Oxytocin als möglicher Migräne-Modulator |
| Laura Rudolph |
| 18.11.2025 13:30 Uhr |
Hormonelle Einflüsse spielen vor allem bei Frauen eine große Rolle bei der Migräne-Entstehung. / © Getty Images/miljko
Welche Rolle spielt Oxytocin bei Migräne? Zu dieser Frage forscht Privatdozentin Dr. Bianca Raffaelli von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die ihre Erkenntnisse beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) teilte.
»Hormonelle Einflüsse spielen vor allem bei Frauen eine große Rolle in der Migräne-Pathologie«, sagte die Expertin. Besonders dann, wenn Hormonspiegel abfallen, sei Migräne häufig, so etwa kurz vor oder während der Periode, nach der Schwangerschaft und während der Wechseljahre. Bisher sei die Estrogen-Entzugshypothese, die bereits Anfang der 1970er-Jahre formuliert wurde, die gängigste Erklärung hierfür. »Aber auch andere Hormone spielen eine Rolle. Kurz vor der Menstruation fallen zum Beispiel auch Progesteron und Oxytocin ab«, erklärte Raffaelli.
Es sei bekannt, dass Oxytocin eine analgetische Wirkung habe und seine Rezeptoren unter anderem im trigeminovaskulären System exprimiert seien, das für die Entstehung von Migräne eine wichtige Rolle spielt. Bis auf einige wenige Ausnahmen wirke das Hormon gefäßverengend, während bei der Migräne im Gegenteil eine Vasodilatation vorliegt. Im Tierexperiment sei außerdem gezeigt worden, dass Oxytocin die Freisetzung des migränefördernden Neuropeptids CGRP hemmen kann.
»Es stellt sich also die Frage, ob Oxytocin protektiv gegen Migräne wirken könnte. Dazu gibt es bis heute nur einige wenige, kleinere Experimente«, so die Referentin. So zeigte etwa eine Studie mit rund 30 Patientinnen mit episodischer Migräne, die intranasales Oxytocin oder Placebo bekommen haben, prozentual bessere Ergebnisse bei Oxytocin hinsichtlich Schmerzreduktion, Licht- und Geräuschempfindlichkeit sowie Übelkeit. »Das waren allerdings nur numerische Effekte, die keine statistische Signifikanz erreichten.«
Außerdem wurde intranasales Oxytocin in der Prophylaxe der Migräne getestet (»Headache« 2017, DOI: 10.1111/head.13082). Mit 20 bis 30 Patientinnen mit chronischer oder episodischer Migräne waren die Fallzahlen hier ebenfalls sehr klein. »Hier sah man nach regelmäßiger intranasaler Oxytocin-Behandlung, dass die Anzahl der Kopfschmerztage abnahm – mit der Limitation, dass es eine Open-Label-Studie war und dass sicherlich auch Placebo-Effekte mit eine Rolle spielten«, erklärte Raffaelli.
Die Ärztin ist Teil einer Forschungsgruppe, die selbst den Einfluss des »Kuschelhormons« auf die Migräne untersucht. »Wir haben die Forschungsfrage jedoch etwas anders formuliert: Wenn Oxytocin protektiv wirkt – was passiert dann, wenn wir den Oxytocin-Signalweg blockieren?« Die Hypothese laute, dass es durch die Blockade des entsprechenden Hormonrezeptors zu Migräne kommt – wegen der nachfolgenden Vasodilatation und CGRP-Ausschüttung durch den Wegfall der Oxytocin-Wirkung.
In einer randomisierten, kontrollierten Provokationsstudie im Cross-Over-Design verabreichte das Forschungsteam Frauen und Männern mit Migräne sowie Frauen ohne Migräne den Oxytocinrezeptor-Antagonisten Atosiban beziehungsweise Placebo per Infusion. »Wir haben die Infusion für drei Stunden gegeben. Das ist die Dosis, in der die Oxytocin-Rezeptoren gesättigt sind«, führte die Ärztin aus. Die untersuchten Frauen nahmen zudem alle kontinuierlich hormonelle Kontrazeptiva, »um die anderen Hormone möglichst stabil zu halten.«
Nach der Behandlung untersuchten die Forschenden verschiedene Gefäßparameter, maßen die Konzentration von CGRP und beobachteten, wie häufig es zu Kopfschmerzen kam – wobei die CGRP-Messung aktuell noch nicht abgeschlossen sei.
»Leider war die Studie negativ. Wir konnten feststellen, dass die Oxytocin-Rezeptorblockade über drei Stunden nicht zu Migräne führt.« Die Anzahl der Migräne-Attacken und die Schmerzintensität seien insgesamt sehr gering gewesen, ohne Unterschiede zwischen Atosiban und Placebo.
»Interessanterweise haben wir aber bei den vaskulären Reaktionen doch einige Unterschiede festgestellt zwischen gesunden Frauen und Frauen mit Migräne.« Bei der Blockade von Oxytocin-Rezeptoren erwarte man eine Gefäßverengung. »Das passiert auch – aber nur bei den gesunden Kontrollpersonen; bei Migränepatienten überhaupt nicht.« Außerdem habe bei den gesunden Frauen die Blutflussgeschwindigkeit in der Arteria cerebri media kompensatorisch zugenommen. »Bei Patienten mit Migräne war das eher umgekehrt.«
»Die gängigste Hypothese für die Entstehung der Migräne bleibt nach wie vor die Estrogenentzugshypothese«, resümierte die Referentin. Sie betonte aber, dass nicht nur Estrogen, sondern vermutlich ein Zusammenspiel mehrerer Hormone eine Rolle spiele – möglicherweise auch Oxytocin.
»In unserer Studie führte zumindest die kurzfristige Rezeptorblockade über drei Stunden nicht zu Migräneattacken. Was wir gesehen haben, sind unterschiedliche vaskuläre Effekte zwischen gesunden Frauen und Patientinnen mit Migräne.« Möglicherweise spiele Oxytocin eine modulierende Rolle bei der Migräne-Pathologie, sagte die Ärztin abschließend.