| Brigitte M. Gensthaler |
| 20.09.2024 09:00 Uhr |
Angst, Unruhe, Atemnot und Schmerzen: Demenzpatienten leiden oft an vielen Beschwerden. Eine gute palliativmedizinische Betreuung könnte ihnen das Leben erleichtern – wird aber oft nicht gewährt. / Foto: Getty Images/lucigerma
Die Palliativversorgung ist eine spezielle Form der medizinisch-pflegerischen Behandlung von Menschen mit einer schweren und unheilbaren Erkrankung. »Es geht um Patientenzentrierung und eine radikale Orientierung an der Lebensqualität«, sagte Professor Dr. Christoph Ostgathe, Leiter der Palliativmedizinischen Abteilung am Universitätsklinikum Erlangen, diese Woche bei einem Online-Seminar des Digitalen Demenzregisters (digiDEM) Bayern. Dabei seien medizinische, psychologische, soziale und spirituelle Aspekte zu berücksichtigen. »Das machen wir interdisziplinär und multiprofessionell.«
Zentral sei die Linderung von belastenden Symptomen, um Betroffenen und ihren An- und Zugehörigen eine bestmögliche Lebensqualität zu verschaffen. Sehr viele Demenzpatienten litten an Unruhe und Aggressivität, Angst, Gewichtsverlust, Atemnot und Schmerzen, berichtete der Palliativarzt. Jedoch erschweren kognitive Defizite oftmals die Symptomerhebung und -kontrolle. Zudem unterscheiden sich die Krankheitsverläufe bei Menschen mit Tumoren, Lungen- oder Herzerkrankungen meist von denen bei Demenz.
Ostgathe betonte: »Palliativmedizinischer Input ist ab der Diagnosestellung wichtig und kann zu jedem kritischen Zeitpunkt erfolgen.« Bei jeder Intervention müsse man sich fragen, wie weit der demenzielle Prozess fortgeschritten ist. Danach richte sich das Ziel der Versorgung: Lebensverlängerung, Erhalt von körperlichen Funktionen oder die möglichst gute Lebensqualität.
Im Zwischenbericht zur Nationalen Demenzstrategie des Bundesgesundheitsministeriums, der vor einem Jahr veröffentlicht wurde, werden eine angemessene allgemeine wie auch spezialisierte ambulante Palliativversorgung (AAPV, SAPV) als wichtig angesehen. Die demenzsensible Versorgung soll ausgebaut werden.
Doch bislang spielen Demenzpatienten in der deutschen Palliativversorgung offenbar kaum eine Rolle, wie eine Erlanger Forschungsgruppe kürzlich analysierte (DOI: 10.1186/s12904-024-01509-0). Bei rund 69.000 Datensätzen des Nationalen Hospiz- und Palliativregisters von 2009 bis 2021 war nur bei 3,3 Prozent der Patienten (ab 64 Jahren) eine Demenz als Hauptdiagnose verzeichnet. Auf Palliativstationen war dies nur bei 0,8 Prozent der Fall, in stationären Hospizen bei keinem Patienten. Bei Menschen in der SAPV hatten 4,3 Prozent eine Demenz. Zum Vergleich: Die Demenzprävalenz in der Allgemeinbevölkerung ab 65 Jahren liegt bei 8,6 Prozent.
Eventuell werde der palliativmedizinische Bedarf nicht oder zu spät erkannt oder die zuweisenden Ärzte würden zu wenig darauf achten oder die Strukturen der Palliativversorgung zu wenig kennen, vermutet Ostgathe. Auch eingeschränkte Ressourcen könnten ein Grund sein.
Oft lehnten die Kostenträger eine Palliativversorgung bei Demenzpatienten ab. Und schließlich: »Unsere guten Strukturen der Hospizversorgung richten sich ganz überwiegend an Krebspatienten.« Auch die im November 2023 veröffentlichte S3-Leitlinie zu Demenzen enthalte keine Aussagen zur Palliativmedizin, monierte der Experte.
Im häuslichen Bereich sei zunächst eine allgemeine Palliativversorgung angezeigt und der Hausarzt hierfür der wichtigste Ansprechpartner. Dieser könne bei Bedarf auch eine spezialisierte Versorgung beantragen und verordnen. Ziel sei es, dass Menschen bis zum Tod zu Hause bleiben können.