Pharmazie
Die Parkinsonsche Krankheit (Morbus Parkinson) ist eine Erkrankung des
extrapyramidal-motorischen Systems, welches unter anderem die
Stammganglien (zum Beispiel Nucleus caudatus, Putamen, Globus pallidus,
Substantia nigra) umfaßt, und über absteigende Bahnen die motorischen
Vorderhornzellen im Rückenmark beeinflußt. Es handelt sich um eine
idiopathische, langsam fortschreitende degenerative Erkrankung des
Zentralnervensystems mit vier charakteristischen Merkmalen:
Bewegungsarmut und -verlangsamung (Hypo-, Akinese), Rigor (Steifigkeit)
der Muskulatur, Ruhetremor und Instabilität der Körperhaltung. Hinzu
kommen in variablem Ausmaß vegetative Symptome wie beispielsweise
Sialorrhoe und Seborrhoe.
Als Ursache dieser motorischen und vegetativen Störungen wird der Untergang von
dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra, dem Locus coeruleus und in
weiteren Zellgruppen des Hirnstamms angesehen. Der Verlust der Neurone der
Substantia nigra, deren dopaminerge Axone zum Striatum (Nucleus caudatus und
Putamen) ziehen, führt zu einem verminderten Angebot des Neurotransmitters
Dopamin in dieser Region.
Eine Kausaltherapie des M. Parkinson ist derzeit nicht möglich. Die medikamentöse
Behandlung beschränkt sich auf den Ausgleich des entstandenen
Neurotransmitterungleichgewichtes im Striatum. Der Mangel an hemmenden
dopaminergen Einflüssen wird durch Substitution des Neurotransmitters
beziehungsweise dessen Vorstufe Levodopa (Dopaflex) sowie mittels
Dopaminagonisten, zum Beispiel Lisurid (Dopergin), ausgeglichen. Das Überwiegen
erregender cholinerger Einflüsse wird durch Gabe von Anticholinergika, zum Beispiel
Biperiden (Akineton und andere), unterdrückt. Seit September letzten Jahres steht
nun auch ein Catechol-O-Methyltransferase(COMT)-Hemmer - Tolcapon (Tasmar)
- zur Behandlung des M. Parkinson in Deutschland zur Verfügung.
Indikationen und Anwendung
Tasmar ist in Kombination mit Levodopa/Benserazid (Madopar und andere) oder
Levodopa/Carbidopa (NACOM und andere) für die Behandlung des M. Parkinson
zugelassen. Es wird bei solchen Patienten eingesetzt, bei denen die Erkrankung unter
der Levodopa/Decarboxylasehemmer-Kombinationstherapie nicht stabilisiert
werden kann, insbesondere bei Patienten mit motorischen Fluktuationen, die bereits
"End-of-Dose"-Phänomene aufweisen.
Tolcapon wird dreimal täglich verabreicht. Die erste tägliche Gabe von Tolcapon
sollte zeitgleich mit der Levodopa-Gabe erfolgen. Die folgenden Dosen sollten etwa
6 und 12 h danach verabreicht werden. Tolcapon kann unabhängig von den
Mahlzeiten eingenommen werden. Die Tabletten sollten ganz geschluckt werden, da
Tolcapon einen bitteren Geschmack hat.Die Behandlung sollte mit dreimal täglich
100 mg Tolcapon beginnen. Während der Behandlung sollte die Levodopa-Dosis
bedarfsmäßig angepaßt, das heißt in der Regel reduziert werden. Klinische
Prüfungen haben gezeigt, daß bei der Mehrzahl der Patienten, deren tägliche
Levodopa-Dosis über 600 mg lag, oder bei Patienten mit mäßiger oder schweren
Dyskinesien eine Reduktion der Levodopa-Dosis erforderlich war. Dies sowie die
individuelle Empfindlichkeit der Patienten sollte im Sinne einer Dosisanpassung
bereits zu Beginn der Behandlung mit Tolcapon berücksichtigt werden.
Nach Anpassung der Levodopa-Dosis kann die Tolcaponmenge auf dreimal täglich
200 mg erhöht werden, sofern weitere Verbesserungen ohne dosislimitierende
dopaminerge Nebenwirkungen zu erwarten sind. Die Dosiserhöhung kann eine
erneute Anpassung der Levodopa-Dosis erforderlich machen. Eine weitere
Dosiserhöhung ist nicht empfehlenswert, da keine Hinweise auf eine verbesserte
Wirksamkeit bei Dosierungen über 600 mg Tolcapon pro Tag vorliegen.
Bei Patienten mit mäßigen Leberfunktionsstörungen sollte die Dosis nicht auf dreimal
täglich 200 mg Tolcapon erhöht werden. Bei Patienten mit leichten bis mittleren
Nierenfunktionsstörungen (Kreatinin-Clearance > 30 ml/min) ist keine
Dosisanpassung notwendig.
Wirkung und Wirkungsmechanismus
Hauptproblem der langjährigen Levodopa-Therapie sind zunehmende
Wirkungsschwankungen (motorische Fluktuationen), da die Speicherkapazität der
Neurone für Dopamin mit der Therapiedauer abnimmt. Durch Eingriff in die
Levodopa-Stoffwechselwege sollen konstantere Levodopa- beziehungsweise
Dopaminspiegel im Gehirngewebe erzielt werden. Durch Hemmung der peripheren
Decarboxylase wird die Decarboxylierung in der Peripherie verhindert, wodurch
dem Gehirn größere Mengen an Levodopa beziehungsweise Dopamin zur
Verfügung stehen.
Ein weiterer Abbauweg des Levodopas ist die 0-Methylierung zu 3-OMD
(3-0-Methyl-Dopa beziehungsweise 3-Methoxy-4-hydroxy-L-phenylalanin) über
die Catechol-O-Methyltransferase (COMT). Die entstehenden hohen
3-OMD-Plasmakonzentrationen sind mit einem schlechten Ansprechen von
Parkinsonpatienten auf die Levodopa-Therapie in Verbindung gebracht worden.
Tolcapon hemmt selektiv und reversibel die COMT sowohl in der Peripherie als
auch im Gehirn. Es fungiert selbst als Substrat der COMT. Das Molekül trägt zwei
elektronenziehende Substituenten und gibt selbst leicht ein Proton ab. Das
resultierende Anion hat eine hohe Affinität zur COMT und blockiert den Zugang von
Substraten wie beispielsweise Catecholaminen und Levodopa zum Zentrum, an dem
die 0-Methylierung katalysiert wird. Die gleichzeitige Gabe von Tolcapon mit
Levodopa und einem Decarboxylasehemmer aromatischer Aminosäuren bewirkt
somit stabilere cerebrale Plasmaspiegel von Levodopa, indem zusätzlich zur
peripheren Decarboxylierung auch die 0-Methylierung des Levodopa verhindert
wird.
Wertende Zusammenfassung
Schwerpunkt der Parkinsontherapie ist die Behandlung mit Levodopa, die darauf
abzielt, das Dopamin-Defizit im Gehirn auszugleichen. Im Gegensatz zu Dopamin
kann Levodopa, die unmittelbare Vorstufe in der Biosynthese, die Bluthirnschranke
passieren, gelangt in das ZNS und wird dort zu Dopamin decarboxyliert. Damit dies
Decarboxylierung nicht bereits in der Peripherie erfolgt, wird Levodopa in einer
Kombination mit Decarboxylasehemmern wie Benserazid oder Carbidopa
verabreicht. In dieser Kombination kann die Dosierung von Levodopa und damit
auch das Auftreten von Nebenwirkungen durch das in der Peripherie gebildete
Dopamin reduziert werden. Etwa die Hälfte aller Parkinsonpatienten entwickelt
allerdings nach langjähriger Levopopa-Therapie motorische Fluktuationen
(On-Off-Phänomen), die den Patienten in seiner Beweglichkeit stark beeinträchtigen
und psychisch belasten.
Mit Tolcapon kam nun ein COMT-Hemmer auf den Markt, der das Auftreten
solcher Komplikationen lindert oder zumindest hinauszögert. Dies kann nur erreicht
werden, wenn die Dosierung von Levodopa auf ein wirksames Minimum reduziert
und zugleich eine Konstanz der Arzneistoffkonzentration im Hirngewebe
herbeigeführt wird. Durch zusätzliche Blockade der COMT werden im Rahmen
dieser Kombinationstherapie (Levodopa plus Decarboxylasehemmer plus Tolcapon)
die beiden Hauptabbauwege des Levodopa gehemmt. Die Bioverfügbarkeit und
damit auch die Konstanz der Dopaminspiegel im Gehirn werden optimiert, so daß
die Dosierung von Levodopa auf ein Minimum reduziert werden kann.
Unter der gleichzeitigen Behandlung mit Tolcapon wurden die Phasen besserer
Beweglichkeit auch im Vergleich zu anderen Antiparkinsonmitteln verlängert und das
Auftreten der motorischen Störungen (Unbeweglichkeit) reduziert bezeihungsweise
verzögert. Als häufigste Nebenwirkungen wurden unter anderem Dyskinesien,
Schlafstörungen und Störungen des Magen-Darm-Traktes beobachtet.
PZ-Artikel von Barbara Peruche und Martin Schulz, Eschborn
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