Pharmazie
Mit Topotecan wurde in Deutschland Ende letzten Jahres der erste
Topoisomerase-l-Hemmer zugelassen; er ist indiziert bei Patientinnen mit
fortgeschrittenem Ovarialkarzinom nach Versagen einer Primär- oder
Folgetherapie. Topotecan ist ein halbsynthetisches, wasserlösliches
Analogon von Camptothecin, dem wirksamen Inhaltsstoff von Camptotheca
acuminala, einem asiatischen Baum. Die tumorwachstumshemmende
(antineoplasmatische) Wirksamkeit von Camptothecin wurde im Rahmen
des NCI-Screening-Programms von Naturstoffen bekannt (National Cancer
Institute der USA). Jedoch mußten die klinischen Studien wegen geringer
Wirksamkeit und hoher Toxizität eingestellt werden. Wiederaufgenommen
wurde die Entwicklung von Camptothecin, nachdem die
Topoisomerase-I-Hemmung als neuartiger antineoplastischer
Wirkmechanismus erkannt worden war.
Topoisomerasen kontrollieren die Topologie (Struktur und räumliche Anordnung)
der DNA. Sie verhindern, daß sich die DNA während der Replikation verknäuelt".
Beim Menschen sind zwei Enzymsysteme, die Topoisomerase I und II, bekannt.
Topoisomerasen fungieren als reversible Nucleasen; sie binden an die DNA und
bewirken reversibel einen Einzel- (Topoisomerase I) oder einen Doppelstrangbruch
(Topoisomerase II).
Die kovalente Bindung der Topoisomerase I an die DNA führt zu einem
Einzelstrangbruch, mit dem die gegenüberliegende Phosphodiesterbindung zum freien
Drehgelenk wird. Zum Spannungsabbau muß sich nun nicht mehr das gesamte
Chromosom, sondern nur noch ein kurzer Abschnitt der DNA-Helix vor der
Replikationsgabel drehen.
Die Hemmstoffe der Topoisomerase I binden selektiv an den bestehenden
Topoisomerase-I-DNA-Komplex und bilden einen stabilen tertiären Komplex. Bei
fortlaufender Replikation resultiert daraus eine Blockade der Replikationsgabel, ein
Doppelstrangbruch der DNA und die Induktion der Apoptose.
Topoisomerase-Inhibitoren hemmen neben der Replikation auch die Transkription
und die DNA-Reparaturmechanismen. In vitro ist die Wirksamkeit der
Topoisomerase-I-Hemmer abhängig von deren Konzentration und von der Dauer
der Exposition.
Der Naturstoff Camptothecin ist charakterisiert durch ein pentacyclisches
Ringsystem, das sich aus einem Chinolinring, einem Indolizinring und einem Pyranring
zusammensetzt.
Die Substanz ist wasserunlöslich und bietet keine Möglichkeit der Salzbildung, außer
der Hydrolyse des Lactonrings zur ringoffenen Carboxylatform. Als erstes
Camptothecin-Derivat wurde in Deutschland im November 1996 das Topotecan
(9-Dimethylaminomethyl-10-hydroxy-camptothecin) zugelassen. Im
Fertigarzneimittelnamen Hycamtin® findet sich die chemische Bezeichnung des
Wirkstoffes wieder (Hydroxycamptothecin).
Wirkung von Topotecan
In vitro zeigte Topotecan eine hohe zytotoxische Wirkung an verschiedenen
Tumorzellen humanen und murinen Ursprungs (zum Beispiel Mamma-, Ovarial-,
Colon-, Magen-, Lymphom-, Lungen-Tumorzellen). Die hohe antineoplastische
Aktivität bestätigte sich in verschiedenen Tiertumormodellen. Mehrfachgaben und
kontinuierliche Applikation von Topotecan erwiesen sich der Einmalgabe als
überlegen. Am besten untersucht ist die 30-Minuten-Infusion an fünf
aufeinderfolgenden Tagen alle 21 Tage.
Mit diesem Applikationsmodus und einer Dosierung von 1,5 mg/m²
Körperoberfläche täglich wurde Topotecan zugelassen zur Behandlung von
Patientinnen mit metastasierendem Ovarialkarzinom nach Versagen einer Primär-
oder Folgetherapie. Klinische Prüfungen werden derzeit unter anderem durchgeführt
bei Bronchial-, Kolorektal- und Mammakarzinom sowie bei pädiatrischen soliden
Tumoren. Gegenstand klinischer Prüfungen ist auch die niedrig dosierte (0,5 mg/m²),
kontinuierliche Infusion über 21 Tage und die orale Gabe von Topotecan.
