Persönliche Gentherapie auf Bestellung |
Theo Dingermann |
16.05.2025 15:00 Uhr |
Ein Junge in den USA hat erstmals eine personalisierte Gentherapie erhalten, um seine seltene Stoffwechselstörung zu behandeln. / © Getty Images/Jamie Grill/Blend Images LLC
Gentherapiestrategien auf Basis der CRISPR/Cas9-Technologie sind mit der Behandlung von Erbkrankheiten wie der Sichelzellenanämie, der β-Thalassämie und dem hereditären Angioödem bereits stabil in der Klinik angekommen. Da bei diesen Therapien Stammzellen modifiziert werden, sind sie allerdings mit den aufwendigen Maßnahmen einer Knochenmarktransplantation verbunden.
Jetzt berichten Forschende um Professor Dr. Kiran Musunuru vom Children’s Hospital of Philadelphia und der Perelman School of Medicine an der University of Pennsylvania im »New England Journal of Medicine« von der erfolgreichen Korrektur einer Mutation im Gen für das Enzym Carbamoylphosphat-Synthetase-1 (CPS1) bei einem Neugeborenen, der zwei defekte Kopien von seinen Eltern geerbt hatte.
Die Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, innerhalb weniger Monate eine maßgeschneiderte, potenziell kurative Therapie zu entwickeln – unter höchstem Zeitdruck, unter Einsatz innovativer Technologien und durch sektorübergreifende Kooperation. Sollte sich die Übertragbarkeit auf andere Erkrankungen bestätigen, könnte diese Strategie die Gentherapie revolutionieren.
Korrigiert wurde die vom Vater geerbte Punktmutation Q335X, bei der die Aminosäure Glutamin (Q) in ein Stopp-Codon umgewandelt wird. Zwar hatte das Kind auch eine Nonsense-Mutation (E714X) von der Mutter geerbt. Da es sich jedoch bei einem CPS1-Mangel um eine rezessive Erbkrankheit handelt, sollte die Korrektur einer der beiden Mutationen ausreichen, um die Krankheit zu heilen.
CPS1 ist eine Ligase, die hauptsächlich in der Leber gebildet wird und eine wichtige Rolle im Harnstoffstoffwechsel hat. Durch den Funktionsverlust von CPS1 entsteht eine extrem seltene angeborene Stoffwechselerkrankung mit Störung des Harnstoffzyklus, die ohne Behandlung rasch zu einem toxischen Ammoniaküberschuss im Blut und in der Folge zu schweren neurologischen Schäden oder Tod führt.
Durch eine Lebertransplantation lässt sich zwar ein funktionierender Harnstoffzyklus wiederherstellen. Allerdings treten bei Säuglingen häufig hyperammonämische Krisen und irreversible neurologische Schäden auf, bevor sie groß genug für eine Transplantation sind. Bei circa 50 Prozent der Patienten führt die Krankheit bereits im Säuglingsalter zum Tod.
Die Vorbereitungen zu dieser ersten maßgeschneiderten Therapie auf Basis eines CRISPR-Base-Editing-Verfahrens, bei dem einzelne Basen der DNA korrigiert werden können, begannen unmittelbar nach der Diagnose.
Dabei wählte das Team einen Ansatz, bei dem der Editierkomplex, bestehend aus der personalisierten CRISPR-guide RNA (gRNA) und einer mRNA, die für eine DNA-editierende Enzymvariante des Cas-Enzyms codiert, in Lipidnanopartikel verkapselt ist. Die Lipidhülle schützt zum einen die mRNA vor einer Degradation im Blut und sichert zum anderen eine gezielte Freisetzung des Editierkomplexes in der Leber.
Nach Translation der mRNA ändert der Basen-Editor (NGC-ABE8e-V106W) dann eine einzelne DNA-Base an der Mutationsstelle im Lebergewebe, um die Funktion des CPS1-Gens wiederherzustellen. Dabei war die gRNA, die den Proteinkomplex an die Zielstelle im CPS1-Gen führt, auf die Mutation des Jungen angepasst.
Um die Sicherheit der Therapie so gut wie möglich zu gewährleisten, waren vor dem Einsatz sowohl ein Zellmodell (HuH-7-Zellen) als auch ein Mausmodell (Rosa26-Q335X-Mäuse) mit den mutierten Genvarianten des Patienten hergestellt worden, an denen das Therapiekonzept erprobt werden konnte. Toxikologische Studien wurden an Javaner-Affen durchgeführt. Diese zeigten keine klinisch relevanten Nebenwirkungen. Zudem belegten die Forschenden durch Off-Target-Analysen nur minimale Effekte außerhalb codierender Bereiche im Genom, die zudem nicht mit krebsrelevanten Genen assoziiert waren.
Die Behandlung erfolgte nach einer Zulassung durch die US-amerikanische Behörde FDA im Rahmen eines beschleunigten Zulassungsverfahrens für individuelle Therapien. Die initiale Dosis betrug 0,1 mg/kg, die zweite Dosis 0,3 mg/kg RNA. Beide Dosen wurden dem Patienten im Alter von sieben und acht Monaten intravenös verabreicht. Zur Vermeidung einer Immunreaktion gegen das nach der Therapie erstmals intakt exprimierte CPS1-Protein wurde eine steroidsparende Immunsuppression mit Sirolimus und Tacrolimus eingeleitet.
Bereits nach der ersten Dosis konnte bei dem Patienten die Proteinaufnahme gesteigert werden. Nach der zweiten Dosis blieb die Toleranz gegenüber der Carbamoylphosphat-Synthetase-1 auch während zweier viraler Infekte erhalten. Zudem ging der Ammoniakspiegel im Median von 23 auf 13 µmol/l deutlich zurück. Die Behandlung mit Glycerolphenylbutyrat als stickstoffbindendes Medikament konnte auf 50 Prozent der Ausgangsdosis reduziert werden. Zu guter Letzt blieb auch der neurologische Status des Patienten nach der Therapie stabil und das Kind nahm zu: von 7,14 kg (9. Perzentile) vor der Therapie auf 8,17 kg (26. Perzentile) nach der Therapie.
Dem Science Media Center gegenüber unterstreicht Professorin Dr. Maja Hempel, Leiterin der Genetischen Poliklinik und stellvertretende Ärztliche Direktorin des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg, dass der Fallbericht eindrucksvoll zeige, dass durch Parallelisierung der Prozesse – Entwicklung, Prüfung im Zell- und Tiermodell und Zulassung – eine individualisierte Gentherapie innerhalb von wenigen Monaten zur Anwendung kommen kann. Die Therapie musste personalisiert werden, weil »die spezifischen, bei dem Kind zur Erkrankung führenden Genveränderungen sehr selten beziehungsweise einzigartig sind«.
Professor Dr. Julian Grünewald, Assistant Professor für Gene Editing an der Technische Universität München (TUM), betont, dass diese rasche Entwicklung einer maßgeschneiderten CRISPR/Cas-Therapie für einen einzelnen Patienten, einen sogenannten »n=1 (oder N-of-1) Fall«, ein Meilenstein der Geneditierung und der Gen- und Zelltherapie im Allgemeinen ist. Und er ergänzt, dass die Wahrscheinlichkeit eines dauerhaften Nutzens hoch sei, wie dies zumindest in bisherigen Primatenexperimenten gezeigt wurde, in denen nach einmaliger Geneditierung in der Leber über Jahre ein stabiler Effekt gesehen wurde.