Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis 2023 verliehen |
Theo Dingermann |
15.03.2023 17:00 Uhr |
Professor Dr. Frederick W. Alt, Professor Dr. David G. Schatz und Dr. Dr. Leif S. Ludwig (von links) / Foto: Uwe Dettmar/Paul Ehrlich-Stiftung
In diesem Jahr hatte der Stiftungsrat der Paul-Ehrlich-Stiftung den Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis 2023 den US-amerikanischen Immunologen Professor Dr. Frederick W. Alt und Professor Dr. David G. Schatz zuerkannt. Sie werden für die Entdeckung von Molekülen und Mechanismen geehrt, die unser Immunsystem zu der erstaunlichen Leistung befähigen, Milliarden verschiedener biologischer Oberflächen als Antigene zu erkennen. Verantwortlich für die Erkennung der Antigene sind Antikörper und Rezeptoren auf den T-Zellen (T-Zellrezeptoren).
Allerdings ist die unvorstellbare Vielfalt an Antikörpern und T-Zellrezeptoren alleine schon aus Platzmangel nicht in unserem Genom abgelegt. Gelöst wird dieses Problem durch eine Neuorganisation bestimmter Genomabschnitte in ganz bestimmten Zellen, aus der heraus Adapterstrukturen entstehen, mit denen beispielsweise Antikörper Antigene extrem spezifisch und sehr fest binden.
In einzelnen B-Zellen werden durch zufällige Kombination von drei Gensegmenten, die als V (für variable) D (für diversity) und J (für joining) bezeichnet werden, quasi nach einem Baukastenprinzip ganz neue Gene gebildet. Jedes dieser Gensegmente grenzt an eine Rekombinations-Signalsequenz (RSS). Hier greifen Enzyme an, die die Segmente an den RSS aufschneiden und anschließend wieder mit zufällig ausgewählten RSS verbinden. Die entscheidende Schlüsselrolle für diesen Prozess nehmen als Motor der V(D)J-Rekombination das heterodimere Enzym RAG1/2 und DNA-Reparaturenzyme ein. Ohne diesen hoch komplexen Prozess könnten keine funktionstüchtigen B- und T-Zellen entstehen, die jede für sich ganz bestimmte Antikörper und ganz bestimmte T-Zellrezeptoren bereitstellen.
Noch weiter gesteigert wird die kombinatorische Vielfalt bei der Antikörperbildung dadurch, dass an den Schnittstellen der zu verknüpfenden Gensegmente enzymatisch sehr kurze zufällige zusammengesetzte DNA-Sequenzen, die als N-Nukleotide bezeichnet werden, eingefügt werden. Zudem wird in B-Zellen die Antikörper-Vielfalt durch das Phänomen der somatischen Hypermutation weiter potenziert.
Alt und Schatz haben entscheidend zum Verständnis dieser komplizierten Mechanismen beigetragen. Ohne ihre wissenschaftlichen Entdeckungen wären die Details dieses als »somatische Rekombination« bezeichneten Prozesses nicht verstanden.
In einer Pressemitteilung der Paul-Ehrlich-Stiftung zur Preisverleihung erklärt der Vorsitzende des Stiftungsrates, Professor Dr. Thomas Boehm: »Das Bild, das wir heute von der Diversifikation von Antigenrezeptoren im Immunsystem von Wirbeltieren haben, ist vor allem den beiden Preisträgern zu verdanken. Sie haben unser Wissen über die Entwicklung des Immunsystems auf eine neue Stufe gehoben.«
Mit dem Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreis wurde in diesem Jahr der Biochemiker und Arzt Dr. Dr. Leif S. Ludwig für seine wegweisenden Arbeiten in der Stammzelldiagnostik ausgezeichnet. Ihm gelang es, basierend auf den neuesten Technologien zur Gensequenzierung einzelner Zellen, ein Verfahren zu entwickeln, das die lebenslange Neubildung der Zellen des menschlichen Bluts bis zu 1000-mal preiswerter, schneller und zuverlässiger analysieren kann als bisher möglich.
Bemerkenswert ist, dass Ludwig seine Forschungsaktivitäten auf den Nachweis natürlicher Mutationen in den Mitochondrien von Blutzellen verlegte und damit einen neuen Weg parallel zum Mainstream einschlug, wo immer noch das Genom im Zellkern eine zentrale Rolle spielt. Die Mitochondrien, die auch als Zellkraftwerke bezeichnet werden, verfügen über ein eigenes, viel kleineres Genom. Ludwig verknüpfte deren Analyse mit den neuesten Einzelzell-Sequenzierungstechnologien (Single Cell-Omics) und konnte dadurch auch Aussagen über den aktuellen Gesundheitszustand der untersuchten Zellen treffen.
Inzwischen haben er und sein Team die von ihnen entwickelte Methode so verfeinert, dass sie in Knochenmarks- und Blutproben eines Patienten viele zehntausende Zellen analysieren können.