Pharmazeutische Zeitung online

Keine Gefahr durch Kombi-Analgetika

30.06.1997  00:00 Uhr

- Pharmazie

  Govi-Verlag

Keine Gefahr durch Kombi-Analgetika

  Allein in Deutschland leiden etwa 54 Millionen Menschen unter Kopfschmerzen. Allein in den alten Bundesländern wurden 1993 über 160 Millionen Packungen Schmerzmittel im Wert von mehr als einer Milliarde DM verkauft. Etwa 85 Prozent dieser Präparate werden derzeit ohne ärztliche Verordnung gekauft.

In dieses Umfeld hinein veröffentlichten die Vorstände der beiden deutschen Fachgesellschaften der Nephrologen eine Warnung, in der sie auf ein durch Analgetika bedingtes erhöhtes Risiko für Nephropathien hinweisen. Sie vertraten in ihrer öffentlichen Erklärung die Auffassung, daß die aus unterschiedlichen Wirkstoffen zusammengesetzten Kombinations-Analgetika bei langjährigem Schmerzmittelmißbrauch häufiger chronische Nephropathien verursachen als andere rezeptfreie Schmerzmittel. Außerdem belasteten die Nephrologen das Coffein. Es könne in den üblicherweise in den Tabletten enthaltenen Mengen von 50 mg eine Abhängigkeit auslösen, heißt es in dem Papier. Sie forderten daher, diese Kombinations-Schmerzmittel nur noch auf ärztliches Rezept abzugeben beziehungsweise die Präparate ganz vom Markt zu nehmen.

Heftige Expertenkritik

Für die Behauptungen der Nephrologen fehlen jedoch abgesicherte wissenschaftliche Beweise. So gibt es anderen Stimmen zufolge bis heute keine Studie, die tatsächlich belegt, daß Kombinations-Schmerzmittel mehr Nierenschäden verursachen als schmerzlindernde Einzelsubstanzen. In der PZ 46/96, Seite 48 bis 51, warf der als Gutachter des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes BGA bekannt gewordene Wissenschaftler Professor Dr. Dr. Johannes Michael Fox aus Frankfurt den Vertretern der Nephrologen vor, ein politisches Papier, aber keine wissenschaftliche Analyse vorgelegt zu haben.

Auch andere Wissenschaftler halten die Position der Nephrologen für wissenschaftlich nicht haltbar. So kam Professor Dr. Donald J. Dalessio von der Scripps Clinic and Research Foundation in La Jolla zu dem Schluß, daß Coffein weder den Mehrverbrauch, noch den Mißbrauch von Schmerzmitteln fördere. Nach den Analysen des Neurologen bevorzugen Patienten mit chronischen Kopfschmerzen und zum Teil täglicher Schmerzmitteleinnahme weder Präparate mit Coffein, noch nehmen sie höhere Mengen ein.

Die Beobachtung wird auch durch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Gallup bestätigt. In ihr zeigte sich im Mai 1995, daß die Käufer ausgerechnet dem Kombinations-Schmerzmittel mit dem höchsten Coffeingehalt ihrem Produkt am wenigsten treu bleiben. Außerdem wurde deutlich, daß die Käufer von coffeinarmen oder coffeinfreien Präparaten mehr Tabletten schluckten als die Käufer coffeinreicher Tabletten.

Fox wies darauf hin, daß die Menge der Pro-Kopf-Einnahme an Schmerzmitteln in Ländern wie den USA und Großbritannien etwa doppelt so hoch sei wie in Deutschland. In diesen Ländern sei aber andererseits der Anteil an coffeinhaltigen Schmerzmitteln deutlich niedriger, was zu bestätigen scheint, daß der Coffeinzusatz offensichtlich mit der Menge der eingenommenen Analgetika nichts zu tun hat.

Die Nephrologen machten sich jedoch nicht nur um das Suchtpotential von Coffein Sorgen. Ausdrücklich bezogen sie sich in ihrer Erklärung auf ein ähnlich lautendes Positionspapier der amerikanischen National Kidney Foundation. Darin wurde kaum ein Unterschied zwischen der Gefährlichkeit des längst verbotenen Phenacetins und den Phenacetin-freien Kombinations-Analgetika gemacht.

Mittlerweile deutet sich allerdings an, daß sowohl die amerikanischen Nierenspezialisten als auch ihre deutschen Kollegen voreilig argumentiert haben. Bereits kurze Zeit später veröffentlichten die in den USA bekannten Wissenschaftler Dr. Elisabeth Delzell und Dr. Samuel Shapiro, Universität von Alabama, eine vernichtende Analyse des Positionspapiers der National Kidney Foundation. Danach entpuppten sich die darin aufgestellten Behauptungen über die angebliche Gefährlichkeit der Kombinations-Schmerzmittel alle als unwissenschaftliche Spekulation. Die Studien weisen nach dieser Analyse nicht nur erhebliche Mängel auf; die Daten seien zudem auch noch in wissenschaftlich unzulässiger Weise gedeutet worden, heißt es.

Verhältnisse in Australien wurden fehlgedeutet

Nach Auffassung von Delzell und Shapiro führt insbesondere ein Hinweis auf in Australien gemachte Erfahrungen in die Irre: Die Nephrologen hatten behauptet, die Zahl der Nierenschäden auf dem fünften Kontinent sei erst dann zurückgegangen, als zusätzlich zum Phenacetinverbot auch alle Kombinations-Schmerzmittel vom Markt genommen wurden. Damit war suggeriert worden, daß sich Kombinations-Schmerzmittel als ähnlich gefährlich erwiesen haben wie das Phenacetin. Laut Delzell und Shapiro läßt sich dies aus den vorhandenen wissenschaftlichen Daten jedoch keineswegs ableiten.

Daß Analgetika-bedingte chronische Nierenschäden mit einer Latenzzeit von 10 bis 20 Jahren und erst nach jahrzehntelangem massivem Schmerzmittelmißbrauch drohen, ist inzwischen wissenschaftlich belegt. In Australien wurden Phenacetin 1975 und alle rezeptfreien Kombinations-Schmerzmittel 1979 vom Markt genommen. Man kann daher davon ausgehen, daß die dort in den zurückliegenden Jahren beobachteten Nierenschäden noch auf den Phenacetinmißbrauch zurückzuführen waren und nichts mit den Kombinations-Schmerzmitteln zu tun hatten. Bei Langzeitgebrauch der Kombinations-Schmerzmittel ist nach Fox die Gefahr eines Nierenschadens ähnlich minimal wie bei der Langzeiteinnahme von Einzelsubstanzen.

PZ-Artikel von Jochen Kubitscheck, Waddewitz    

© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail:
redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa