Pharmazie
Akute und chronisch-obstruktive Atemwegserkrankungen scheinen
zuzunehmen, obwohl die therapeutischen Ansätze und Entwicklungen zur
Behandlung obstruktiver Lungenerkrankungen in den letzten Jahrzehnten
zu einer erheblich verbesserten Lebensqualität und günstigeren
Langzeitprognose geführt haben.
Unter dem Begriff obstruktive Atemwegserkrankungen werden im einzelnen die
Krankheitsbilder des Asthma bronchiale, der akuten und chronisch-obstruktiven
Bronchitis und des Lungenemphysems verstanden. Wegen der fließenden
Übergänge lassen sich diese jedoch nicht immer ausreichend voneinander trennen. In
der medikamentösen Asthma-Therapie wird zwischen vorbeugenden
Dauermedikamenten und Anfalls-, Bedarfs- beziehungsweise Notfallmedikamenten
unterschieden. Zu den ersten gehören vor allem die inhalativ anzuwendenden
Glucocorticoide, zum Beispiel Fluticason (Flutide®), sowie Cromoglicinsäure
(Intal® und andere) und Nedocromil (Halamid®, Tilade®). In der Gruppe der
Bedarfsmedikamente sind die kurzwirkenden ß2-Sympathomimetika bei weitem die
wichtigsten. Parasympatholytika (Anticholinergika), wie zum Beispiel Ipratroprium
(Atrovent® und andere), werden, gegebenenfalls auch in fixer Kombination mit
kurzwirkenden ß2-Sympathomimetika (zum Beispiel Berodual®), bevorzugt bei der
chronisch-obstruktiven Bronchitis eingesetzt.
Bei mittelschwerem oder schwerem Asthma bronchiale ist die regelmäßige Inhalation
eines langwirkenden ß2-Sympathomimetikums eine sinnvolle Alternative zur oralen
Einnahme eines ß2-Sympathomimetikums oder eines retardierten
Theophyllin-Präparates. Sowohl nationale als auch internationale Konsensuspapiere
zum Asthmamanagement bei Erwachsenen und Kindern empfehlen dies. Als erster
Vertreter der inhalierbaren, langwirkenden ß2-Sympathomimetika wurde im
Oktober 1995 Salmeterol (Serevent®, Aeromax®) eingeführt.
Indikationen und Anwendung
Die Salmeterolxinafoat-haltigen Fertigarzneimittel zur Inhalation sind zugelassen zur
Langzeitbehandlung obstruktiver Atemwegserkrankungen. Gleichzeitig sollen
regelmäßig entzündungshemmende Arzneimittel, in der Regel inhalativen oder oralen
Glucocorticoide, gegeben werden, da dies die Basistherapie darstellt.
Serevent®/Aeromax® Dosier-Aerosol oder Diskus® dürfen nicht für die
Akutbehandlung eines Asthmaanfalls eingesetzt werden.
Die Dosierung richtet sich nach Art und Schwere der Erkrankung. Für Erwachsene
und Kinder ab vier Jahren gelten folgende Empfehlungen: Bei Anwendung des
Dosier-Aerosols inhalieren Erwachsene zweimal täglich zwei Sprühstöße (100 µg
pro Tag). Bei stärkeren Beschwerden kann die Dosis auf zweimal täglich vier
Sprühstöße erhöht werden. Kinder ab vier Jahren nehmen zweimal täglich zwei
Sprühstöße.
Bei Verwendung des Diskus® sollten Erwachsene zweimal täglich eine Einzeldosis
(100 µg pro Tag) inhalieren. Bei stärkeren Beschwerden kann die Dosis auf zweimal
täglich zwei Einzeldosen erhöht werden. Kinder ab vier Jahren inhalieren zweimal
täglich eine Einzeldosis. Der Abstand der einzelnen Inhalationen sollte etwa zwölf
Stunden betragen. Die bronchialerweiternde Wirkung setzt im allgemeinen 10 bis 20
Minuten nach der Inhalation ein und hält circa 12 Stunden an. Die maximale
Wirkung wird normalerweise nach zwei Stunden erreicht.
Zum Vergleich wurde der Wirkungseintritt nach Inhalation von Salbutamol
(Sultanol® und andere) nach ein bis zwei Minuten, die maximale Wirkung nach etwa
15 Minuten und das Ende der Wirkungsdauer nach vier Stunden beobachtet. Die
Tagesgesamtdosis soll acht Sprühstöße (Dosier-Aerosol) beziehungsweise vier
Einzeldosen nicht überschreiten, da eine höhere Dosierung im allgemeinen keinen
zusätzlichen therapeutischen Nutzen erwarten läßt, jedoch die Wahrscheinlichkeit
des Auftretens auch schwerwiegender Nebenwirkungen erhöht.
Dosier-Aerosol und Pulverinhalator sind ausschließlich zum Inhalieren bestimmt. Für
den Behandlungserfolg ist es wichtig, Salmeterol regelmäßig anzuwenden. Auf die
korrekte Applikation beziehungsweise Inhalationstechnik muß immer wieder
hingewiesen werden. Dies gilt besonders für die Koordination des Auslösens eines
Sprühstoßes und tiefer Einatmung beim Dosier-Aerosol. Der Pulverinhalator ist ein
handliches Gerät zur Atemzug-gesteuerten Inhalation von 60 Einzeldosen.
