Off-Label-Use mit Evidenz |
Bei der Palliativversorgung steht der Erhalt der Lebensqualität im Fokus. Sie ist nicht auf die letzten Lebenstage beschränkt. / Foto: Getty Images/Westend61
Bei der palliativen Versorgung von Patienten liegt der Fokus nicht auf der Heilung von Erkrankungen, sondern darauf, die Lebensqualität zu verbessern beziehungsweise belastende Symptome zu lindern. Dabei spielt die medikamentöse Therapie eine essenzielle Rolle. Jedoch stoßen Behandelnde immer wieder an Grenzen im Rahmen der zugelassenen Behandlungsoptionen. Der zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln, der sogenannte Off-Label-Use (OLU), gehört deshalb zum klinischen Alltag. Dies kann sowohl Indikation als auch Applikationsweg, Anwendungsdauer, Dosierung oder Mischung von Substanzen betreffen.
Die Weltgesundheitsorganisation definiert Palliativversorgung als einen »Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art«. Aus der Definition wird deutlich, dass die Palliativversorgung nicht nur auf onkologische Erkrankungen oder die letzten Lebenstage beschränkt ist.
Bei der Palliativversorgung steht der Erhalt der Lebensqualität im Fokus. Sie ist nicht auf die letzten Lebenstage beschränkt. / Foto: Getty Images/Westend61
So können auch chronische, lebensbedrohliche Krankheiten wie chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Herzinsuffizienz oder terminale Niereninsuffizienz Patienten zunehmend einschränken. Gleiches gilt, sowohl körperlich als auch psychisch, für Patienten mit neurologischen Grunderkrankungen wie Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose. Nicht zuletzt stellen durch die steigende Lebenserwartung auch immer mehr Menschen mit demenziellen Erkrankungen eine wachsende Behandlungsgruppe in der Palliativversorgung dar. Die palliative Begleitung kann sich also auch über mehrere Monate oder Jahre erstrecken.
Apotheker begleiten Palliativpatienten in verschiedenen Lebenslagen und Versorgungsbereichen. Zu Letzteren gehören im stationären Setting die Palliativstationen, der palliative Konsildienst sowie Hospize. Im ambulanten Kontext ermöglichen Teams zur spezialisierten, ambulanten Palliativversorgung (SAPV) eine umfassende Betreuung von Patienten zu Hause. Darüber hinaus gibt es die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV), die die Lücke zwischen Primärversorgung und spezialisierten Angeboten schließt.
Apotheker übernehmen in diesen Strukturen wichtige Aufgaben. Kenntnisse zur palliativen Arzneimitteltherapie sind somit von zunehmender Bedeutung sowohl im klinischen als auch im ambulanten Setting.
Apotheker sind kompetente Ansprechpartner, Vermittler bei der multiprofessionellen Zusammenarbeit und insbesondere in der wohnortnahen Apotheke oft die erste Anlaufstelle für Ratsuchende. Sie unterstützen medizinisches Personal bei der Auswahl eines geeigneten Medikaments – sei es zum In- oder Off-Label-Use – in der richtigen Darreichungsform und helfen, Doppelverordnungen und Verschreibungskaskaden zu vermeiden.
Eine weitere zentrale Aufgabe der Apotheker ist die Arzneimittelversorgung. Dies betrifft sowohl die direkte Abgabe an Patienten und Angehörige inklusive der dazugehörigen Beratung, aber auch die Belieferung von Pflegeheimen, Hospizen oder SAPV-Teams.
Nicht zuletzt stellt die Herstellung patientenindividueller Rezepturarzneimittel eine pharmazeutische Kernkompetenz dar und schließt eine Versorgungslücke dort, wo es an geeigneten Handelspräparaten fehlt. Der Bedarf an alternativen Darreichungsformen ist gegeben, gleichzeitig ist eine kritische Prüfung auf Sinnhaftigkeit und Plausibilität wichtig. Apotheken mit Sterilherstellung übernehmen zusätzlich die Versorgung mit Mischinfusionen.
Den gesamten Beitrag der Apotheker und des pharmazeutischen Fachpersonals zur Versorgung und Begleitung von Palliativpatienten und ihren Angehörigen definiert die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin als Palliativpharmazie.
Die medikamentöse Therapie spielt in der Palliativversorgung zur Linderung belastender Krankheitssymptome eine tragende Rolle. Zu den häufigsten Symptomen zählen Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und Erbrechen, Obstipation, Fatigue, schlafbezogene Beschwerden, Angst oder Depressionen [2].
