Pharmazie
"Die Krankheit gibt es schon
viel länger, als wir sie in Lehrbüchern finden",
betonte Professor Dr. Ulrich Wahn, Kinderklinik der
Freien Universität Berlin, auf dem Pharmacon der
Bundesapothekerkammer in Davos. Bereits im vergangenen
Jahrhundert hätten Hebammen gewußt, daß Neugeborene,
deren Haut einen salzigen Geschmack hatte, nicht alt
werden würden. Tatsächlich starben früher 60 bis 80
Prozent dieser Kinder in den ersten zwei Lebensjahren an
der Erkrankung, die damals noch keinen Namen hatte und
deren Ursache man nicht kannte.
Heute heißt sie Mukoviszidose, cystische
Fibrose oder "Krankheit des zähen Schleims".
Sie ist rezessiv vererbbar und geht auf einen Gendefekt
auf dem langen Arm des 7. Chromsoms zurück; es gibt
Therapiemöglichkeiten und die Patienten erreichen
durchschnittlich das 20. bis 30. Lebensjahr. Aber:
Heilung ist auch heute noch nicht möglich. Rund jeder
25. ist Träger des defekten Gens, erklärte Wahn. Man
kennt inzwischen rund 300 Mutationen, die das Genprodukt
des defekten Gens betreffen. Am häufigsten: Delta F 507,
eine Punktmutation der 507. Aminosäure, die sich bei
fast drei Viertel der deutschen CF-Patienten nachweisen
läßt. Infolge des Gendefekts kommt es zur
Funktionsbeeinträchtigung eines Proteins, das für den
Chloridtransport in den Zellmembranen von Epithelzellen
unter anderem im Respirationstrakt, in der
Bauchspeicheldrüse und den Schweißdrüsen zuständig
ist.
Leitsymptom ist laut Wahn die exokrine
Pankreasinsuffizienz mit Maldigestion. Resultat:
Untergewicht und Wachstumsverzögerungen der Kinder und
übelriechende Fettstühle. Die Atemwege von CF-Patienten
sind mit zähem Schleim verstopft - pro Tag werden davon
200 bis 300 ml produziert - und bilden ein optimales
Nährmedium für Keime. Wahn: "Die Lebenserwartung
der Patienten wird durch die komplizierenden Infektionen
der Atemwege bestimmt. Allen voran Pseudomonas
aeruginosa."
Die Behandlung der Mukoviszidose hat nach Worten des
Pädiaters drei Standbeine: die Ernährungstherapie mit
gleichzeitiger Höchstdosis-Supplemetierung von
Pankreasfermenten, die Physiotherapie (autogene Drainage)
zur Unterstützung der Schleimverflüssigung und die
antibiotische Behandlung (3.-Generations-Cephalosporine)
der Atemwegsinfektionen. Einen hohen Stellenwert räumt
Wahn der Ernährungstherapie ein. Infolge der
Malabsorption und des erhöhten Energieverbrauchs bei
CF-Patienten bestehe ein rund 50 Prozent höherer
Nährstoffbedarf als bei gesunden Gleichaltrigen.
Aufgrund der chronischen Appetitlosigkeit bei
Mukovsizidose-Kindern sei der Bedarf durch normale
Nährstoffzufuhr kaum zu decken; daher: zusätzlich
hochkalorische Sondennahrung (auch nachts).
Ein weiterer Bestandteil der Dauertherapie sind laut Wahn
sekretolytische Substanzen wie Acetycystein oder
ß-Sympathomimetika. Zu den neueren, zum Teil noch nicht
evaluierten Therapieansätzen gehöre der Einsatz von
Antiprotease, von antiinflammatorischen Wirkstoffen oder
von rekombinanter DNAse. Letztere bewirkt durch
Verflüssigung des zähen Bronchialsekrets eine Besserung
der Lungenfunktion um 5 bis 10 Prozent. Die jährlichen
Kosten betragen allerdings 20000 DM.
"Das lebenlimitierende Organ der
Mukoviszidosepatienten ist die Lunge", betonte Wahn.
Infolge ihrer zunehmenden Fibrosierung im
fortschreitenden Verlauf der Erkrankung ende jeder
CF-Kranke irgendwann am Sauerstoffgerät, "selbst
drei Schritte sind dann zuviel". Die letzte
Möglichkeit sei eine Lungentransplantation. Man dürfe
jedoch nicht vergessen, daß auch damit keine Heilung
erreicht werde, hob er hervor. Denn die anderen von CF
betroffenen Organe bleiben weiterhin in ihrer Funktion
gestört.
Hoffnung auf eine kausale Behandlung der Mukoviszidose
bietet laut Wahn die Gentherapie: Man versucht, über
Virusvektoren oder Liposomen den Patienten das gesunde
Gen einzuschleusen. "Wenn nur 5 Prozent der
Epithelzellen es schaffen, das gesunde Gen zu
inkorporieren, ist mit einer normalen Schleimproduktion
zu rechnen". Erste Versuche laufen in England und
den USA, die Umsetzung ist bisher jedoch schwierig. Bis
zu einer Realisierung müsse man mit mindestens noch 6
bis 8 Jahren rechnen, vermutet der Pädiater.
PZ-Artikel von Bettina Schwarz, Davos
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