Formulierung des Fertigarzneimittels
Das Fertigarzneimittel Hycamtin® enthält das lyophilisierte, wasserlösliche
Topotecan-HCl zusammen mit den Hilfsstoffen Mannitol (48 mg), Weinsäure (20
mg), HCl und NaOH. Bezogen auf die Base beträgt der Gehalt 4mg Topotecan pro
Durchstechflasche. Der Zusatz von Weinsäure dient insbesondere der Einstellung
eines niedrigen pH-Wertes in den applikationsfertigen Topotecan-Infusionslösungen.
In älteren Formulierungen ohne Weinsäurezusatz hatten sich erhöhte pH-Werte nach
der Verdünnung mit Infusionsträgerlösungen als stabilitätsmindernd erwiesen.
Aufgrund des größeren Verteilungsvolumens und der besseren Gewebepenetration
sollte möglichst quantitativ die Lactonform appliziert werden.
Stabilität der Topotecan-Zubereitungen
Die physikalisch-chemische Stabilität der rekonstituierten Stammlösung und der
applikationsfertigen Infusionslösung ist sowohl für die zentrale Herstellung von
Topotecan-Zubereitungen zur parenteralen Anwendung als auch für deren
Dauerinfusion von Bedeutung. Die in der Packungsbeilage und der
Standardinformation für Krankenhausapotheker kurz bemessenen
Stabilitätszeiträume ergänzten wir daher durch eigene Stabilitätsuntersuchungen.
Bekanntlich ist die Hydrolyse die bedeutendste Zersetzungsreaktion von Topotecan,
das bei pH unter 4 in der Lactonform, bei pH über 10 ausschließlich in der
ringoffenen Carboxylatform vorliegt. Temperatur, Konzentration der Pufferionen,
Ionenstärke und die initiale Wirkstoffkonzentration sind für das
Hydrolysegleichgewicht ohne Bedeutung. Die Spezifität unserer
HPLC-Bestimmungsmethoden verifizierten wir daher durch forcierte Hydrolyse des
Topotecan unter Zugabe von NaOH..
Die rekonstituierte Stammlösung (Konzentration 1 mg/ml) zeigte sich sowohl bei
Kühlschranklagerung als auch bei lichtgeschützter Lagerung bei Raumtemperatur
über mindestens 28 Tage stabil. Am Ende des Untersuchungszeitraums lag der
Gehalt an Topotecan noch über 99 Prozent des Ausgangswertes. Aus Vorversuchen
zur Formulierung eines Hycamtin®-Infusionskonzentrates
(Topotecan-Konzentration 2,5 mg/ml, pH 2,7 eingestellt mit Weinsäure) wird
ebenfalls über lange Stabilitätszeiträume berichtet.
Die Stabilität der Topotecan-Infusionslösungen wurde mit 0,9 Prozent NaCl und
G5-Lösung in Viaflex® Plastikbeuteln als Trägerlösung beziehungsweise als
Primärbehältnis bestimmt. Es wurden jeweils Infusionslösungen der Konzentration
0,025 mg/ml und 0,05 mg/ml hergestellt und lichtgeschützt bei Raumtemperatur oder
im Kühlschrank gelagert. Der pH-Wert der NaCl- beziehungsweise
G5-Infusionsträgerlösung betrug im Mittel 5,0 beziehungsweise 4,1 und fiel nach
Zugabe der Hycamtin®-Stammlösung konzentrationsabhängig und unabhängig von
der Art der Trägerlösung auf pH-Werte unter 3,6. Die Untersuchungslösungen
blieben über den gesamten Zeitraum klar. Nach 28 Tagen wurde bei allen
Untersuchungslösungen ein Topotecangehalt von mehr als 95 Prozent der jeweiligen
Ausgangskonzentration gefunden.
Da der pH-Wert der entscheidende stabilitätsdeterminierende Faktor ist, empfiehlt
es sich bei der Verwendung sonstiger Infusionsträgerlösungen, den pH-Wert zu
messen (Ziel pH unter 3.5) oder bevorzugt Glucose 5 Prozent als
Infusionsträgerlösung einzusetzen. Wegen der niedrigen pH-Werte der
applikationsfertigen Infusionslösungen sind für die Applikation Venen mit hohem
Durchfluß zu wählen.
Für eine Topotecan-Infusionslösung der Konzentration 0.01 mg/ml in NaC1 0,9
Prozent Viaflex® Plastikbeutel bestimmten wir bei Lagerung unter Lichtexposition
und Raumtemperatur eine t
95 von 7 Tagen. Demnach sollte eine lichtgeschützte
Lagerung der Topotecan-Infusionslösungen erfolgen, eine lichtgeschützte
Applikation ist jedoch nicht erforderlich.
PZ-Artikel von Irene Krämer und Judith Thiesen, Mainz
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