Aus pharmazeutischer Sicht sind bei der Behandlung verschiedene Herausforderungen zu berücksichtigen. Die Patienten sind häufig multimorbide und nehmen in der Regel mehrere Arzneimittel ein. Das birgt ein erhöhtes Risiko für Neben- und Wechselwirkungen. Weiterhin sind Niere und Leber altersbedingt oft eingeschränkt oder durch die Erkrankungen oder vorherige Behandlungen geschädigt. Die Unterscheidung zwischen Krankheitssymptomen und Nebenwirkungen der Arzneimittel ist nicht immer eindeutig. Es besteht die Gefahr für Verschreibungskaskaden, insbesondere bei der Versorgung durch verschiedene Behandelnde.
Die Zeit für Therapieversuche ist oftmals begrenzt und erfordert ein sorgfältiges Monitoring. Ebenso grenzen Schluckbeschwerden, starke Übelkeit und Erbrechen, intestinale Obstruktion oder die Versorgung im häuslichen Umfeld die infrage kommenden Darreichungsformen häufig ein.
Auf die besonderen Anforderungen und Bedürfnisse von Palliativpatienten einzugehen, ist im Rahmen der zugelassenen Arzneimitteloptionen nicht immer möglich. Der Off-Label-Use gehört deshalb zum Alltag der palliativen Versorgung [3–5], ist aber etwa auch in der Pädiatrie, Onkologie und Psychiatrie gängige Praxis [5–7]. Bei der Palliativmedizin wird der Off-Label-Einsatz auf bis zu 50 Prozent der Verordnungen geschätzt [6].
Neben der Arzneimittel-Therapiesicherheit sind beim Off-Label-Use auch die Patientenaufklärung, die Haftung sowie die Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Krankenversicherung zu berücksichtigen.
Die Gründe für den Mangel an zugelassenen Therapieoptionen sind vielfältig. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels müssen pharmazeutische Unternehmer in zeit- und kostenaufwendigen klinischen Studien nachweisen. Eine derartige Investition ist bei geringen Verkaufserwartungen in bestimmten Einsatzgebieten für die Unternehmer wirtschaftlich jedoch nicht interessant. Betrifft dies ältere Arzneimittel mit abgelaufenem Patentschutz, ist der Anreiz noch einmal geringer [7]. Bestimmte Patientengruppen wie Schwangere, Kinder oder eben Palliativpatienten werden zudem seltener in klinische Studien einbezogen. Neben ethischen hat das auch organisatorische Gründe wie Multimorbidität, geringe Lebenserwartung, Heterogenität der Patienten und Polypharmazie [8–11].
Somit wird deutlich, dass eine fehlende Marktzulassung nicht automatisch sinnvolle und potenzielle Anwendungen eines Arzneimittels darüber hinaus ausschließt. Tatsächlich wird vermutlich für viele inzwischen weitläufig eingesetzte Off-Label-Anwendungen niemals eine Zulassung beantragt werden. Neben damit verbundenen Unsicherheiten und Risiken aufgrund fehlender klinischer Daten kann der Off-Label-Use durchaus Chancen bieten und das Behandlungsspektrum sinnvoll erweitern.
Im § 35c des SGBV ist der Off-Label-Use definiert als »die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz nicht zugelassen sind«. Dies betrifft jegliche Abweichungen von der Zulassung, das heißt neben der Indikation auch den Applikationsweg, die Dosierung, das Alter der Patienten oder die Anwendungsdauer. Davon abzugrenzen sind weitere Begriffe, die den zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln betreffen (Tabelle 1).
Art der Anwendung | Erklärung |
---|---|
Compassionate Use | Kostenlos vom pharmazeutischen Unternehmen zur Verfügung gestellte Behandlung mit Arzneimitteln, die noch nicht zugelassen sind (im Rahmen eines Härtefallprogramms). Voraussetzung ist eine schwere oder lebensbedrohliche Erkrankung, die mit zugelassenen Arzneimitteln nicht ausreichend behandelt werden kann. |
Unlicensed Use | Verwendung (noch) nicht oder nicht mehr zugelassener Arzneimittel |
Off-Label-Use | Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb der Zulassung |
Individueller Heilversuch | Anwendung im Einzelfall. Das Medikament ist entweder noch nicht zugelassen oder für ein anderes Einsatzgebiet zugelassen. |
Überwiegt der Nutzen das Risiko? Diese Frage stellt sich vor jedem Off-Label-Use. / Foto: Getty Images/cagkansayin
Jeder Off-Label-Use erfordert eine sorgfältige, patientenindividuelle Nutzen-Risiko-Analyse. Dabei spielen zum Beispiel die Verträglichkeit und das Ansprechen bisheriger Therapien, Begleiterkrankungen, die Organfunktionen sowie der aktuelle Zustand der Patienten eine Rolle. Mit Letzterem kann sich auch die Einschätzung zur (Nicht-)Eignung einer Therapie jederzeit wieder ändern. Eine Therapieentscheidung für einen Off-Label-Use sollte sich an folgenden Punkten orientieren [6]:
Zwischen In- und Off-Label-Anwendung liegt oft nur ein feiner Unterschied. Dieser kann jedoch relevant sein für die Arzneimittel-Therapiesicherheit. Als Beispiel: Midazolam ist für die Sedierung auf der Intensivstation zugelassen, allerdings nicht für die palliative Sedierung.
