Offene »Ausgabenschleusen« für Apotheken? |
Die AOK-BV-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann ist mit dem Koalitionsvertrag nicht zufrieden; er gleiche einer »fachpolitischen Wunschliste«. / © IMAGO/IPON
Der AOK-Bundesverband sieht in dem Vertrag durchaus gute Ansätze, etwa die Absicht, die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben konkret zu adressieren. Hier brauche es aber mehr Tempo. Erfreulich sei zudem, dass der Krankenhaus-Transformationsfonds zukünftig aus staatlichen Mitteln finanziert werden soll, was eine Entlastung für die gesetzliche Krankenversicherung verspricht. Der Plan fand sich schon im Ergebnispapier der AG Gesundheit.
Der Vertrag gleiche aber an vielen Stellen eher einer »fachpolitischen Wunschliste« und lasse die realistische Einschätzung der Prioritäten vermissen, so Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. So spare die künftige Koalition das Problem »der ungebremst steigenden Arzneimittelpreise« komplett aus. Für Apotheken sollten sogar »die Ausgabenschleusen sogar noch weiter geöffnet werden«, kritisierte Reimann. Wirtschaftlichkeit in der Versorgung scheine für die künftigen Regierungspartner keine Rolle zu spielen.
Es mangele überdies an dringend benötigtem Tempo und Klarheit in der Umsetzung. Echte Entlastungen der Beitragszahlenden seien nicht zu erkennen. Reimann kündigte an, die Fortschritte der neuen Koalition konstruktiv zu begleiten. Es gebe noch viele Konkretisierungs- und Klärungsbedarf.
Maßnahmen zur Kostendämpfung vermisst auch Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). »Im Bereich Gesundheit bleibt die zentrale Frage ungelöst: Wie finanzieren wir Gesundheit künftig sicher?«, so der TK-Chef in einer ersten Reaktion. Hier müsse die Koalition nachlegen. Nötig sei »ein wirksames Sofortprogramm« statt der geplanten Expertenkommissionen. Sinnvolle Ansätze seien die schnelle Umsetzung der Notfallreform und das Vorantreiben der Digitalisierung.
Akuten Handlungsbedarf sieht auch die Barmer. Vorstandschef Christoph Straub betonte, angesichts weiter steigender Beitragssätze seien »umgehend greifende ausgabenbegrenzende Maßnahmen« der neuen Bundesregierung unerlässlich. Andernfalls drohe sich die Beitragssatzspirale in der GKV und der Pflegeversicherung weiterzudrehen.
Auch die IKK fordert sofortige Lösungen. Das Gesundheitswesen benötige »ein Ausgabenmoratorium in Form einer Grundlohnsummenanbindung der Leistungsausgaben, bis die notwendigen Strukturreformen greifen«, so der IKK-Vorstandsvorsitzende Hans-Jürgen Müller in einer Mitteilung. »Die Kassen stehen mit dem Rücken zur Wand.« Stattdessen wolle die Koalition besagte Expertengruppe einsetzen, die frühestens 2027 Ergebnisse liefern könne.
Die Pharma-Verbände nehmen den Koalitionsvertrag eher positiv auf. Pharma-Deutschland-Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann bezeichnet die Koalitionsvereinbarung als ein »Papier mit Potenzial«. Das wichtigste Signal, das die neue Bundesregierung an die Pharmabranche sende, sei die Entscheidung, die Pharmastrategie und den Pharmadialog aus der letzten Legislaturperiode fortzusetzen.
Auf der Vorarbeit der letzten Jahre aufzusetzen, sei eine pragmatische und kluge Überlegung. »Mit dem Einstieg in eine auskömmliche Finanzierung aus Steuergeldern statt aus Krankenkassenbeiträgen trifft die neue Regierung außerdem eine wichtige Entscheidung auf dem Weg zur Entlastung der Kassen und der Stabilisierung der Beiträge«, so Brakmann. Insgesamt habe der Koalitionsvertrag das Potenzial, dem Gesundheitssektor und Deutschland neue Impulse zu geben.
Dass die neue Regierung die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln stärken und Produktionsstandorte für kritische Arzneimittel zurückverlagern will, begrüßt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. Damit Unternehmen diversifizierte Lieferketten aufbauen und mehr Resilienz in der Versorgung herstellen können, sei die Abkehr von der »Hauptsache-Billig-Politik« bei Generika essenziell.
»Die neue Bundesregierung steht vor Aufgaben wie kaum eine vor ihr. Eine davon ist es, unser aller Sicherheit zu schützen. Das gilt auch mit Blick auf Arzneimittel«, erklärte er. Die geopolitischen Umwälzungen würden zeigen, wie gefährlich unsere Abhängigkeit von China sei. Es sei also richtig, dass die neue Regierung die »China-Strategie« der aktuellen Regierung fortsetzen und Abhängigkeiten und Vulnerabilitäten minimieren wolle.
»Dabei ist die Rückverlagerung von Produktionsstandorten nur ein – extrem aufwändiger und nicht pauschal umsetzbarer – Baustein, mehr Unabhängigkeit herzustellen. Zielführender ist es, bestehende Produktion hier zu halten«, kommentierte Bretthauer.