Wirkung und Wirkungsmechanismus
Das pharmakologische Profil von Salmeterol ähnelt dem anderer selektiver
ß2-Sympathomimetika. Die Hauptwirkung wird durch den ß2-Adrenozeptor
(ß2-AR) vermittelt. Die Bindung des Salmeterols an den Rezeptor führt zu einer
Kopplung des Rezeptormoleküls an ein G-Protein. Dieses stimuliert die
Adenylatcyclase mit der Folge eines Anstiegs des intrazellulären cAMP-Spiegels.
cAMP aktiviert die cAMP-abhängige Proteinkinase A, die spezifische Zielproteine
phosphoryliert, die letztendlich für die Wirkung verantwortlich sind und pulmonal zur
Bronchodilatation und zur Hemmung der in der Spontanreaktion beteiligten
Mediatoren in den Mastzellen führen. Die ß2-adrenerge Wirkung von Salmeterol ist
hauptsächlich auf das R-Isomer zurückzuführen, welches mit weitaus höherer
Affinität an die Rezeptoren bindet als das S-Isomer. Am isolierten Bronchialmuskel
übertrifft die bronchodilatierende Wirkung des Salmeterol die äquimolarer
Salbutamolkonzentrationen. In-vitro- und In-vivo-Versuche belegen die hohe
Selektivität der Substanz zum ß2-AR. Die Selektivität für den ß2-AR ist höher als
die von Fenoterol, Formoterol oder Salbutamol. Sie macht ß1- jedoch nicht
ß2-Rezeptor-vermittelte systemische Wirkungen unwahrscheinlich.
Die lang andauernde Wirkung des Salmeterols wird durch die sehr starke Bindung
des Moleküls an den ß2- Rezeptor bewirkt. So wies eine Forschergruppe nach, daß
zusätzlich zu der aktiven Rezeptorbindungsstelle eine "Exo-Site" im Rezeptor
vorliegt, an die die lipophile Oxyalkyl-Seitenkette des Salmeterols ankoppelt. Diese
Bindungsstelle schließt eine 10 Aminosäuren-umfassende Region des Rezeptors ein,
die von der eigentlichen Rezeptortasche räumlich zu unterscheiden ist. Während die
Bindung des Salicylalkohol-Restes an die eigentliche Rezeptortasche frei reversibel
ist und durch Antagonisten aufgehoben werden kann, verhindert die Bindung des
Salmeterols an die "Exo-Site" die vollständige Dissoziation vom Rezeptor. Dieses
"verankerte" Molekül kann wiederholt an die Rezeptortasche ankoppeln und somit
die Wirkzeit verlängern.
Hohe Salmeterolkonzentrationen induzieren auch nicht rezeptorvermittelte Effekte,
die durch ß-Antagonisten nicht aufgehoben werden können und wahrscheinlich auf
eine nicht spezifische Interaktion mit Zellmembranen zurückzuführen sind. Da die für
diese Effekte erforderlichen Konzentrationen im Patienten nicht beobachtet werden,
sind diese Wirkungen jedoch von geringer klinischer Bedeutung.
Neben der typischen ß-adrenergen Wirkung besitzt Salmeterol eine deutliche
antiinflammatorische Wirkung, die durch Reduktion bestimmter proinflammatorischer
Mediatoren, wie zum Beispiel Histamin, Leukotrien C4 und D4 sowie Prostaglandin
D2 bestimmt wird. Salmeterol reduziert ebenfalls die vaskuläre Permeabilität in der
Spätphase und die Migration von Entzündungszellen. Das Ausmaß und der
Mechanismus der antiinflammatorischen Wirkung des Salmeterols ist jedoch nur
ungenügend charakterisiert, obwohl Anhaltspunkte vorliegen, daß sie über den
ß2-AR vermittelt werden.
Wegen der langen Wirkdauer ist Salmeterol besonders zur Bekämpfung der
nächtlichen Asthmaanfälle bei Patienten geeignet, die unter Glucocorticoid- oder
Theophyllintherapie nicht kontrolliert werden können. Etwa 75 Prozent aller
Asthma-Patienten werden häufig nachts durch Husten, Niesreiz und
Atembeschwerden geweckt. Diese nächtlichen Asthmaanfälle verursachen
Schlafstörungen und sind bei vielen Patienten die Hauptbeschwerden. Aufgrund der
geringeren unerwünschten Wirkungen ist in der Regel die inhalative Applikation von
Salmeterol einer oralen Gabe von Theophyllin vorzuziehen, vorausgesetzt, der
Patient kommt im Rahmen des Selbstmanagement mit drei Dosieraerosolen
beziehungsweise Pulverinhalatoren zurecht. Er muß darüber informiert werden, daß
ein morgendliches Peak-flow-Tief durch die langanhaltende Wirkung von Salmeterol
maskiert werden kann.
Günther Hochhaus, Amy Buchwald, Gainesville/USA, Martin Schulz, Eschborn
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