Pharmazie
Lange warteten die Deutschen auf den Sommer, vor zwei Wochen war es
endlich soweit. Die Hitzewelle ließ uns nicht nur kräftig schwitzen, das Hoch
Carlos heizte auch die Diskussion um erhöhte Ozonwerte an. Wie und durch
was entsteht das reizende Gas, wem schadet es am meisten, und was können
wir dagegen tun?
Schon früh fiel Menschen nach Blitzschlägen ein eigentümlicher Geruch auf. 1839
berichtete Christian Friedrich Schönbein über die Entdeckung eines neuen Stoffs,
der sich bei der Elektrolyse von Wasser an positiven Platin-Elektroden neben
Sauerstoff bildete. Er gab der Verbindung den Namen Ozon, nach dem
griechischem ozien (riechen).
Ozon, eine Verbindung aus drei Sauerstoffatomen, birgt Gefahren: Es ist unsichtbar
und extrem giftig. Je nach Konzentration riecht es würzig, metallisch oder stechend.
Neben seiner schädlichen Wirkung auf Menschen und Pflanzen greift es auch
Materialien aus Kunststoff und Metall an. Da Ozon Bakterien und andere
Organismen abtötet, dient es auch zur Desinfektion von Operationsräumen und
Trinkwasser.
So wichtig das Gas als Strahlenfilter in höheren Luftschichten ist, so sehr schadet es
Menschen, Tieren und Pflanzen in der Troposphäre. Bodennahes Ozon entsteht in
verschmutzter Luft durch photochemische Reaktionen. Neben flüchtigen organischen
Verbindungen (VOCs), Kohlenmonoxid und Methan reagieren vor allem Stickoxide
bei intensiver Sonneneinstrahlung mit Sauerstoff. Ozon wird deshalb als sekundärer
Schadstoff bezeichnet. Das Umweltgift ist aufgrund seiner hohen Konzentration die
Leitsubstanz des lichtabhängigen Schadstoffcocktails. Zusätzlich entstehen
Photooxidantien wie Peroxyacetylnitrat, Wasserstoffperoxid, Aldehyde und
organische Säuren.
Die Ozonkonzentration steigt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: reichlich
Stickoxide und flüchtige VOCs in der Luft, intensive Sonnenstrahlung und eine
stabile Schönwetterperiode. Bei der Photolyse spaltet sich ein O-Atom vom
Stickstoffdioxid ab und reagiert mit Sauerstoff zu Ozon. Entscheidend ist, daß sich
das Monoxid schnell wieder in Dioxid zurückbildet, um für eine erneute
Ozonsynthese zur Verfügung zu stehen. Die NO
2-Photolyse ist also der Motor der
Ozonbildung, die flüchtigen organischen Verbindungen sorgen als Treibstoff für
ausreichend NO
2.
Stickstoffmonoxid reagiert aber auch mit Ozon, das dann abgebaut wird. Es bildet
sich O
2 und NO
2. Deshalb werden an besonders verkehrsreichen Straßen niedrigere
Ozonwerte als am Stadtrand und in ländlichen Gebieten gemessen.
Autos emittieren Löwenanteil
Rund 60 Prozent der Stickoxide (NOx) werden im Straßenverkehr produziert.
Gerade Fahrzeuge ohne moderne Abgastechnik stoßen große Mengen an NOx aus.
Der Rest stammt überwiegend aus Feuerungsanlagen, die fossile Energieträger zur
Wärmegewinnung und Stromversorgung verbrennen. VOCs werden zu mehr als 50
Prozent bei der Verwendung Lösungsmitteln freigesetzt. Aber auch Pkws mit
Ottomotoren stoßen die flüchtigen Kohlenwasserstoffe aus, weil Benzin nicht
vollständig verbrennt oder Gase aus dem Tank entweichen.
Inzwischen sind die Wissenschaftler aber auch "natürlichen Ozonproduzenten" auf
der Spur. Die biogene Emission von VOC und NOx wurde bislang unterschätzt.
Auch Laub- und Nadelhölzer produzieren Terpene und Isopren. Daneben gelangen
Stickoxide aus überdüngten Böden in die Luft.
Bundesweit messen circa 380 Stationen die Ozonkonzentration. Dabei wird
UV-photometrisch eine Stunde lang die Konzentration des Gases in Mikrogramm
pro Kubikmeter Luft bestimmt (µg/m
3) und der Mittelwert gebildet.
Mittelwerte blieben konstant
Die maximalen Ein-Stunden-Mittelwerte haben in Deutschland seit 1984 von
365µg/m
3 bis 1997 auf 253 µg/m
3 abgenommen. Diese Maximalwerte sind jedoch
für eine statistische Bewertung ungeeignet. Der Ozonjahresmittelwert blieb dagegen
seit Ende der 80er Jahre annähend konstant. Wegen der beherrschenden Einflüsse
des Wetters können Trendaussagen wenn überhaupt nur anhand langer
Meßreihen gemacht werden. Nach Angaben des Umweltbundesamts weisen
langjährige Messungen darauf hin, daß sich der Jahresmittelwert der
Ozonkonzentration an ländlichen Meßstationen gegenüber denen zur
Jahrhundertwende mehr als verdoppelt hat.
Da Ozon aus anderen Schadstoffen unter Einfluß von Sonnenlicht gebildet wird, gibt
es für das Gas keine Emissionsgrenzwerte. Werden Kraftfahrzeuge zugelassen oder
neue Industrieanlagen in Betrieb genommen, müssen jedoch zahlreiche europäische
NOx- und VOC-Grenzwerte eingehalten werden.
