Overwiening warnt vor Parallelstrukturen |
Lukas Brockfeld |
06.11.2024 16:24 Uhr |
Die ABDA-Präsidentin erneuerte im Gesundheitsausschuss ihre Kritik an der geplanten Notfallreform. / © Bundestag/Screenshot
Mit dem »Gesetz zur Reform der Notfallversorgung« will die Bundesregierung die Versorgung von Notfallpatienten verbessern. Ein wesentliches Ziel ist es, die drei Versorgungsbereiche – vertragsärztlicher Notdienst, Notaufnahmen der Krankenhäuser und Rettungsdienste – besser aufeinander abzustimmen. Aktuell gibt es nach Einschätzung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) Defizite bei der Patientensteuerung. Außerdem habe man mit der 116117 und der 112 gleich zwei telefonische Anlaufstellen für Notfälle.
Mit der Notfallreform sollen daher unter anderem Akutleitstellen für Notrufe und Integrierte Notfallzentren (INZ) entstehen. Doch die Reform beinhaltet auch Vorschläge, die die Apotheken betreffen. So sollen öffentliche Apotheken Verträge mit Notfallpraxen schließen können, um die Arzneimittelversorgung vor Ort zu gewährleisten. Dazu soll es auch möglich sein, direkt auf dem Klinikgelände eine Filiale als »zweite Offizin« mit vereinfachten Vorgaben zu betreiben. Der Entwurf sieht außerdem ein zeitweises Dispensierrecht für Ärzte in Notdienstpraxen vor.
Das Bundeskabinett hat die Notfallreform bereits beschlossen. Am heutigen Mittwoch fand eine Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags statt.
Zu den geladenen Expertinnen gehörte auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Die ABDA hatte sich vor der Anhörung bereits in einer ausführlichen Stellungnahme kritisch mit der Reform auseinandergesetzt. Die Bundesvereinigung warnte unter anderem vor der Schaffung teurer Parallelstrukturen und erneuerte ihr Nein zum ärztlichen Dispensierrecht. Stattdessen schlug sie eine digitale Verknüpfung von Apotheken und Notdienstpraxen vor.
Im Gesundheitsausschuss erneuerte Overwiening ihre Kritik und erklärte, dass sie mit Blick auf die Offizinen keinen großen Reformbedarf sehe: »Täglich sind 1200 Apotheken am Netz und versorgen rund um die Uhr dezentral die Menschen mit den Arzneimitteln, die sie brauchen. Es gibt keinerlei Beschwerden, dass an irgendeiner Stelle die Arzneimittelversorgung nicht wirklich reibungslos funktioniert.«
Es ist laut der ABDA-Präsidentin jedoch ein berechtigtes Anliegen, die Versorgung noch weiter zu verbessern. Dies könne beispielsweise durch eine bessere digitale Kommunikation von Arzt und Apotheker erreicht werden. Die ABDA hatte in ihre Stellungnahme einen entsprechenden Vorschlag zur Vernetzung von Notfallpraxen und Apotheken ausformuliert.
Gleichzeitig warnte Overwiening von der Schaffung neuer Strukturen, beispielsweise durch die Etablierung von an die Notfallpraxen angeschlossenen Zweitoffizinen. »In einer solchen Parallelstruktur sehen wir überhaupt keinen Nutzen. Das gefährdet eher die bestehenden Versorgungsstrukturen und das Zusammenspiel zwischen Arzt und Apotheker«, erklärte die ABDA-Präsidentin.
Auch Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sieht keinen großen Mehrwert durch die geplanten Versorgungsverträge zwischen Apotheken und Notdienstpraxen. »Wenn wir mobile Patienten haben, ist die Situation eigentlich gut. Wir verstehen nicht ganz, warum der Gesetzgeber bei den mobilen Patienten eingreift und nicht bei den bettlägerigen.«
Es gebe allerdings bei Hausbesuchen gelegentlich Probleme, kurzfristig an Schmerzmittel oder Antibiotika zu kommen. »Wir wollen kein Dispensierrecht, aber es wäre sinnvoll, dass wir zum Beispiel eine Notfalltasche im Hausbesuchsdienst hätten, damit wir vor Ort Medikamente abgeben können«, erläuterte der Ärztevertreter.
Beier war nicht der einzige Arzt, der Kritik an der Notfallreform äußerte. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, wünschte sich eine bessere Ersteinschätzung von vermeintlichen oder tatsächlichen Notfällen. »Alles andere riecht eher nach einem dritten Sektor. Das heißt, wir signalisieren der Bevölkerung, wenn es euch in der Praxis zu lange dauert, dann sucht ihr einfach im Rahmen der notärztlichen Akutversorgung eine wie auch immer geartete Stelle auf. Ob das nun ein INZ, eine Krankenhausambulanz oder was auch immer ist. Das ist glaube ich das falsche Signal, insbesondere in Zeiten von endlichen Ressourcen.«
Schon vor der Anhörung hatte der KBV-Vorstand in einer Stellungnahme geklagt, dass die Notfallreform kaum über einige gute Ansätze, beispielsweise die Weiterentwicklung der Strukturen rund um die Nummer 116117, hinauskomme. Das Ziel, die Notaufnahmen zu entlasten und die Patienten in die für sie passende Versorgungsebene zu steuern, werde verfehlt. Stattdessen entstehe ein »ungeordnetes Nebeneinander mehrerer Anlaufstellen«.
»Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, wie es eigentlich geht: Dort wird die Aufnahmerate der Notaufnahmen vielerorts mit einer vorgeschalteten telefonischen Ersteinschätzung begrenzt. In Deutschland droht mit der Notfallreform dagegen eine undurchsichtige Parallelstruktur«, erklärte der KBV-Vorstand. Die geplante Ausweitung des Notdienstes auf eine »24/7-Akutversorgung« werde die niedergelassenen Ärzte zusätzlich belasten. Es sei unklar, woher die dafür notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen kommen sollen.