Pharmazie
Seit einiger Zeit wird eine lnsulinmutante in der Therapie des Diabetes
mellitus verwendet, die sich durch sehr schnellen Wirkungseintritt
auszeichnet. Dieser Effekt ist möglich, weil das neuartige Lispro-Insulin
quasi bereits bei der Injektion als Monomer vorliegt, während natürliches
Insulin aus dem im Kristall vorliegenden zinkhaltigen Hexamer schrittweise
ein relativ stabiles Dimer bildet, das in die Monamere dissoziieren muß, um
die Blutbahn erreichen und die vielfältigen blutzuckersenkenden
Reaktionen auslösen zu können.
Dies ist der Grund für den verzögerten Wirkungseintritt des normalen Insulins. Für
die Bildung des Hexamers sind Zinkionen notwendig. Zwei Zink-Kationen verbinden
durch Komplexierung je eines Histidins in Position B10 jedes Monomers drei
Dimere. Der vierte Ligand des Zinks ist jeweils ein Wassermolekül. Die natürliche
Sequenz des Insulins wird als "Wildtyp" bezeichnet. Jede Mutante, also jede
Variante des Wildtyps, die durch Punktmutationen, das heißt Austausch einer
bestimmten Aminosäure in eine beliebige andere Aminosäure, entsteht, erhält eine
Vorsilbe zum Proteinnamen. In der Vorsilbe wird vor der Sequenznummer die neu
eingeführte Aminosäure und hinter der Sequenznummer die ausgetauschte
Aminosäure des Wildtyps angegeben. Lys28BPro-Pro29BLys-Humaninsulin
bedeutet also, daß in der B-Kette des Humaninsulins die Aminosäuren Pro28 und
Lys29 ihre Positionen getauscht haben.
Offensichtlich sind diese beiden Aminosäuren spezifisch an der Dimerisierung
beteiligt, so daß die Variation ihrer Position den oben beschrieben Effekt des
Lispro-Insulins auslöst. In dem Dimer des Humaninsulins sind die beiden Monomere
in einer Kopf-Schwanz-Anordnung zusammengelagert. Einen besonders engen
Kontakt halten jeweils die Aminosäuren B21 bis B29 beider Monomere. Diese sind
wegen der Kopf-Schwanz-Anordnung gegenläufig ausgerichtet.
Die Stabilisierung des Dimers erfolgt über zwei Wasserstoffbrücken zwischen den
Peptidrückgrat-NH- beziehungsweise -C=O-Funktionen der beiden Aminosäuren
Phenylalanin 24 und Tyrosin 26 sowie über zwei Salzbrücken, die durch Lysin 29
und Glutaminsäure 21 gebildet werden. Beide Bindungsarten sorgen gemeinsam für
die starke Wechselwirkungsenergie zwischen den Monomeren.
Durch die Variation der Position des Lysins 29 kommt es zu einer Beeinträchtigung
der Salzbrücken. Wegen der Veränderungen in der Aminosäuresequenz gehen die
beiden geladenen Aminosäuren, die im Insulin-Wildtyp für die Salzbrücke
verantwortlich sind, auch andere ionische Wechselwirkungen ein. Die Glutaminsäure
21 bindet nun eher intramolekular an das Arginin 22, während Lysin 29 in
günstigerer Lage zum Carboxylat-Rest des Threonins 30 desselben Monomers liegt.
Zwar bleiben die Wasserstoffbrücken von Phe24 zu Tyr26 im Lispro-Hexamer
erhalten, doch reichen diese nicht mehr zur Ausbildung eines in Lösung stabilen
Dimers aus. Schon in dem entsprechenden Hexamer-Kristall ist der Abstand der
Monomere des Lispro-Insulins daher etwas vergrößert.
Interessant ist auch die Tatsache, daß im Lispro-Kristall die Symmetrie, die im
Insulin-Wildtyp-Kristall vorherrscht, verlorengegangen ist. Auch dies ist ein Zeichen
für das veränderte Bindungsverhalten zwischen den Monomeren. Auf der Grundlage
der beschriebenen verringerten Bindungskräfte zwischen den Lispro-Monomeren ist
leicht zu verstehen, daß das Lispro-Hexamer bei der Solvatation schnell vollständig
dissoziiert.
PZ-Artikel von Hans-Dieter Höltje und Gisela Jessen, Düsseldorf
© 1997 GOVI-Verlag
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