Um die Ozonkonzentration in der Atemluft beurteilen zu können sowie die
Bevölkerung zu informieren und zu warnen, wurden europaweit Schwellenwerte
festgelegt. Diese Werte sind im deutschen Immissionsschutzgesetz sowie im Gesetz
zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Ozongesetz) festgeschrieben.
Ozon dringt tief in die Lunge
Der für den Sommersmog typische Photooxidantien-Cocktail enthält verschiedene
Reizstoffe. Unter anderem reizen Peroxyacetylnitrat, Peroxibenzoylnitrat, Acrolein
und Formaldehyd Augen, Schleimhäute und obere Atemwege. Sie sind jedoch
weniger toxisch als Ozon oder kommen in geringeren Konzentrationen vor. Ozon
selbst reagiert fast ausschließlich an den Oberflächen des Atemtrakts. Durch seine
geringe Wasserlöslichkeit dringt es tief in die Lunge ein. Dort trifft es auf Gewebe,
das nicht durch eine Schleimschicht geschützt ist, und schädigt Zellmembranen.
Entzündungen sind die Folge.
Symptome treten meist nur nach mehrstündiger Exposition bei gleichzeitiger
körperlicher Aktivität auf. Bei Schulkindern und Erwachsenen ändern sich die
Lungenfunktionsparameter nach reger körperlicher Aktivität im Freien ab einer
Ozonkonzentration von 160µg/m
3. Die physische Ausdauer-Leistungsfähigkeit sinkt
ab 240µg/m
3. Zu entzündlichen Reaktionen des Lungengewebes kann es ab
160µg/m3 bei 6,6stündiger Exposition mit intermittierender körperlicher Belastung
kommen.
Genau eingrenzbare Risikogruppen gibt es nicht. Jeder Mensch reagiert auf das Gas
unterschiedlich. Gesundheitliche Beeinträchtigungen sind dann zu erwarten, wenn die
Atemluft viel Ozon enthält, je länger die Exposition dauert und je höher das
Atemminutenvolumen ist. Unter dem Smog leiden deshalb besonders diejenigen, die
draußen spielen, arbeiten oder Sport treiben. Grundsätzlich werden Säuglinge und
Kleinkinder vorsorglich als Risikogruppen eingestuft. Im Verhältnis zu ihrer
Körpergröße haben sie ein relativ erhöhtes Atemminutenvolumen. Da ihr
Immunsystem noch nicht vollständig ausgebildet ist, können Ozonreizungen
außerdem leichter zu Atemwegsinfekten führen. Die Frage, ob Asthmatiker
empfindlicher auf Ozon reagieren, ist laut Umweltbundesamt noch nicht abschließend
geklärt.
Meist normalisieren sich solche funktionellen Veränderungen im Laufe von ein bis
drei Stunden nach Expositionsende. Bei besonders starken Belastungen kann es bis
zu 48 Stunden dauern. Neben gereizten Atemwegen und Husten, berichten
Ozongeschädigte häufig über Tränenreiz und Kopfschmerzen. Für die tränenden
Augen sind vor allem Begleitstoffe des Ozons verantwortlich. Die akuten
Reizerscheinungen sind weitgehend unabhängig von körperlicher Aktivität.
Wie sieht es aus mit chronischer Belastung? Im Versuch an Affen, Ratten und
Mäusen registrierten Wissenschaftler nach langen und extremen Ozonbelastungen
irreversible Lungenschäden. In Los Angeles wurde 1985 an rund 70 Tagen ein
Ozon-Stundenmittel von über 400µg/m
3 gemessen. Dort beobachtete man in
neueren Untersuchungen bei einem Teil der Bevölkerung eine persistente
Verschlechterung der Lungenfunktion.
Neben den obengenannten Wirkungen kann Ozon Allergien fördern. Zusätzlich
diskutieren Forscher auch gentoxische und kanzerogene Effekte der
Sauerstoffverbindung: In Zellkulturen wirkt Ozon sowohl bei Bakterien und Pflanzen
als auch bei Säugerzellen eindeutig gentoxisch. Bisher konnten diese Wirkungen
allerdings keinen konkreten Konzentrationen zugeordnet werden. Laut
Umweltbundesamt läßt sich für die in Deutschland vorkommenden Konzentrationen
zur Zeit noch nicht klären, ob das kanzerogene Potential eine Rolle spielt.
Unabhängig davon gibt es nach Meinung der Behörde ausreichend Gründe, die
Ozonkonzentration zu reduzieren.
Schadstoffausstoß weiter senken
Zum einen muß langfristig die Emission von Stickoxiden und flüchtigen organischen
Kohlenwasserstoffen gesenkt werden. Um Gesundheitsgefahren zukünftig
ausschließen zu können, ist eine Verringerung des Schadstoffausstoßes um 70 bis 80
Prozent bezogen auf die Emission Mitte der 80er Jahre erforderlich, so das
Umweltbundesamt. Zum anderen müßten regionale Fahrverbote für Pkws ohne
Katalysator und Tempolimits auf Autobahnen verhängt werden, die nur während der
sommerlichen Smogperiode gelten.
Bis dahin empfehlen Experten: Steigt die Ozonkonzentration über 180µg/m
3, sollten
Personen, die erfahrungsgemäß empfindlich auf Ozon reagieren, ungewohnte
körperliche Anstrengungen vor allem im Freien vermeiden. Sportler empfiehlt der
Tübinger Sportmediziner Andreas Nieß, Aktivitäten möglichst in die Morgenstunden
zu verlegen. Ab Ozonwerten jenseits der 360-µg/m
3Marke gilt für jedermann:
Auszeit für ungewohnte körperliche Anstrengungen und sportliche
Ausdauerleistungen.
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, Eschborn
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