Pemigatinib in der Zweitlinie |
Sven Siebenand |
01.06.2021 07:00 Uhr |
Das Cholangiokarzinom ist eine seltene Krebsart, die sich im Gallengang entwickelt, einem dünnen Kanal, das die Leber mit der Gallenblase und dem Dünndarm verbindet. Die Erkrankung tritt zumeist im Alter über 65 Jahre auf. / Foto: Adobe Stock/nerthuz
Das Cholangiokarzinom (CCA) ist eine seltene Krebsart, die sich im Gallengang entwickelt. In Deutschland liegt die Inzidenz der Neuerkrankungen beim CCA zwischen 6000 und 7000 Fällen pro Jahr. Das CCA ist aufgrund unspezifischer Symptome wie Bauchschmerzen, Nachtschweiß und Müdigkeit schwer zu diagnostizieren. Ein chirurgischer Eingriff (Resektion) kann zur Heilung führen, kommt aber bei vielen Patienten nicht infrage. Zudem ist die Rezidivrate des CCA nach einer Tumor-OP hoch. Kann nicht operiert werden, sieht die palliative Erstlinientherapie eine Chemotherapie auf Basis von Gemcitabin und Cisplatin vor. Für das inoperable CCA gibt es bislang keine Standardtherapie, die über die Erstlinien-Chemotherapie hinausgeht.
Klassifiziert wird das CCA nach seinem Ursprung: Das intrahepatische Cholangiokarzinom (iCCA) tritt im Gallengang innerhalb der Leber auf, das extrahepatische Cholangiokarzinom (eCCA) im Gallengang außerhalb der Leber. Beim CCA sind oft genetische Veränderungen nachweisbar. Dazu zählen Fusionen oder Rearrangements des Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptors 2 (Fibroblast Growth Factor Receptor 2, FGFR2), die fast ausschließlich beim iCCA auftreten und bei 10 bis 16 Prozent der Patienten beobachtet werden. Sie gelten als starke onkogene Treiber. Denn sie können eine ligandenunabhängige Rezeptor-Dimerisierung fördern. Die FGFR2-Dimerisierung aktiviert dann den FGFR-Signalweg, der an zellulären Prozessen wie Proliferation, Überleben, Migration und Angiogenese beteiligt ist.
Der Kinasehemmer Pemigatinib (Pemazyre® 4,5/9/13,5 mg Tabletten, Incyte) greift in dieses Geschehen ein. Der Wirkstoff ist ein oraler, selektiver Hemmer der FGFR-Isoformen 1, 2 und 3, der die FGFR-Phosphorylierung und -Signalübertragung hemmt. Pemigatinib darf als Monotherapie für die Behandlung von Erwachsenen mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem CCA mit FGFR2-Fusion oder -Rearrangement, das nach mindestens einer früheren systemischen Therapielinie fortgeschritten ist, eingesetzt werden.
Um Patienten zu identifizieren, die von Pemigatinib profitieren könnten, sind molekularbiologische Untersuchungen des Tumors notwendig. Die eingesetzten Verfahren müssen in der Lage sein, FGFR2-Fusionen und -Rearrangements mit bekannten und neuartigen Partnergenen nachzuweisen.
Die empfohlene Dosis beträgt 13,5 mg einmal täglich für zwei Wochen, gefolgt von sieben Tagen ohne Therapie. Wenn gleichzeitig ein starker CYP3A4-Inhibitor eingenommen wird, sollte die Dosis auf 9 mg gesenkt werden. Die gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Induktoren solle vermieden werden, da sie sich negativ auf die Wirksamkeit von Pemigatinib auswirken kann. Kontraindiziert unter Pemigatinib-Einnahme ist die gleichzeitige Anwendung von Johanniskraut.
Eine weitere in der Fachinformation von Pemazyre berichtete Wechselwirkung betrifft die Kombination mit Protonenpumpenhemmern. Diese sollte vermieden werden, da es zu einer signifikant verringerten Exposition von Pemigatinib kommen kann.
