Ein geschädigter Herzmuskel wächst nicht nach. Kontraktile Patches aus Herzmuskel- und Bindegewebszellen, die auf den Herzmuskel aufgenäht werden, könnten in Zukunft eine Therapieoption werden. / © Getty Images/Nadzeya Haroshka
Ein aus bestimmten Stammzellen gezüchtetes sogenanntes Herzpflaster kann offenbar Menschen mit einer schweren Herzschwäche helfen. Das zeigt ein im Fachmagazin »Nature« veröffentlichter Machbarkeitsnachweis, der den Ansatz unter Federführung der Uniklinik Göttingen erstmals am Menschen geprüft hat. In Deutschland kämen für die Therapie den Forschenden zufolge etwa 200.000 Menschen infrage.
Eine Herzinsuffizienz betrifft in Deutschland Schätzungen zufolge rund zwei Millionen Menschen. Dabei lässt die Pumpkraft des Herzens allmählich nach, meist infolge anderer Probleme wie koronarer Herzkrankheit, Bluthochdruck oder Herzmuskelentzündung. Hauptsymptome sind eine geringe Leistungsfähigkeit und Luftnot. Bislang werden Medikamente eingesetzt, zudem raten Ärzte zu regelmäßiger Bewegung und gesunder Ernährung. Bei schwerer Herzinsuffizienz sind die Betroffenen mitunter auf ein Spenderherz angewiesen.
Einen anderen Ansatz hat das Team um Professor Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Uniklinik Göttingen entwickelt. Er beruht auf Körperzellen, die im Labor in das Stammzell-Stadium überführt werden. Diese induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) können sich dann wieder zu verschiedenen Körperzellen entwickeln.
Für die kontraktilen Patches wird aus den iPS-Zellen Herzmuskelgewebe gezüchtet, das sowohl Herzmuskelzellen als auch Bindegewebszellen enthält. Die Herstellung dauert laut Zimmermann etwa drei Monate. Das etwa 100 Quadratzentimeter große Implantat wird auf den geschwächten Herzmuskel aufgebracht und soll die Pumpleistung dauerhaft erhöhen. »Kein einziges Arzneimittel führt bislang dazu, dass auch nur eine neue Herzmuskelzelle entsteht«, erklärte Zimmermann vergangenen November bei einer Fortbildungsveranstaltung für Apotheker in Warnemünde, bei der er Einblicke in seine Forschung gab.
Zunächst wurde das »Herzpflaster« an Ratten und Rhesusaffen getestet. Diese Versuche, die über drei bis sechs Monate liefen, bestätigten, dass die aus 40 bis 200 Millionen Herzzellen bestehenden Implantate die Herzfunktion verbessern. »Wir konnten im Tiermodell zeigen, dass die Implantation von ›Herzpflastern‹ zum dauerhaften Aufbau des Herzmuskels bei Herzinsuffizienz geeignet ist«, wird Zimmermann in einer Mitteilung der Uniklinik zitiert. Nach diesen Resultaten genehmigte das Paul-Ehrlich-Institut die weltweit erste Studie mit dem Verfahren am Menschen.
Die Patches sind sechseckig, etwa 4 cm im Durchmesser und 5 mm dick. Es können mehrere miteinander und aufeinander vernäht werden. / © UKSH
In »Nature« beschreibt das Team eine Patientin: Die 46-Jährige hatte eine fortgeschrittene Herzschwäche mit Begleiterkrankungen wie etwa Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Sie hatte im Jahr 2016 einen Herzinfarkt, entwickelte dann eine Herzschwäche und bekam im Sommer 2021 das aus 400 Millionen Herzzellen bestehende »Herzpflaster« implantiert. Als die Frau sich im folgenden Oktober einer Herztransplantation unterzog, konnte das Team das entnommene Herz samt Implantat genau untersuchen. Schon in diesen drei Monaten war die Pumpleistung der linken Herzkammer – die bei gesunden Menschen laut Zimmermann bei etwa 60 Prozent liegt – von 35 auf 39 Prozent gestiegen.
Die Analyse belege erstmals, »dass Herzmuskelreparatur durch Herzmuskelwiederaufbau auch im Menschen möglich ist«. Angesichts der Resultate sei die Dosis pro Pflaster von 400 Millionen auf 800 Millionen Herzzellen erhöht worden.
Inzwischen wurde die klinische Studie namens BIOVAT-HF-DZHK20 ausgedehnt: Bislang erhielten bereits 15 Menschen nach Angaben der Uniklinik ein solches Implantat. Insgesamt sollen 53 Menschen eines bekommen. Erste klinische Ergebnisse werden demnach Ende 2025 erwartet.
Eigentlich soll das Implantat bei Betroffenen die Zeit überbrücken, bis wie bei der beschriebenen Patientin ein Herztransplantat verfügbar ist, als Alternative zu einer mechanischen Pumpe. Doch Zimmermann kann sich vorstellen, dass das Implantat auch eine dauerhafte Lösung sein könnte. Zwar müssen die Behandelten nach dem Eingriff lebenslang Immunsuppressiva einnehmen. Hinweise auf größere Nebenwirkungen oder gar ein erhöhtes Tumorrisiko sieht Zimmermann aber nicht. Bisher habe man Nachbeobachtungszeiten von bis zu knapp vier Jahren.
Die zur Herstellung der iPS-Zellen genutzten Körperzellen stammten nicht von den Patienten selbst. Dafür wäre der Aufwand nach Angaben der Forscher zu hoch. Zudem gebe es auch bei der Nutzung von eigenen Körperzellen für das Verfahren Abstoßungsreaktionen, wie Versuche mit Affen gezeigt hatten.
Infrage für eine solche Therapie kommt laut Zimmermann etwa jeder zehnte Mensch mit einer Herzschwäche – das wären bundesweit etwa 200.000 Menschen. Derzeit plane man eine Zulassungsstudie für das Verfahren, die eventuell schon 2026 starten könnte. Zudem beantrage man eine Ausnahmegenehmigung für Krankenhäuser, die es ermöglichen würde, weitere Patienten auch schon vor einer offiziellen Zulassung des Verfahrens zu behandeln. »Wir hoffen, dass wir irgendwann in den Leitlinien für Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz vor der Herztransplantation oder Pumpe landen«, hatte Zimmermann im November gesagt.
Stammzell-basierte Therapieverfahren könnten in Zukunft möglicherweise auch bei anderen Erkrankungen helfen, etwa bei der Parkinson-Krankheit, bei Typ-1-Diabetes oder bei Netzhauterkrankungen wie der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD).