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Neue Antisense-Therapeutika sinnvoll

21.07.1997  00:00 Uhr

- Pharmazie

  Govi-Verlag

Neue Antisense-Therapeutika sinnvoll

    Ermöglicht demnächst eine neue Gruppe von Therapeutika die Heilung von schweren chronischen Entzündungen, Virusinfektionen und Krebs? Die Ergebnisse klinischer Untersuchungen mit Antisense-Molekülen stimmen die Wissenschaftler optimistisch. Bei der Behandlung der Cytomegalovirus-Infektion des Auges von Aids-Patienten und bei Morbus Crohn, einer chronischen Erkrankung des Darms, sind erste Studienergebnisse erfolgversprechend. Die Pharmaunternehmen hoffen, die ersten Antisense-Verbindungen Anfang 1998 bei der Food and Drug Administration zur Zulassung anmelden zu können.

Antisense-Therapeutika sind kurze synthetische Abschnitte von DNA- oder RNA-Molekülen. Sie können in der Zelle gezielt die Bildung bestimmter Genprodukte verhindern, indem sie an deren Boten-RNA (m-RNA) binden. Die m-RNA selbst ist das Produkt des Umschreibeprozesses der Information, die in den Genen des Erbmaterials gespeichert ist. Die Botenmoleküle transportieren die genetische Information zu den Eiweißfabriken der Zellen, den Ribosomen, wo die Bauanleitung in ein Eiweißmolekül umgesetzt wird. Während die m-RNA-Moleküle Informationen enthalten, die zur Synthese der Proteine benötigt werden, repräsentieren die Antisense-Verbindungen (Oligonukleotide) 15 bis 25 Bausteine dieses Botenmoleküls in gegenläufiger Anordnung. Trifft nun ein komplementär aufgebautes Antisense-Oligonukleotid im Zellinneren auf das passende m-RNA-Molekül, bilden beide einen Komplex. Kurz darauf erkennen und zerstören spezielle Enzyme die RNA.

Entwicklung der Technik

Den hochspezifischen Prozeß entdeckte 1978 der Biochemiker Paul Zamecnik. Er erkannte auch die Möglichkeit, diese Technik zur Behandlung von bestimmten Virus- und Krebserkrankungen, bei denen spezielle Genprodukte im Überschuß auftreten. Vor zehn Jahren gelang Wissenschaftlern erstmals der Nachweis, daß Antisense-Moleküle gegen Virusinfektionen wirken. Die Versuche am Tiermodell waren allerdings entmutigend. Die Antisense-Oligonukleotide erwiesen sich als äußerst instabil und wurden im Plasma innerhalb weniger Minuten abgebaut.

Mittlerweile stehen analoge Verbindungen, die Phosphorothioate, bei denen ein Sauerstoffatom des Phosphates gegen ein Schwefelatom ausgetauscht wurde, zur Verfügung. "Heute ist die Stabilität der Antisense-Moleküle kein Problem mehr bei den klinischen Anwendungen", berichtet Professor Dr. Fritz Eckstein vom Göttinger Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin, der diese modifizierten Moleküle erstmals synthetisierte.

Die Wissenschaftler etablierten die neue Technik in Zellkulturen und in Tiermodellen. 1992 zählte das amerikanische Wissenschaftsmagazin "Science" die Antisense-Technik zu den zehn "heißesten Forschungsgebieten" des Jahres. Danach machte sich unter den Wissenschaftlern jedoch Enttäuschung breit. Die Wirkungsweise der Antisense-Verbindungen war weniger spezifisch als erwartet.