Die Zulassung »unter besonderen Bedingungen« basiert auf Daten aus der einarmigen Phase-II-Studie Fight-202 von 108 Patienten mit vorbehandeltem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem CCA und bestätigten FGFR2-Fusionen oder -Rearrangements. Die wichtigsten Wirksamkeitsparameter waren die objektive Ansprechrate (ORR) und die Dauer des Ansprechens (DOR). 37 Prozent der Patienten erzielten ein ORR, wobei es sich meistens um ein teilweises und nur selten um ein vollständiges Ansprechen handelte. Die DOR betrug etwa acht Monate. Das mittlere progressionsfreie Überleben betrug etwa sieben Monate.
Die häufigste Nebenwirkung vom Pemigatinib ist Hyperphosphatämie (61 Prozent der Teilnehmer der Zulassungsstudie). Diese kann zur Ausfällung von Calcium-Phosphat-Kristallen führen, die zum Beispiel eine Hypokalzämie, Krampfanfälle, eine QT-Zeit-Verlängerung und Arrhythmien bedingen kann. Empfehlungen für die Behandlung der Hyperphosphatämie umfassen die diätetische Phosphatrestriktion, die Verabreichung einer phosphatsenkenden Therapie und, falls erforderlich, eine Dosisänderung.
Warum kommt es zur Hyperphosphatämie? FGFR-Inhibitoren wie Pemigatinib können in der Niere die FGF23-vermittelte Blockade der Reabsorption von Phosphat aus dem Urin aufheben. FGF23 ist ein aus dem Knochen stammendes Hormon, das an FGFR1c auf renalen Zellen bindet und dadurch den Signalweg aktiviert, der die Reabsorption von Phosphat unterbindet. Die pharmakologische Inhibierung des FGF-Rezeptors führt dazu, dass mehr Phosphat aus dem Urin reabsorbiert wird und somit der Spiegel im Blut steigt.
Ebenfalls sehr häufig wurden unter Pemigatinib unter anderem Alopezie (50 Prozent), Diarrhö (47 Prozent), Nageltoxizität (45 Prozent), Ermüdung (44 Prozent), Übelkeit (42 Prozent), Geschmacksstörung (41 Prozent), Stomatitis (37 Prozent), Obstipation (37 Prozent), Mundtrockenheit (34 Prozent) und trockenes Auge (28 Prozent) beobachtet.
In der Schwangerschaft darf der neue Kinasehemmer nicht eingenommen werden, es sei denn, die Behandlung der Frau ist aufgrund ihres klinischen Zustands erforderlich. Das Stillen sollte während der Behandlung und für eine Woche nach Abschluss der Gabe unterbrochen werden. Frauen im gebärfähigen Alter, die mit Pemigatinib behandelt werden, sollte geraten werden, nicht schwanger zu werden, und Männern, die mit Pemigatinib behandelt werden, sollte geraten werden, während der Behandlung kein Kind zu zeugen.
Für das Cholangiokarzinom (CCA) stehen nur begrenzte Therapieoptionen zur Verfügung. Die zielgerichtete Therapie mit dem Kinasehemmer Pemigatinib stellt im Falle nachgewiesener FGFR2-Fusionen oder -Umlagerungen einen Fortschritt in der Zweitlinie dar, sodass der neue Wirkstoff als Schrittinnovation angesehen werden kann. Klinisches Ansprechen wurde in vielen Fällen erreicht, wenn auch nur selten definiert als komplettes Ansprechen.
Wie erfolgreich Pemigatinib bei anderen FGF/FGFR-Alterationen ist, kann man aufgrund der geringen Anzahl behandelter Patienten bislang nicht sagen. Grundsätzlich sind weitere Studien erforderlich, um den beobachteten klinischen Nutzen von Pemigatinib beim CCA zu bestätigen. Bislang hat der Kinasehemmer nur eine bedingte Zulassung in der EU erhalten. Mit Interesse darf man zudem auf Ergebnisse einer Head-to-Head-Studie warten, die Pemigatinib versus Chemotherapie in der Erstlinie des CCA vergleicht.
Sven Siebenand, Chefredakteur