Pharmazie
Mehrere große klinische Studien haben die Wirksamkeit von
Hemmstoffen der HMG-CoA-Reduktase zur Primär- und
Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit bei Patienten mit
Hypercholesterolämie belegt. Zusätzlich zeigen Studien mit Lovastatin,
Simvastatin und Pravastatin einen verlangsamten Fortschritt der
Atherosklerose und ein vermindertes Risiko von koronaren Ereignissen bei
Patienten mit leichter bis mittelschwerer Hypercholesterolämie.
Es konnte auch belegt werden, daß Patienten nach koronarer Bypassoperation unter
Lovastatin eine geringere Progression der Atherosklerose in den transplantierten
Gefäßen erfahren. Diese Befunde führten dazu, daß sich CSE-Hemmer in der
Therapie von Hypercholesterolämie etabliert haben. Cerivastatin, das qualitativ
anderen CSE-Hemmer gleicht, ist ein neues, synthetisches, enantiomerenreines
Pyridinderivat, das spezifisch und potent die HMG-CoA-Reduktase hemmt.
Indikationen und Anwendung
Die Anwendung von Cerivastatin (Lipobay®) ist zusätzlich zu einer Diät angezeigt
bei Patienten mit primärer Hypercholesterolämie, familiärer Hypercholesterolämie
oder gemischter (kombinierter) Hyperlipidämie (entsprechend Typ IIa und IIb nach
Fredrickson), wenn Diät und andere nichtpharmakologische Maßnahmen keine
ausreichende Wirkung erbringen.
Die übliche Anfangsdosis beträgt 0,1 mg Cerivastatin einmal täglich. Abhängig vom
Ansprechen des Patienten auf die Therapie kann die Dosis in Abständen von
mindestens vier Wochen um jeweils 0,1 mg schrittweise erhöht werden. Die
empfohlene Höchstdosis beträgt täglich 0,3 mg Cerivastatin. Die Dosierung von
Cerivastatin wird an den gewünschten therapeutischen Effekt und entsprechend der
Verträglichkeit angepaßt. Hierbei sollten innerhalb von zwei bis vier Wochen nach
Beginn der Therapie nicht nur die Lipidspiegel, sondern auch Leberenzymwerte
sowie die Creatinphosphokinase als Indikatorenzyme für unerwünschte Wirkungen
bestimmt werden. Der therapeutische Effekt zeigt sich mit Cerivastatin innerhalb von
zwei Wochen, die maximale Wirkung tritt innerhalb von vier Wochen ein und bleibt
bei Fortsetzung der Behandlung unverändert erhalten. Die Dosierung sollte daher in
Intervallen von vier Wochen oder mehr angepaßt werden. Bei Patienten mit
mittelschwerer bis schwerer Nierenerkrankung sollte die Behandlung ebenfalls mit
täglich 0,1 mg Cerivastatin beginnen. Eine Dosiserhöhung auf maximal täglich 0,2 mg
Cerivastatin sollte bei diesen Patienten zurückhaltend erfolgen.
Cerivastatin sollte einmal täglich zum Abendessen oder vor dem Zubettgehen
eingenommen werden. Aufgrund der circadian erhöhten
HMG-CoA-Reduktase-Aktivität ist zu dieser Zeit die größte Wirkung zu erwarten.
Wirkungen und Wirkungsmechanismus
Wie die anderen Vertreter dieser Klasse hemmt Cerivastatin kompetitiv und
reversibel die HMG-CoA-Reduktase und beeinträchtigt damit die Bildung der
Mevalonsäure. Dies ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der
körpereigenen Biosynthese von Cholesterol. Im Vergleich zu Lovastatin hemmt
Cerivastatin das Schlüsselenzym der Cholesterolbiosynthese bei 100fach niedrigeren
Konzentrationen. Die Hemmung der HMG-CoA-Reduktase resultiert in einer
Verminderung des intrazellulären Cholesterolgehaltes und führt indirekt zu einer
Erhöhung der LDL-Rezeptoren. Letzteres geht mit einer vermehrten Aufnahme von
LDL-Cholesterol aus dem Plasma und somit einer Verminderung des
LDL-Cholesterolspiegels im Plasma einher. CSE-Hemmer vermindern
möglicherweise auch den Cholesterolspiegel durch verminderte Produktion von
VLDL- und LDL-Cholesterol.
Ebenso wie andere CSE-Hemmer senkt Cerivastatin nicht nur Gesamtcholesterol
und LDL-Cholesterol (LDL-C), sondern führt zu einer signifikanten Zunahme von
HDL-Cholesterol, das eine protektive Wirkung besitzt. Ab einer Dosis von 0,3 mg
(in klinischen Prüfungen wurde auch 0,4 mg geprüft) kommt es zu einer signifikanten
Triglyceridsenkung. Zwei indirekte Mechanismen werden angenommen, um die
Reduktion der Triglyceridspiegel durch CSE-Hemmer zu erklären. Zum einen
beeinträchtigt die ausgeprägte Hemmung der Cholesterolbiosynthese die
Zusammensetzung und Sekretion der VLDL-Partikel. In letzteren sind neben
Cholesterol die Triglyceride ein entscheidender Baustein. Somit führt die verminderte
VLDL-Sekretion auch zu verminderten Triglyceridspiegeln. Zum anderen wird eine
Verminderung der Cholesterolspiegel in den Leberzellen durch die ausgeprägte
Hemmung der Cholesterolbiosynthese zu einer erhöhten Expression von
LDL-Rezeptoren auf den Leberzellen führen. Über diese LDL-Rezeptoren werden
nicht nur vermehrt LDL-Cholesterol-, sondern auch VLDL-Partikel gebunden und
aus dem Plasma geklärt. Dies führt zu einer gleichzeitigen Verminderung von
Cholesterol und Triglyceriden im Plasma.
Wertende Zusammenfassung
Cerivastatin ist der sechste eingeführte CSE-Hemmer. Wie Lovastatin, Simvastatin,
Fluvastatin, Pravastatin oder Atorvastatin senkt es den Plasmaspiegel aufgrund der
Hemmung der körpereigenen Synthese von Cholesterol und der Hochregulation der
LDL-Rezeptoren in der Leber. Cerivastatin senkt wie andere CSE-Hemmer indirekt
auch den Triglyceridspiegel. Von anderen CSE-Hemmern hebt sich Cerivastatin
durch die überlegene Wirkstärke bei niedriger Dosierung sowie der relativ hohen
Bioverfügbarkeit bei gleichzeitiger hoher Plasmaproteinbindung ab. Somit scheint
Cerivastatin, obwohl die klinische Erfahrung zur Zeit noch beschränkt ist, einen
ähnlichen Stellenwert wie andere CSE-Hemmer einzunehmen: als ein Mittel der
Wahl zur Pharmakotherapie von Patienten mit Hypercholesterolämie. Die Wahl
eines bestimmten CSE-Hemmers wird sich demnach neben dem Ausmaß der
gewünschten Cholesterolsenkung an den Tagestherapiekosten orientieren.
PZ-Artikel von Sabine H. Bodem, Karlstein
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