Mittlerweile schreiben Forscher wie Sudhir Agrawal, leitender Wissenschaftler der amerikanischen Antisense-Firma Hybridon, einige dieser unspezifischen Effekte den eingefügten Schwefelatomen zu. Hybridon entwickelte unterdessen die zweite Generation von Oligonukleotiden, die weniger stark in andere biologische Prozesse eingreifen. "Die Antisense-Technik ist den Kinderschuhen entwachsen", stellte Eckstein vor kurzem auf einer in Cambridge, Massachusetts, veranstalteten Konferenz fest, die dieser Technik gewidmet war. Eckstein berichtet, daß die versammelten Wissenschaftler inzwischen viele Probleme, unter anderem die Applikation der Oligos, gelöst hätten und hofften, bald Patienten mit dieser Technik helfen zu können,

Klinische Erfolge

Am weitesten ist die Entwicklung des antiviralen Oligonukleotids ISIS 2922 gediehen, das die Vermehrung des Cytomegalovirus hemmt. Das Virus zerstört bei vielen Aids-Patienten die Netzhaut. Die Forscher injizieren das Antisense-Oligonukleotid direkt in das Auge. Die Verbindung wird mittlerweile in einer klinischen Phase-III-Untersuchung von ISIS Pharmaceuticals, einer kalifornischen Firma, getestet. Hybridon entwickelte ebenfalls ein entsprechendes Oligonukleotid und hofft durch weitere Modifizierung seiner Verbindung GEM 132 eine systemische Anwendung zu ermöglichen.

Auch bei der Behandlung des Morbus Crohn zeichnen sich Erfolge ab. In einer placebokontrollierten Studie verminderte die systemische Verabreichung des Antisense-Oligonukleotids ISIS 2302 die Symptome und reduzierte die Steroid-Abhängigkeit von fast der Hälfte der 15 behandelten Patienten. ISIS 2302 induziert die spezifische Zerstörung der Bauanleitung von ICAM-1(intercellular adhesion molecule), einem Protein, das Zellen bei entzündlichen Prozessen bilden. Deshalb soll die Anwendung von ISIS 2302 auch bei Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Schuppenflechte und bei Nierentransplantationen erprobt werden. Weitere Studien mit ISIS 2302 finanziert nun Boehringer Ingelheim und rechnet mit einer Markteinführung im Jahr 2001.

Obwohl die erste erfolgreiche klinische Anwendung eines Oligonukleotids bei Tumoren der Eierstöcke kürzlich vorgestellt wurde, stecken die Untersuchungen zur Krebstherapie noch in den Anfängen. In Philadelphia hat eine klinische Untersuchung zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie begonnen.

Obwohl diese Ergebnisse Optimismus unter den Wissenschaftlern verbreiten, gibt es ungelöste Probleme. Die Herstellung der Antisense-Verbindungen ist immer noch recht teuer, ein Gramm Oligo kostet 500 bis 2000 US-Dollar. Deshalb sind große vorklinische Studien immer noch recht teuer. Zu Beginn jeder neuen Untersuchung muß eine große Anzahl verschiedener Oligonukleotide synthetisiert und auf ihr Bindungsverhalten mit der m-RNA getestet werden, da nicht alle Bereiche einer m-RNA gleich gut zur Komplexbildung geeignet sind.

Noch immer reagieren einige der Antisense-Moleküle unspezifisch. So blockiert das Oligo GEM 91 von Hybridon nicht nur die Replikation von HIV, sondern verhindert auch seine Bindung an die Zelloberfläche - eine Nebenwirkung, deren Ursache bislang nicht aufgeklärt wurde und zahlreiche andere Probleme im Organismus bereiten könnte. Zur Zeit ist das Verhalten der Antisense-Moleküle mit Hilfe von Computersimulationen noch nicht vorhersagbar. Die Pessimisten unter den Forschern glauben noch immer, daß weitere Nebeneffekte die baldige praktische Anwendung dieser Moleküle verhindern könnten. Eckstein teilt diese Bedenken nicht. Nach seiner Meinung eröffnet die gegenwärtige Forschung durch die genetische Analyse zahlreicher Krankheitsgene und -erreger weitere sinnvolle Möglichkeiten für den Einsatz von Antisense-Therapeutika.

PZ-Artikel von Angela Haese, Berlin

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