Osnabrücker Rezept gegen den Fachkräftemangel |
Melanie Höhn |
28.09.2023 16:00 Uhr |
Die diesjährigen Gewinner des Apostart-Awards: Apotheker Burkhard Pölzing und die PTA Lina Kalmer. / Foto: PZ/Alois Müller
Eines der größten Probleme der Vor-Ort-Apotheken hat sich das Team um Apotheker Burkhard Pölzing und die PTA Lina Kalmer von der Völker-Schule vorgenommen: den Fachkräftemangel. Die Osnabrücker PTA-Schule solle ein »Rezept gegen den Fachkräftemangel« sein, sagte Burkhard Pölzing bei der Expopharm, wo das Projekt gestern Abend mit dem diesjährigen Apostart-Award ausgezeichnet wurde. »Wir sind überwältigt, das geht alles nur mit einem starken Team und ist eine Gemeinschaftsleistung«, sagte er.
Junge Unternehmen konnten sich im Vorfeld der Expopharm um den begehrten Apostart-Award bewerben. Elf Start-ups hatten es bis in die Vorrunde geschafft, fünf Finalisten stellten ihre Ideen noch einmal auf der diesjährigen Messe vor. Die Völker-Schule konnte dabei mit großem Vorsprung mit ihrer Idee überzeugen: Gruppen von insgesamt 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden in einem Vorbereitungskurs auf die PTA-Prüfung vorbereitet, die Methode des sogenannten »Blended Learning« vereint dabei Präsenz- und E-Learning.
Die Qualifizierung der ausländischen Fachkräfte beginnt demnach mit dem Onboarding: Die zukünftigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer befänden sich zu diesem Zeitpunkt entweder noch im Herkunftsland oder schon in Deutschland und seien teilweise im Nebenjob in deutschen Apotheken tätig, erklärte Pölzing. Um die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Anerkennungsverfahren als PTA zu prüfen, erfolge eine intensive Information und Beratung in enger Abstimmung mit Apotheken, Jobcentern und der Agentur für Arbeit, Personalagenturen, Anerkennungsberatungsstellen und Anerkennungsbehörden.
»Das sind so viele Themen, dass eine völlige Überforderung besteht«, sagte der Apotheker. »Die Menschen müssen aufgefangen werden.« Der Vorteil des Programms: Es ist förderfähig, die Kosten übernehmen das Jobcenter oder die Agentur für Arbeit. Stimmen die Eingangsvoraussetzungen, beginnt der elfmonatige Vorbereitungskurs im August eines jeden Jahres.
Die Klassen bestehen aus maximal 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, damit der Sprachanteil der jungen Menschen relativ groß ist. Die staatlich anerkannte Abschlussprüfung wird von den jeweiligen Bundesländern an die Völker-Schule delegiert und ist rechtlich anerkannt. Vier einwöchige Praxis- und Präsenzphasen in der Schule ermöglichen im Anschluss an den Distanzunterricht die praxisnahe Umsetzung der online vermittelten Inhalte im Galenik-Labor, etwa mit automatischen Rührsystemen und Chemie-Labor, im Umgang mit aktueller Apotheken-EDV sowie in der Beratungssituation in der schuleigenen Übungsapotheke.
Ergänzt wird die praktische Qualifizierung durch ein dreiwöchiges Praktikum in einer deutschen Apotheke während der Schulferien, in denen die zugewanderten Fachkräfte in der Nähe ihrer Wohnorte tätig sind. »Den jungen Leuten macht es Spaß«, so Pölzing. Seit 2020 gab es 51 erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen, die Erfolgsquote liegt bei 97,5 Prozent. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer würden merken, dass das Apothekenwesen in Deutschland teilweise etwas besser strukturiert und fachlich anspruchsvoller sei als in ihren den Herkunftsländern. Dies hänge aber auch davon ab, ob es ein EU-Land sei oder nicht. Die größte Mission der Völker-Schule: alle auf einen gemeinsamen Informationsstand zu bringen.
Burkhard Pölzing ging zudem auf die vielfältigen Vorteile des Programms ein: »Man lernt sich niederschwellig kennen, es kommt Diversität in die Apotheke und die Bevölkerung wird abgebildet. Menschen werden angenommen und die, die fertig sind, haben einen Weißkittelberuf«, betonte er. »Wir glauben, damit voll ins Ziel getroffen zu haben, und denken darüber nach, das Ganze auch auf andere Berufsgruppen auszuweiten.«
Interessierte Apotheken können sich über die Webseite der Völker-Schule anmelden, die Kosten liegen bei 120 Euro im Jahr. Auf Anfrage erhalten sie eine Information darüber, ob es entsprechende Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Umkreis gibt. »Vielfach haben Apotheken auch schon jemanden, melden sich bei uns und dann läuft die Sache von selbst«, so Pölzing. Das Projekt sei jedoch noch nicht in den Apotheken angekommen. Es gebe noch Aufholbedarf, um den Markt zu bedienen.
