Pharmazie
Nicht immer der Alkohol ist Schuld am dicken Kopf nach einem Gläschen
Wein. Häufig ist zuviel Histamin in Nahrungs- und Genußmittel Auslöser für
Unverträglichkeiten. Dr. Stefan Bodmer von der Biodyn GmbH in Dietlikon,
Schweiz, glaubt, daß das eine Herausforderung für Hersteller von
Lebensmitteln ist, Produkte mit niedrigen Histamin-Gehalten anzubieten. In
seinem Vortrag während dem Meraner Pharmakon stellte Bodmer solche
neuen Herstellungsmethoden vor.
Normalerweise werden geringe Mengen von oral aufgenommenem Histamin rasch
im Darm metabolisiert, und die physiologisch unwirksamen Metaboliten im Harn
ausgeschieden. Schlüsselenzym ist dabei die Diaminoxidase (DAO). Kommt es zu
Histaminüberladungen oder ist der Abbau durch eine verminderte DAO-Aktivität
gestört, kommt es zu einer Enteralen Histaminose. Schon geringe Histamin-Dosen
wirken sich dann schädlich aus. Verantwortlich für eine gehemmte DAO-Aktivität
sind unter anderem Medikamente, Alkohol, Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts
oder eine genetische Prädisposition. Menschen mit einer enteralen Histaminose
leiden unter Kopfschmerzen, Hautrötungen, Juck- und Niesreiz, Herz-, Kreislauf-,
Atem- und Verdauungsbeschwerden.
"Alle histaminreichen Lebensmittel zu vermeiden, ist nahezu aussichtslos und
schränkt stark die Lebensqualität ein", stellte Bodmer in Meran fest. Die
Entwicklung sensorisch gleichwertiger, aber histaminarmer Nahrungsmittel sei
deshalb eine Herausforderung.
Histamin und andere biogene Amine wie Cadaverin, ß-Phenylethylamin, Putrescin,
Serotonin, Tyramin und Tryptamin kommen in verschiedensten Nahrungs- und
Genußmitteln vor. Frische und unverarbeitete Waren enthalten nur geringe Mengen
Amine. Wird ein Lebensmittel gelagert oder verarbeitet, kommt es häufig zu
mikrobiologischen und biochemischen Prozessen. Dabei steigt auch der
Histamin-Gehalt. Verwenden Hersteller minderwertige Rohstoffe, oder kontrollieren
nicht ausreichend die Verarbeitung und Lagerung, werden solche Vorgänge
verstärkt (siehe Tabelle). Decarboxylasen kontaminierender Bakterien spielen bei
der unerwünschten Anreicherung eine zentrale Rolle. Als Lebensmittel mit oft
überhöhten Histamin-Gehalten nannte Bodmer Fisch- und Fleischprodukte,
Milcherzeugnisse (besonders gereifter Käse), fermentierte Gemüse, Hefe- und
Sojaerzeugnisse sowie verschiedene Alkoholika wie Wein, Sekt und Bier. Auch die
aus dem Fernen Osten importierte Fischsoße sei eine ausgesprochene
Histaminbombe.
Für Bodmer ist ein geringer Gehalt an Histamin und anderen biogenen Aminen ein
Indikator für die Qualität und Bekömmlichkeit vieler Nahrungs- und Genußmittel.
Kritische Schritte im Herstellungsprozeß, bei denen viel Histamin entsteht, müßten
deshalb ermittelt werden. Er betonte, daß durch Kenntnis dieser Herstellungschritte
und den Einsatz moderner Verfahren sowie strenge Hygienebedingungen meist die
Bildung von Histamin vermieden werden kann. Als Beispiel nannte der
Lebensmitteltechniker die Methode "Schlumberger" bei der Sektproduktion. Der
Herstellungsprozeß des Schaumweines würde dabei optimiert durch:
- kontrollierten Weinbau,
- schonende Mostlese,
- höchste Kellerhygiene,
- Verwendung von Reinzuchthefen,
- Flaschengärung und
- Qualitätssicherung nach ISO 9000.
Immer mehr Menschen unter anderem in Österreich, Spanien und der Schweiz
bevorzugen histaminarme Lebensmittel. Deutsche Verbraucher und die
Aufsichtsbehörden unterstützten diesen Trend jedoch noch nicht. Konsumenten aber
auch Ärzte und Apotheker müßten deshalb dafür sensibilisiert werden. Ferner seien
dringend gesetzliche Regelungen für entsprechende Nahrungsmittel nötig.
PZ-Artikel von Ulrich Brunner, Meran
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