Voraussetzung für den Off-Label-Use ist die Aufklärung und das Einverständnis des zu behandelnden Patienten. Auch wenn die Dokumentation im Alltag häufig nicht praktikabel ist und vielfach darauf verzichtet wird, ist ein schriftliches Festhalten des Off-Label-Use in jedem Fall sinnvoll, um Missverständnissen vorzubeugen. So sollte weiteres Gesundheitspersonal, das an der Versorgung beteiligt ist, auf einen Off-Label-Use der Medikamente hingewiesen werden. Ebenfalls sollten Patienten und Angehörige wissen, wenn eine entsprechende Indikation oder Anwendung nicht im Beipackzettel ihres Medikamentes aufzufinden ist.
Arzneistoff | Off-Label-Anwendung |
---|---|
Butylscopolamin | Indikation: unkontrollierter Speichelfluss (Siallorhö), terminale Rasselatmung |
Baclofen | Indikation: Schluckauf |
Dexamethason | Applikation: subkutan |
Gabapentin | Indikation: Pruritus, Schluckauf |
Haloperidol | Indikation: ÜbelkeitApplikation: subkutan, intranasal |
Metamizol | Dosierung: > 4 beziehungsweise 5 g/24 h (abhängig von Darreichungsform)Applikation: subkutan, Dauerinfusion |
Metoclopramid | Indikation: Gastroparese, opioidinduzierte Übelkeit, SchluckaufDosierung: > 30 mg/Tag, Anwendung > 5 TageApplikation: subkutan |
Midazolam | Indikation: Angst, UnruheApplikation: subkutan, intranasal |
Mirtazapin | Indikation: Gastroparese, Insomnie, Pruritus |
Morphin und andere Opioide | Indikation: Atemnot |
Auch beim Off-Label-Use kommen die Empfehlungen zur evidenzbasierten Medizin zum Tragen. Teilweise finden sich Hinweise dazu in den Leitlinien und in der einschlägigen Fachliteratur. Allerdings decken diese Quellen nicht alle Einsatzgebiete ab [2, 12, 13]. Weiterhin ist die Evidenzgrundlage sehr unterschiedlich. So ist zum Beispiel der Off-Label-Einsatz von Opioiden bei Atemnot gut belegt und in der Praxis etabliert. In Australien ist Morphin inzwischen sogar für diese Anwendung zugelassen [14, 15]. Für andere Anwendungen wie die häufig eingesetzte subkutane Applikation von Haloperidol bei Delir oder Übelkeit und Erbrechen finden sich nur wenige Quellen mit niedrigem Evidenzgrad [16–18].
Eine aufwendige Literaturrecherche ist im Apothekenalltag in der Regel nur schwer umsetzbar. Für eine optimale Therapieplanung, -durchführung und -beratung ist der einfache und schnelle Zugang zu evidenzbasierten Informationen entscheidend. Dazu steht seit Ende 2022 die unabhängige Datenbank »pall-OLU« kostenfrei unter https://pall-olu.de zur Verfügung.
Sie enthält Arzneimittel-Monographien mit konkreten Therapieempfehlungen zum Off-Label-Use im palliativen Kontext. Diese basieren auf der verfügbaren Evidenz, ermittelt durch eine systematische Literaturrecherche sowie geprüft und konsentiert in einem zweistufigen Delphiverfahren von unabhängigen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Palliativmedizin aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ergänzend sind Informationen zu zugelassenen Einsatzgebieten, alternativen medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapieoptionen enthalten sowie Parameter der Therapieüberwachung und Hinweise zur Anwendung. Die Datenbank enthält bereits 64 Empfehlungen und wird laufend mit weiteren Monographien und Therapieempfehlungen ergänzt. Gesucht werden kann sowohl nach Wirkstoffen als auch nach Indikationen oder Anwendungsarten. Pall-OLU wurde mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe entwickelt.
