Antibiotika: Bakterien holen langsam auf |
23.03.1998 00:00 Uhr |
Pharmazie
Wie es zur Resistenzentwicklung kommt
"Bakterien können Resistenzen gegen Antibiotika erwerben, indem sie vorhandene
Gene durch Mutation verändern oder von außen Gene mit Resistenzeigenschaften
aufnehmen und diese Gene dann selbst exprimieren", erläuterte Professor Dr. Bernd
Wiedemann von der Universität Bonn das Prinzip der Resistenzbildung. Diese
Vorgänge seien rein zufällig. Alle Resistenzmechanismen folgen drei Prinzipien.
Entweder verändern die Bakterien den Rezeptor, an den das Antibiotikum angreift,
oder sie entwickeln Enzyme, die den Wirkstoff inaktivieren oder sie verändern ihre
Membrandurchlässigkeit und verhindern so die Penetration der Substanz zum
Rezeptor.
Wenn ein Resistenzgen in ein Transposon (springendes Gen) eingebaut wird, kann
es im zweiten Schritt in ein Plasmid integriert werden. Plasmide sind
extrachromosomale Gene in Bakterien, die in andere Bakterien übertragen werden
können.
Treibende Kraft für die eigentliche Ausbreitung der Resistenzgene sei der
Selektionsdruck, sagte Wiedemann weiter. Denn durch das Resistenzgen erhalten
die Bakterien einen Vorteil gegenüber nicht-resistenten Erregern. Diese Selektion
findet im Regelfall nicht in einer Erregerpopulation bei einer Infektionskrankheit oder
deren Behandlung statt. Üblicherweise siedeln sich die resistenten Bakterien erst in
den Schleimhäuten des Menschen an. Haben sie gegenüber ihrer nicht-resistenten
Elternpopulation keinen evolutionären Nachteil, können sie sich aus diesem Biotop
heraus ausbreiten.
Ausnahmen, die sich während einer Infektion ausbreiten, seien Enterobacter cloacae
bei ß-Laktamantibiotikaeinsatz, Enterobakterien bei der Therapie mit Nalidixinsäure
und fast alle Bakterien beim Einsatz von Rifampicin.
Ökonomische und medizinische Folgen
Die finanziellen Schäden sind enorm. Nach Schätzungen der Centers for Disease
Control kostet in den USA allein die Therapie von Infektionen mit
antibiotikaresistenten Mikroorganismen rund 4 Milliarden US-Dollar. Umgerechnet
auf die Bevölkerung der Bundesrepublik seien dies immerhin 2,4 Milliarden DM,
sagte Professor Dr. Reinhard Marre von der Universität Ulm. Verursacht werden
die zusätzlichen Kosten durch das Zurückgreifen auf teurere Alternativantibiotika,
die längere Aufenthaltszeit im Krankenhaus und die erforderliche teure Hygiene.
Marre warnte aber nicht nur vor den ökonomischen Folgen: Wenn der Ausbreitung
der Resistenzen nicht konsequent begegnet werde, vergebe die Medizin die
einzigartige Chance, eine lebensbedrohliche Krankheit durch Medikamentengabe
vollständig zu heilen.
Epidemiologie als Basis für Gegenstrategien
Als wichtige Strategien gegen die Resistenzen nannte er die Erhebung
infektionsepidemiologischer Daten, die darauf aufbauende Ausarbeitung von
Therapierichtlinien und die bessere Aus- und Fortbildung der Ärzteschaft in
Infektiologie. Die Kenntnis vieler Ärzte über den richtigen Gebrauch von Antibiotika
sei unzureichend, sagte Marre. Die Aufnahme der Klinischen Infektiologie in den
Entwurf zur neuen Approbationsordnung bezeichnete er als Schritt in die richtige
Richtung.
Auch Peters forderte eine nationale und globale Resistenzepidemiologie sowie eine
bessere Ausbildung der Ärzte. Darüber hinaus müsse das Krankenhausmanagement
verbessert werden. Erforderlich sei außerdem eine breite zielgerichtete
Grundlagenforschung.
Resistenzen sind nicht unvermeidbar. Die Situation in den Niederlanden belege, daß
die Ausbreitung resistenter Erreger durch ein rigides Therapiemanagement und
konsequente Meldepflicht gestoppt werden könne, sagte der Münsteraner
Infektiologe in Mayschoß. In Holland gebe es praktisch keine MRSA, weil jeder
Ausbruch konsequent therapiert werde und die Verlegung eines Patienten von einem
Krankenhaus in ein anderes nur möglich sei, wenn dieser nachweislich keine
MRSA-Infektion habe. Deutsche Krankenhäuser melden MRSA-Infektionen
dagegen nicht grundsätzlich.
Doch nicht nur medizinische Vorgaben können zur Verbesserung der
Infektionstherapie führen. Auch gesundheitsökonomische Vorgaben seien dazu
geeignet, glaubt Marre. Heute orientiere sich die Medikamentenauswahl des Arztes
stark am Preis. Dadurch würden preiswerte Präparate wie Tetrazykline gerne und
häufig verschrieben. Bei einer künstlichen Verteuerung der Antibiotika sei damit zu
rechnen, daß sie nur noch bei tatsächlich therapierbaren Infektionen eingesetzt
würden.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Mayschoß
© 1997 GOVI-Verlag
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