Pharmazie
Ätherische Öle sind oft mit synthetischen Duftstoffen verschnitten. Doch
nicht jeder Händler deklariert das. Deshalb wird immer wieder vor
Verfälschungen gewarnt. Wie aber sind sie zu erkennen, wenn man nicht
gerade eine Hundenase hat? Der analytisch modernste Weg führt über die
Trennung der Enantiomere. Die Methode gibt es schon seit einigen Jahren,
Professor Dr. Armin Mosandl vom Institut für Lebensmittelchemie in
Frankfurt am Main stellte sie kürzlich bei einer Veranstaltung des BfArM
vor.
Die linke Hand paßt nicht in den rechten Handschuh, ein linksdrehender Duftstoff
nicht auf einen Rezeptor, der auf ein rechtsdrehendes Molekül wartet; er riecht
anders. Stereoisomere werden mit den Buchstaben R und S bezeichnet, die nach
der Priorität der Substituenten am einzelnen chiralen Kohlenstoff definiert sind. Ob
ein ganzes Molekül polarisiertes Licht links- oder rechtsherum dreht, wird durch (-)
und (+) angezeigt.
Das Monoterpen Limonen duftet in der (R)(+)-Konfiguration angenehm frisch nach
Orange - als (S)(-)-Limonen aber riecht es schwach minzig, terpentinartig.
alpha-Terpineol verströmt in der (R)(+)-Konfiguration einen schweren Fliederduft,
(S)(-)-Terpineol erinnert eher an Teer und kalte Pfeife. (R)(+)-p-Menthen-8-thiol,
Duftstoff der Grapefruit, hat einen Geruchschwellenwert, der so niedrig liegt, daß er
schon gar nicht mehr exakt bestimmt werden kann. Sein (S)(-)-Enantiomerenpartner
hingegen ist geruchlos. Die Liste läßt sich beliebig forsetzen.
Ein Racemat ist damit sensorisch nicht dasselbe, wie eine stereoselektiv erzeugte
Substanz. Die Enzyme der natürlichen Biosynthesewege arbeiten in der Regel
stereospezifisch. Bei chemischen Synthesen entstehen aber nach gängiger Praxis
meist Gemische der Enantiomeren. "Natürlich" ist also nicht gleich "naturidentisch".
Natürliches Pfefferminzöl enthält an C1 ausschließlich R-konfigurierte
Menthol-Derivate, also zum Beispiel nur (-)-Menthol (das korrekterweise als
(-)-1R, 3R, 4S-Menthol bezeichnet wird). (+)-Menthol wäre ein Hinweis auf einen
synthetischen Verschnitt. Wie aber lassen sich die Enantiomerenpaare trennen?
Derzeit die beste Methode sei, so Mosandl, die "Enantio-MDGC", eine
enantioselektive multidimensionale Gaschromatographie. Hinter diesem Wortriesen
verbirgt sich folgendes: In einem Gaschromatographen werden zwei Kapillar-Säulen
hintereinandergekoppelt. Die erste, gewöhnliche Säule trennt die Stoffe, ohne
zwischen den Enantiomeren zu unterscheiden. Das Enantiomerenpaar ergibt nur
einen Peak.
Für Bruchteile von Sekunden werden bestimmte Peaks auf eine zweite Säule
weitergeleitet. Diese zweite Säule wird so nicht mit Substanzen naher
Retentionszeiten überfrachtet, was die weitere Trennung erleichert. Für jedes
Enantiomer erscheint jetzt ein eigener Peak. Cyclodextrinderivate als stationäre
Phase ermöglichen diese enantioselektive Trennung. Diese Zuckerringe tragen an
Position 6 eine tertiäre Butyldimetylsilyl-Gruppe (6-O-TBDMS). Wie die hohe
Enantioselektivität dieser 6-O-TBDMS-Cyclodextrinphasen zustande kommt, ist bis
heute unklar. Das hänge nicht nur mit der chemischen Struktur des Cyclodextrins
zusammen, sondern auch mit der Konformation der Cyclodextrine, die sich je nach
Temperatur verändern könne, erklärte Mosandl.
Lavendelöl besteht zu fast 70 Prozent aus Linalylacetat und Linalool. Natürliches
Linalylacetat wiederum besteht zu mindestens 98 Prozent aus dem
(R)(-)-Enantiomer. Liegt der (R)(-)-Anteil unter 95 Prozent, enthält das Öl
synthetische Zusätze. Linalool besteht zu mindestens 94 Prozent aus dem
(R)(-)-Enantiomer. Wird es unsachgemäß hergestellt oder gelagert, racemisiert es
leicht; die Verfälschungsgrenze wird daher etwas niedriger angesetzt (85 Prozent).
Jede Pflanzenart produziert einen definierten Anteil rechts- oder linksdrehender
Substanzen. Das ist genetisch fixiert, also unabhängig von Umweltfaktoren wie
Ernährung oder Klima. Rosenöl enthält (S)(-)-Citronellol als Vorstufe für die (-)-cis-
und (-)-trans-Rosenoxide. Aus artifiziellem (R)(+)-Citronellol entstehen die
(+)-Enantiomere. (Nur (-)-cis-Rosenoxid verbreitet den charakteristischen
Rosenduft.) Die meisten Arten der Gattung Rosa enthalten zu 99 Prozent die
(-)-Enantiomere. Bei Pelargonien beträgt das Verhältnis 3:1, bei Melisse und
Cymbopogon ist es umgekehrt, hier überwiegen die (+)-Enantiomere.
Natürlich oder naturidentisch? - Das Problem kennt nicht nur die Duftstoffindustrie.
Vor allem im Lebensmittelbereich werden Aromastoffe von Früchten oder auch von
Milchprodukten (wie delta- und gamma-Lactone für die besonders milchig-sahnige
Note) geprüft. Die Enantiomerentrennung hilft außerdem, stereospezifische
Biosynthesereaktionen oder Struktur-Funktionsbeziehungen zu klären. Es gibt
Arbeiten über oligomere Hydroxyfettsäuren als chirale Bausteine biologischer
Membranen oder bestimmter Ionenkanäle. Wie Mosandl berichtete, sei man auch
dabei, Licht in bisher unverstandene Stoffwechselstörungen zu bringen, indem chirale
Metabolite mit diesen enantioselektiven Methoden analysiert werden.
Übrigens: Auch Schneckenhäuser einer Art sind einheitlich spiralig gewunden, bei
Weinbergschnecken zum Beispiel fast immer rechts herum. "Falsche"
Weinbergschnecken mit linksgedrehten Häusern sind eine extrem seltene Mutante.
PZ-Artikel von Stefanie Czajka, Berlin
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