Pharmazie
Interferone werden seit einigen Jahren therapeutisch eingesetzt. Ende
1995 erhielt das in Bakterienzellen rekombinant hergestellte
Interteron-beta 1b (Betaferon®, Schering) die Zulassung. 1997 folgte das in
Säugetierzellen produzierte Interferon-beta la (Avonex®, Biogen), dessen
Struktur identisch ist mit dem humanen Zytokin. Im April erhält ein neues
Interterferon-beta 1a die europäische Zulassung für die Behandlung der
schubförmigen Multiplen Sklerose (MS). Die Fertigspritzen sollen bereits
im Mai auf den deutschen Markt kommen (Rebif®, Serono Pharma).
Nach Schätzungen der Deutschen MS-Gesellschaft leben etwa 120.000 Patienten
mit Multipler Sklerose in Deutschland. Bei jungen Erwachsenen nimmt die MS die
traurige Spitzenstellung unter den neurologischen Erkrankungen ein. Bislang ist sie
nicht heilbar. Vieles ist unklar: der genaue Verlauf, die exakte Prognose von Art und
Schwere des Geschehens und der Behinderung, die Identifizierung von
Therapie-Respondern und -Nonrespondern, die Subtypisierung. Generell
unterscheidet man fünf Verlaufsformen: gutartige, schubförmige
(rezidivierend-remittierend), transitorische, sekundär-progrediente und
primär-progrediente Verläufe. An der schubfömügen MS leiden etwa 35 Prozent
der Patienten.
Da der Spontanverlauf nicht vorhersehbar ist und die Erkrankung stark auf Placebo
anspricht, sind prospektive, randomisierte und kontrollierte Studien für einen
Wirksamkeitsnachweis nötig, forderte Dr. Dieter Pöhlau, Chefarzt der
Sauerlandklinik Hachen-Stundern, bei einer Pressekonferenz der Serono Pharma in
München. Ergebnisse der bislang größten Studie bei Patienten mit
schubförmig-remittierender MS stellte Professor Dr. Hans-Peter Hartung von der
Universitätsklinik für Neurologie in Graz vor. Die Studie ist nach Firmenangaben zur
Publikation bei Lancet eingereicht.
560 Patienten aus neun Ländern mit einem Behinderungsgrad von 0 bis 5,0 (EDSS
nach Kurtzke, mild bis stärker beeinträchtigt und behindert) nahmen teil erklärte
Hartung, der die deutschen Teilnehmer in Würzburg betreute. Die Patienten waren
im Schnitt 36 Jahre alt (69 Prozent Frauen). Sie erhielten über einen Zeitraum von
zwei Jahren dreimal wöchentlich subkutan entweder 22 µg (6 Millionen IU), 44 µg
(12MIU) Interferon-beta 1a (Rebif®) oder Placebo. Zielgrößen der Studie waren
die Schubfrequenz und -schwere, Behinderung und kernspintomographische
Parameter (pathobiologische Läsionen im ZNS). Nach 24 Monaten konnten die
Daten von 533 Patienten ausgewertet werden.
Dies sei die erste Studie, die die Wirksamkeit des Interferons auf drei
Schlüsselparameter der MS gezeigt habe, resümierte Hartung. Das Medikament
reduzierte signifikant Zahl und Schweregrad der Schübe und erhöhte die Zahl der
schubfreien Patienten sowie die Zeit bis zum Auftreten des ersten Schubs. Die
Progression der Erkrankung verzögerte sich deutlich. Im Kernspintomogramm zeigte
sich eine Reduktion der Krankheitsaktivität, gemessen an Zahl und Zunahme der
aktiven Läsionen (burden of disease). Diesbezüglich schnitt die höher dosierte
Gruppe signifikant besser ab als die 22-µg Gruppe.
Beide Dosierungen wurden relativ gut vertragen. Häufige Nebenwirkungen (in den
Verum- wie in der Placebogruppe(n)) waren Kopfschmerzen und grippeähnliche
Symptome. In den Verumgruppen traten häufiger Reaktionen an der Injektionsstelle
sowie Fieber auf.
MS ist behandelbar
"Wir sind noch weit entfernt von einer Therapie, die die Patienten stabil hält", sagte
Pöhlau. Dennoch zeigten die Studien, daß die schubförmige MS behandelbar sei und
aktive Krankheitsformen möglichst früh behandelt werden sollten. Neben der
Pharmakotherapie müsse alles getan werden, um den meist jungen Patienten ein
normales soziales Leben zu ermöglichen.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München
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