland.
Die Gentechnik spielt dabei auf verschiedenen Ebenen der Arzneistoffentwicklung
eine entscheidende Rolle. Zum einen dienen gentechnisch veränderte Bakterien oder
Säugetierzellkulturen als Produktionsstätten für menschliche Proteine, wie
Erythropoetin, ß-Interferon oder Wachstumsfaktoren. In ausreichender Menge und
zu einem vertretbaren Preis sind solche rekombinanten Arzneistoffe nur auf diese
Weise herzustellen. Heute haben rekombinante Proteine nach Wetzels Angaben
einen Anteil am Pharmamarkt von rund sieben Prozent. Bis zum Jahr 2000 werde
dieser Anteil auf 15 Prozent steigen, erwartet er.
Für noch wichtiger als die gentechnische Produktion von Medikamenten hält Wetzel
jedoch den Einsatz der Gentechnik bei der Erforschung von Krankheiten. Das
bessere Verständnis pathophysiologischer Zusammenhänge sei vor allem dieser
Methode zu verdanken, sagte Wetzel. So seien transgene oder Knock-out-Tiere
hervorragende Modelle für bislang nicht ausreichend untersuchte Krankheiten. Als
transgen werden Tiere bezeichnet, in deren Erbsubstanz ein artfremdes Gen
eingeschleust wurde. Bei Knock-out-Tieren wurde ein Gen gezielt ausgeschaltet.
Forscher können so an diesen Tieren untersuchen, welche Gene am Ausbruch einer
Krankheit beteiligt sind und wie das Krankheitsgeschehen beeinflußt werden kann.
Krankheiten ließen sich in vielen Fällen durch gestörte interzelluläre
Kommunkationsprozesse erklären, so Wetzel weiter. Die Stellen, an denen die
Kommunikation gestört ist, seien vielversprechende Zielmoleküle (Targets) für neue
Arzneistoffe. Die Aufklärung der Informationswege sei ebenfalls ohne die
Gentechnik nicht denkbar.
Von der Targetfindung zur Leitsubstanz
Mit dem besseren molekularen Verständnis von Krankheiten ist auch die Zahl
attraktiver Zielmoleküle gestiegen. Wetzel hat hier in den vergangenen Jahren eine
rasante Entwicklung registriert: "Wir verfügen heute über Targets, von denen wir vor
ein paar Jahren nur träumen konnten."
Wenn eine vielversprechende Zielstruktur gefunden wurde, beginnt das Screening
nach einer Leitsubstanz. Diese Arbeit ist mittlerweile weitgehend automatisiert und
wird von Robotern erledigt, die Hundertausende Proben pro Jahr screenen können.
Bei diesem Hochkapazitätsscreening wird die Wirkung von Substanzen in
molekularen oder zellulären Systemen getestet, die mit rekombinanten Molekülen
oder gentechnisch veränderten Zellen arbeiten. Wenn auf diese Weise eine
Leitsubstanz gefunden wurde, machen sich in den Firmen die Chemiker daran, die
Wirksamkeit des Moleküls zu verbessern. Dieser Prozeß werde Rational Drug
Design genannt, so Wetzel. Mit Hilfe von Kristallographie, NMR-Spektroskopie
und leistungsfähigen Computern wird untersucht, wie gut die Leitsubstanz an die
Zielstuktur bindet und wie sie verändert werden muß, um noch effektiver die
Funktion dieses Moleküls zu blockieren oder wiederherzustellen.
Beim Rational Drug Design werden Liganden der Leitsubstanz abgespalten,
ausgetauscht oder hinzugefügt, bis die Forscher mit der Wirkung der Substanz an
der Zielstruktur zufrieden sind. Oft genug scheide ein Molekül jedoch an dieser
Stelle aus dem Entwicklungsprozeß aus, weil sie es nicht in gewünschter Weise
verändert werden kann, stellte Wetzel fest. Aber es gebe auch positive Beispiele.
Ein spektakulärer Erfolg der Drug-Designer war die Entwicklung der
Protease-Inhibitoren für die Aids-Therapie.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Westerland
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