Die Auswahl einer individuell geeigneten Darreichungsform ist für den Therapieerfolg entscheidend. Grundsätzlich ist die orale Gabe der bevorzugte Anwendungsweg. Gründe zum Abweichen im palliativen Kontext sind meist Schluckbeschwerden, Übelkeit und Erbrechen, verminderte oder keine Aufnahme von Medikamenten über den Gastrointestinaltrakt durch Tumoren, Fisteln oder Obstruktion.
Ebenso kann die Versorgung im häuslichen Umfeld oder im Pflegeheim eine Umstellung von einer intravenösen Applikationsform zu einer anderen erfordern, um die Versorgung praktikabel zu gestalten. Auch eine Kombination verschiedener Applikationswege kann in bestimmten Fällen sinnvoll sein. Dabei hat jede Anwendungsart Vor- und Nachteile. Eine Abweichung von zugelassenen Anwendungswegen obliegt der Verantwortung der Behandelnden.
Die häufigsten eingesetzten Applikationsarten im palliativen Kontext sind:
Die orale Gabe von Arzneimitteln ist der bevorzugte Anwendungsweg, aber bei Palliativpatienten oft keine Option. / Foto: Getty Images/Richard Bailey
Ist die Einnahme von Tabletten oder Kapseln aufgrund von Schluckbeschwerden nicht möglich, kann eventuell auf flüssige Arzneiformen ausgewichen werden. Weiterhin stellen Schmelz-, Sublingual- oder Bukkaltabletten eine Option dar. Zu unterscheiden ist hier der Aufnahmeort der Tabletten. Beispielsweise werden Fentanyl-Sublingualtabletten über die Mundschleimhaut resorbiert, Lorazepam-Schmelztabletten jedoch nur im Mund gelöst, mit dem Speichel heruntergeschluckt und dann über den Gastrointestinaltrakt aufgenommen.
Je nach Eigenschaften können Tabletten gemörsert und suspendiert oder Kapseln geöffnet werden, um den Inhalt mit Flüssigkeit oder weicher Nahrung, zum Beispiel Joghurt, einzunehmen. Wechselwirkungen mit Lebensmitteln sind dabei zu beachten. Das Mörsern von Medikamenten unterliegt nicht der Zulassung und stellt somit immer einen Off-Label-Use dar.
Bei starker Übelkeit und Erbrechen oder Bewusstseinstrübung kommen jedoch nur andere Applikationswege infrage.
Eine mögliche Alternative stellt die parenterale Gabe dar, bei der Arzneistoffe unter Umgehung des Magen-Darm-Trakts in den Blutkreislauf gelangen. Die intravenöse Gabe spielt vor allem stationär eine wichtige Rolle. Da nur geschultes Personal intravenös applizieren darf, ist die Umsetzung im ambulanten Umfeld schnell mit großen Herausforderungen verbunden. Eine intramuskuläre Gabe ist ebenfalls nur in bestimmten Fällen möglich.
Um Patienten ohne intravenösen Zugang auch zu Hause, in einem Pflegeheim oder Hospiz adäquat medikamentös versorgen zu können, kommt alternativ die subkutane Applikation in Betracht [19, 20]. Dieser kommt im palliativen Setting eine wichtige Rolle zu. Die wenigsten Arzneistoffe sind jedoch für diese Applikationsart zugelassen, sodass es sich in der Regel um einen Off-Label-Use handelt.
Die intravenöse Applikation von Arzneimitteln kommt bei der Palliativversorgung vor allem im stationären Setting vor. / Foto: Getty Images/Jose Luis Pelaez Inc
Den Patienten wird dafür eine subkutane Verweilkanüle zum Beispiel in die Bauchdecke, in die Oberarm- beziehungsweise Oberschenkelaußenseite oder ober- oder unterhalb des Schulterblattes gelegt, über die dann – als Bolus, Kurzinfusion oder kontinuierlich – Medikamente zugeführt werden. Ein Vorteil dieses wenig invasiven Applikationsweges ist, dass pflegende Angehörige nach einer entsprechenden Schulung die Medikamentengabe übernehmen können. Bei der kontinuierlichen Gabe kommen vor allem Spritzen- und Peristaltikpumpen zum Einsatz.
Limitierender Faktor ist das zu applizierende Volumen. Für die Bolusinjektion beträgt dieses 2,5 ml pro Gabe [21]. Für die kontinuierliche Gabe werden maximal 50 bis 100 ml/24 h empfohlen. Dies ist an den Spritzengrößen der Pumpen orientiert, ebenso soll so vermutlich die schnelle Resorption aus dem Unterhautfettgewebe sichergestellt werden [22]. Bei der reinen Flüssigkeitssubstitution werden aber auch Volumina von 500 bis 1000 ml und mehr appliziert [16]. Für Notfälle eignet sich die subkutane Gabe aufgrund des langsameren Anflutens eher nicht [21].
