Paxlovid gegen Covid-19 |
Annette Rößler |
26.02.2022 12:00 Uhr |
Die pinken Tabletten von Paxlovid enthalten je 150 mg Nirmatrelvir. In der Packung sind auch weiße Tabletten; diese enthalten je 100 mg Ritonavir. / Foto: Pfizer Pharma GmbH
Erkrankt ein Mensch an Covid-19, stehen Ärzte heute anders als zu Beginn der Pandemie nicht mehr mit leeren Händen da. Das Wirkstoff-Portfolio enthält Corticosteroide, JAK-Inhibitoren, IL-6-Rezeptorantagonisten, neutralisierende Antikörper und Virostatika wie Remdesivir und Molnupiravir. Sie werden bei Covid-19 in verschiedenen Krankheitsphasen und teilweise noch ohne oder außerhalb einer bestehenden Zulassung eingesetzt. So unterschiedlich diese Wirkstoffe auch sind, haben sie doch – mit Ausnahme der Antikörper – eine Gemeinsamkeit: Sie wurden nicht eigens für die Behandlung von Covid-19-Patienten entwickelt.
Das ist bei Nirmatrelvir (PF-07321332) anders. Es ist ein Inhibitor der SARS-CoV-2-spezifischen Protease 3CL (3 Chymotrypsin-like Protease, 3CLpro), die auch als Hauptprotease (Mpro) oder nsp5-Protease bezeichnet wird. Nirmatrelvir bindet mit seiner Nitrilgruppe kovalent an die Thiolgruppe eines Cysteins im aktiven Zentrum der 3CLpro und hindert das Enzym so daran, seine Aufgabe im Zuge der Virusvermehrung zu erledigen. Ritonavir hemmt als Booster den Abbau von Nirmatrelvir über CYP3A4 und sorgt so für einen ausreichend hohen Plasmaspiegel.
Morgens und abends je drei Tabletten sollen bei einer Paxlovid-Therapie eingenommen werden. Die Blister sind entsprechend gekennzeichnet. / Foto: Imago Images/Independent Photo Agency Int.
Paxlovid™ (150 mg plus 100 mg Filmtabletten, Pfizer) enthält Nirmatrelvir (pinke Tabletten) und Ritonavir (weiße/cremefarbene Tabletten) in fixer Kombination. Es wird angewendet zur Behandlung von Covid-19 bei Erwachsenen, die keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigen und ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung haben. Die Patienten nehmen über fünf Tage alle zwölf Stunden je zwei 150-mg-Tabletten Nirmatrelvir zusammen mit jeweils einer 100-mg-Tablette Ritonavir unabhängig von den Mahlzeiten ein. Die Tabletten sollten als Ganzes geschluckt und nicht gekaut, zerbrochen oder zerdrückt werden.
Die Behandlung soll innerhalb von fünf Tagen nach der Diagnose von Covid-19 so schnell wie möglich begonnen werden. Vergessene Dosen sollen innerhalb von acht Stunden nach dem vorgesehenen Einnahmezeitpunkt schnellstmöglich nachgeholt werden. Danach soll die vergessene Dosis ausgelassen und die Behandlung zum nächsten Einnahmezeitpunkt wie geplant fortgesetzt werden.
Bei mäßiger Nierenschwäche (eGFR ≥ 30 bis < 60 ml/min) ist die Nirmatrelvir-Dosis auf 150 mg (eine Tablette) pro Einnahmezeitpunkt zu reduzieren. Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung (eGFR < 30 ml/min) oder mit schwerer Leberfunktionsstörung sollten nicht mit Paxlovid behandelt werden. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit vorbestehenden Lebererkrankungen, Leberenzymveränderungen oder Hepatitis.
Ritonavir wird auch als Teil einer antiretroviralen Therapie bei HIV-Infektion angewendet, dann aber höher dosiert (600 mg zweimal täglich). Nehmen Patienten mit nicht diagnostizierter oder unkontrollierter HIV-Infektion Paxlovid ein, besteht wegen der niedrigen Dosierung von Ritonavir die Gefahr einer Resistenzbildung gegen HIV-Proteaseinhibitoren. Ist ein HIV-Patient aber auf ein Regime eingestellt, das Ritonavir in der 100-mg-Dosierung oder auch Cobicistat als Booster enthält, spricht dies nicht gegen die Anwendung von Paxlovid (inklusive Ritonavir). Die HIV-Therapie soll dabei unverändert fortgeführt werden.
Die gleichzeitige Einnahme von starken CYP3A4-Induktoren kann zu einem Wirkverlust führen und ist deshalb zu vermeiden. Betroffen sind neben zahlreichen gängigen Rx-Arzneistoffen auch OTC-Präparate mit Johanniskraut. Paxlovid darf auch dann nicht gegeben werden, wenn ein solches Medikament gerade erst abgesetzt wurde. Kontraindiziert ist darüber hinaus die gleichzeitige Anwendung von Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite, die über CYP3A4 abgebaut werden. Wie im Einzelfall verfahren werden soll, ist in der Fachinformation in einer langen Tabelle erklärt.
