Pharmazie
Auf neue synthetische Hemmstoffe sogenannter
Metallo-Matrixproteasen setzen Forscher bei Bayer. Bereits zwei
Wirksubstanzen wurden identifiziert und befinden sich in Phase II der
klinischen Prüfung. Von der neuen Wirkstoffgruppe versprechen sich die
Wissenschaftler Fortschritte in der Krebs- und Osteoarthritis-Therapie,
hieß es auf einer Pressekonferenz in Wuppertal.
Metallo-Matrixproteasen (MMP) sind Schlüsselenzyme bei normaler und
pathologischer Umbildung von Gewebematrix. Wie ein molekularer Schneidbrenner
lösen sie dabei die extrazelluläre Matrix auf. Durch deren Zerstörung können
beispielsweise Tumorzellen aus ihrem Ursprungsgewebe ausbrechen, lassen sich mit
dem Blutstrom forttragen und setzen sich an anderen Stellen im Organismus fest. Auf
diese Weise werden winzige Metastasen im ganzen Körper verbreitet, die nicht
mehr chirurgisch entfernt werden können. Das Tumorwachstum wird dann an den
Sekundärstellen zusätzlich durch Gefäßneubildung unterstützt.
Bereits 1988 begannen Forscher bei Bayer mit der systematischen Untersuchung
der MMP. Nach Aussagen von Dr. Wolfgang Hartwig, Leiter der Forschung im
Geschäftsbereich Pharma, wurden bislang 12 unterschiedliche Subtypen des Enzyms
identifiziert. Ziel sei es gewesen, spezifische Hemmstoffe für die Proteasen zu
entwickeln. "Wir haben nun Substanzen gefunden, die die MMPs hochselektiv
erkennen und deren Aktivität in niedrigster Konzentration hemmen", berichtete
Hartwig. Die In-vitro-Wirkung der neuen Stoffe lasse sich auch auf ein Tiermodell
übertragen.
In Mäusen wächst ein transplantierter menschlicher Ovarialtumor sehr schnell und
führt nach 30 Tagen zum Tod. Hartwig stellte eine Untersuchung vor, in der 50
Prozent der Mäuse, die mit einem MMP-Inhibitor behandelt wurden, einen
Testzeitraum von 150 Tagen überlebten. Noch ausgeprägter sei der Effekt, wenn die
Tiere vor der Inhibitor-Gabe einmalig mit Cisplatin behandelt würden. In diesem Fall
hätten alle Tiere den gesamten Testzeitraum überlebt. Nach Angaben des
Unternehmens befindet sich ein MMP-Inhibitor bereits in Phase II der klinischen
Prüfung bei Pankreas- und Lungenkrebs.
Ursprünglich wurde die Wirkung von MMP-Inhibitoren an einem
Osteoarthritis-Tiermodell untersucht. Auch dort sind die Enzyme maßgeblich an der
Zerstörung von Knorpelgewebe beteiligt. Wird der Gelenkknorpel angegriffen,
kommt es zu einer Hypertrophie des Knochengewebes. Die Beweglichkeit des
Gelenks nimmt ab. "Die Entstehung von Knorpelläsionen dauert relativ lange, ein
entsprechendes Untersuchungsmodell nimmt deshalb mehr Zeit in Anspruch",
erklärte Hartwig. Deshalb sei die Entwicklung von MMP-Inhibitoren für die
Indikation Krebs inzwischen weiter vorangeschritten. Die Studienergebnisse seien
aber wie beim Krebsmodell außerordentlich vielversprechend.
Nach Aussagen des Leiters der präklinischen Entwicklung, Dr. Hans-Peter Krause,
stecken bei Bayer noch einige innovative Wirkstoffe in der Pipline. Mehr als 1.200
Mitarbeiter forschten weltweit mit einem Gesamtbudget von circa 511 Millionen
DM. 30 Prozent der Forschungs- und Entwicklungskosten verschlinge dabei alleine
der Geschäftsbereich Pharma.
Die Einführung eines neuen Glucagon-Rezeptor-Antagonisten, an dessen
Entwicklung in den USA derzeit gearbeitet werde, sei für 2003 bis 2004 geplant.
Glucagon erhöht den Blutzuckerspiegel. Lagert sich das Molekül an spezifische
Rezeptoren in der Leber an, wird Glucose ins Blut abgegeben. Blockiert der
Antagonist nun die Rezeptoren, sezerniert die Leber weniger Glucose. Erste
klinische Untersuchungen an gesunden Probanden hätten das Wirkprinzip bestätigt.
Der Nachweis einer langfristig günstigen Wirkung für Diabetiker müßte noch durch
Studien erbracht werden.
Auch für die Indikation Asthma arbeite man mit der Universität Würzburg an einem
neuen Wirkstoff, so Krause. Es handele sich dabei um einen
Interleukin-4-Antagonisten, der mit rekombinanter DNA-Technologie in Bakterien
hergestellt werde. Die inaktivierte IL-4-Mutante blockiere zuverlässig entsprechende
Rezeptoren. Mit der klinischen Entwicklung wolle man 1999 beginnen.
"Mittelfristig wollen wir pro Jahr mehr als zehn Entwicklungskandidaten
identifizieren", so die optimistische Prognose von Hartwig. Mit der damit
verbundenen Erhöhung der Forschungskosten um 63 Prozent und Neueinstellungen
von über 200 Mitarbeitern sowie weiteren 780 Millionen DM Investitionen bekenne
sich das Unternehmen zur innovativen Pharmaforschung.
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, Wuppertal
© 1997 GOVI-Verlag
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