Neben der Völker-Schule gab es noch vier weitere Finalisten-Projekte, die ihre Ideen auf der Expopharm vorstellten. Den zweiten Platz belegte das MIR-Spektrometer namens »Sweeb« der Wired-Sense GmbH. Im Kern geht es darum: Die Qualitätskontrolle bei individuellen Rezepturen in den Apotheken erfolgt durch chemische und Nah-Infrarotspektroskopie. Das mittlere Infrarot (MIR) bietet hohe Genauigkeit, erfordert jedoch normalerweise teure Ausrüstung sowie den Erwerb oder Aufbau einer ebenfalls kostenintensiven Referenzdatenbank. Zudem werde Fachpersonal für die Datenauswertung benötigt, das daher eher auf einen Laborbetrieb als auf den Apothekenalltag ausgerichtet sei. An diesen Schwachstellen setzt das Start-up an und hat auf Basis eines kompakten und kostengünstigen MIR-Spektrometers eine cloudbasierte Plattform geschaffen, die jeder Apotheke die Identitätsprüfung ohne Chemikalien und innerhalb von Sekunden ermöglichen will.
Den dritten Platz erreichte die Easy-Med-Box. Die Idee des Projekts ist folgende: Über 30 Prozent der über 65-Jährigen nehmen täglich fünf oder mehr Tabletten, gleichzeitig geben 39 Prozent einer Umfrage zufolge an, dass das »Vergessen« ihrer Medikationseinnahme der Hauptgrund ist, wieso sie sich nicht an ihre Arzneimitteltherapie halten. Dieses Problem will die Easy-Med-Box angehen und hat dafür einen digitalen Tablettenspender entwickelt, der auf patientenindividuell verpackten Blistern basiert und das richtige Medikament in der richtigen Dosis zur richtigen Zeit bereitstellen soll. Zusätzlich bietet das Unternehmen eine Rundumüberwachung der Medikation an, etwa durch Medikationsanalysen, Vitalwertüberwachung in Zusammenhang mit Medikationsänderungen und einer Alarmfunktion bei Nicht-Einnahme für die Angehörigen. Die Easy-Med-Box soll ausschließlich über Vor-Ort Apotheken vertrieben werden.
Den vierten Platz belegte das Start-up XO Life: Patientinnen und Patienten, Medizinerinnen und Mediziner, Pharmaunternehmen sowie Gesundheitsdienstleister sollen über eine Plattform und eine technologische Infrastruktur direkt miteinander verbunden werden. Patienten sollen ein »digitales Zuhause« zur Erkrankungs- und Therapiebegleitung bekommen, wo sie durch pharmazeutische Expertinnen und Experten unterstützt werden und sich mit anderen Patientinnen und Patienten vernetzen können. Außerdem soll ihnen die Möglichkeit geboten werden, ihren Gesundheitszustand und den Erkrankungs- und Therapieverlauf wissenschaftlich zu tracken – diesen können sie mit ihrer Apothekerin/ihrem Apotheker oder dem Arzt/der Ärztin besprechen. Apothekerinnen und Apotheker sollen durch XO Life eine digitale, unabhängige und kostenfreie Präsenz erhalten, um digital für ihre Kunden präsent und verfügbar zu sein.
Platz fünf erreichte Escape the Unknown von Roche. Die Idee: Das Sammeln von Gesundheitsdaten löst bei vielen Menschen Unbehagen aus, gerade im deutschsprachigen Raum zögern viele Menschen, ihre Gesundheitsdaten zu teilen. Eine digitale Lösung in Form eines Online-Escape-Rooms soll den komplexen Themenbereich der Nutzung von Gesundheitsdaten spielerisch erklären und die breite Bevölkerung durch Rätsel und Wissensbeiträge zum Thema Gesundheitsdaten aufklären. Mit »Escape the Unknown« möchte Roche ein Umdenken und eine gesteigerte Gesundheitskompetenz erreichen.
»So habe ich keine Sorge, dass es in Deutschland mit den Apotheken gut weitergeht, wenn wir weiter so innovativ und progressiv nach vorne denken«, kommentierte Burkhard Pölzing die vielfältigen innovativen Ideen der fünf Apostart-Finalisten.