Die Anwendung von Paxlovid in der Schwangerschaft wird nicht empfohlen, es sei denn, der klinische Zustand der Frau erfordert es. Die Einnahme von Ritonavir kann unter Umständen auch zu einem Wirkverlust der Antibaby-Pille führen. Frauen im gebärfähigen Alter, die mit der Pille verhüten und mit Paxlovid behandelt werden, sollten daher währenddessen und bis zur ersten Menstruationsblutung danach zusätzlich eine Barrieremethode zur Verhütung anwenden. Das Stillen sollte während der Behandlung mit Paxlovid und als Vorsichtsmaßnahme für sieben Tage danach unterbrochen werden.
Wirksamkeit und Sicherheit von Paxlovid wurden in der Phase-II/III-Studie EPIC-HR untersucht, deren Ergebnisse kürzlich im »New England Journal of Medicine« erschienen sind (DOI: 10.1056/NEJMoa2118542). An der Studie nahmen 2246 nicht gegen Covid-19 geimpfte Patienten mit symptomatischem Covid-19 teil, die zwar nicht im Krankenhaus behandelt wurden, bei denen aber ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung vorlag. Sie wurden innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn fünf Tage lang zur Hälfte mit Paxlovid (1120 Patienten) und zur Hälfte mit Placebo (1126 Patienten) behandelt.
Der zusammengesetzte Wirksamkeitsendpunkt – Hospitalisierung aufgrund von Covid-19 oder Tod jeglicher Ursache bis Tag 28 – wurde zunächst ausschließlich bei Patienten bestimmt, bei denen die Behandlung innerhalb von drei Tagen nach Symptombeginn gestartet worden war. Er wurde in der Paxlovid-Gruppe bei drei von 389 Patienten erreicht und in der Placebogruppe bei 27 von 385 Patienten. Das entsprach einer relativen Risikoreduktion um 89,1 Prozent oder einer absoluten um 6,32 Prozentpunkte.
Wurden alle Teilnehmer der Studie (abzüglich derer, die mit therapeutischen Antikörpern behandelt wurden) in die Analyse einbezogen, betrug die relative Risikoreduktion 87,8 Prozent: Acht von 1039 Patienten in der Verumgruppe versus 66 von 1046 in der Placebogruppe erreichten den zusammengesetzten Wirksamkeitsendpunkt. Alle 13 Patienten, die im Verlauf der Studie verstarben, gehörten der Placebogruppe an.
Als häufigste Nebenwirkungen von Paxlovid wurde in der Studie von Geschmacksstörungen (5,6 Prozent der Behandelten), Diarrhö (3,1 Prozent), Kopfschmerzen (1,4 Prozent) und Erbrechen (1,1 Prozent) berichtet.
In der EU sind mittlerweile einige Medikamente für den Einsatz bei Covid-19 zugelassen. Eines der ersten war das antiviral wirksame Remdesivir. Die optimale Substanz gegen SARS-CoV-2 ist es aber noch nicht. Zum einen muss es infundiert werden, zum anderen wirkt es nicht spezifisch gegen das Coronavirus. Einen dieser Nachteile bügelt der oral verfügbare Wirkstoff Molnupiravir (Lagevrio®) aus, der hierzulande seit Anfang des Jahres bereits vor der EU-Zulassung verordnet werden darf, aber auch nicht spezifisch gegen SARS-CoV-2 gerichtet ist.
Anders sieht das bei der Neueinführung Paxlovid™ aus. Einer der enthaltenen Wirkstoffe, Nirmatrelvir, ist ein maßgeschneiderter Arzneistoff, der gezielt eine wichtige Protease des Virus hemmt. Allein das neue Target von Nirmatrelvir rechtfertigt die vorläufige Einstufung als Sprunginnovation. Hinzu kommen die einfache orale Gabe, die im ambulanten Setting – und damit in der Frühphase der Infektion – möglich ist, sowie die vielversprechenden Studienergebnisse. Krankenhauseinweisungen wegen Covid-19 und Todesfälle konnte das neue Medikament demnach verhindern. Bislang gibt es zwar keinen direkten Vergleich zwischen den beiden oralen Covid-19-Mitteln Lagevrio und Paxlovid, indirekt schneidet Letzteres aber eindeutig besser ab. Wünschen würde man sich noch Daten zur Wirksamkeit bei geimpften Personen, auch mit Blick auf die Tatsache, dass der Effekt von Paxlovid bei Genesenen mit positivem Antikörperstatus geringer ausfiel.
Hinsichtlich der Verträglichkeit bereitet Paxlovid bisher keine Sorgen. Zu bedenken ist allerdings sein Interaktionspotenzial, das durch den Ritonavir-Booster zustande kommt. Die klinische Bedeutung dieser Wechselwirkungen ist aber bei dem kurzen Behandlungszeitraum von fünf Tagen wahrscheinlich geringerer als bei einer langfristigen Anwendung etwa gegen HIV. Das Management möglicher Interaktionen mit Paxlovid ist daher für Apothekenteams gut zu bewältigen.
Sven Siebenand, Chefredakteur