Zur intravenösen und -muskulären Injektion zugelassene Wirkstoffe eignen sich nicht automatisch für die subkutane Gabe. Folgende Eigenschaften sind von Vorteil [22]:
Treten lokale Reizungen auf, sollte die Nadel entfernt und eine andere Applikationsstelle gewählt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kompatibilität und Stabilität der Lösungen. Mischungen mehrerer Arzneistoffe sind nach Möglichkeit zu vermeiden, da diese das Risiko chemischer oder physikalischer Inkompatibilitäten mit einhergehendem Wirkverlust bergen. Jedoch lässt sich dies nicht immer praktisch umsetzen. Die Angaben zu Inkompatibilitäten in den Fachinformationen können erste Hinweise liefern. Angehörige der Fachkreise können zudem kostenfrei die Datenbank unter www.pall-iv.de nutzen, die evaluierte Informationen zu Kompatibilitäten von Mischinfusionen aus der klinischen Praxis bietet.
Häufig off Label subkutan wird zum Beispiel Metamizol zur Schmerzbehandlung im palliativen Kontext angewendet. Allerdings finden sich nur wenige veröffentlichte Daten zu dieser Applikationsart. In der Datenbank pall-OLU ist die verfügbare Evidenz zusammengetragen und eine »Kann-Empfehlung« (Empfehlungsgrad 0) unter Einhaltung bestimmter Vorsichtsmaßnahmen daraus abgeleitet. Da mehrere Übersichtsarbeiten vor der Bildung von Infiltraten, Rötung und Schmerzen an der Einstichstelle warnen, empfehlen die Datenbankautorinnen und -autoren, den Infusionsort etwa alle 48 Stunden zu wechseln und eine neue Butterfly-Kanüle zu legen. Zudem soll die unverdünnte Injektionslösung demnach, da sie eine hohe Osmolarität aufweist, zur besseren Verträglichkeit mit 0,9-prozentiger NaCl-Lösung verdünnt werden.
Eine weitere Option stellt – bei Akzeptanz der Patienten – die rektale Applikation dar. Einige Arzneimittel stehen bereits als Fertigarzneimittel zur Verfügung, zum Beispiel Metamizol oder Paracetamol als Suppositorien.
Ist kein Handelspräparat zur rektalen Gabe verfügbar, können unter Umständen Tabletten in einem kleinen Volumen suspendiert beziehungsweise gelöst und in das Rektum, etwa mit einem Applikator, verabreicht werden. Säfte zur oralen Einnahme eignen sich aufgrund ihrer hohen Osmolarität in der Regel nicht für diesen Applikationsweg, Infusionslösungen gegebenenfalls schon. So ist etwa die Infusionslösung von Midazolam zwar zur rektalen Gabe geeignet, jedoch nur für Kinder zur Analgosedierung und Prämedikation vor einer Anästhesie zugelassen.
Bei der rektalen Applikation von Flüssigkeit muss berücksichtigt werden, dass Patienten nur ein kleines Volumen von bis zu 10 ml halten können. Teilweise wird der First-Pass-Effekt in der Leber umgangen.
In einigen Fällen kann sich auch die Herstellung von Suppositorien anbieten. Daten für diese Anwendung finden sich nur begrenzt, es sind jedoch Fallberichte oder -serien zu einzelnen Substanzen wie Levetiracetam [23], Baclofen [24] oder Omeprazol [25] veröffentlicht.
Zur Behandlung neuropathischer Tumorschmerzen, die nur teilweise auf Opioid-Analgetika ansprechen, kommt in Deutschland neben Gabapentin häufig Pregabalin zum Einsatz. Für die rektale Gabe von Pregabalin gibt es nur wenige Daten, die in der pall-OLU-Datenbank zusammengetragen sind. Auf Basis von zwei Fallberichten sprechen die Autorinnen und Autoren eine »Kann-Empfehlung« (Empfehlungsgrad 0) für den Fall aus, dass die orale Gabe nicht möglich ist oder andere Arzneimittel zur Symptomkontrolle nicht ausreichen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Tageshöchstdosis von Pregabalin zur Anwendung bei neuropathischen Schmerzen 600 mg beträgt, dass die Bioverfügbarkeit bei rektaler Gabe aber verringert sein kann, sodass höhere Dosierungen notwendig werden könnten. Eine Symptomkontrolle und Plasmaspiegelbestimmung werden als Therapie-Monitoring empfohlen.
Auch die topische oder transdermale Applikation von Wirkstoffen kann eine Alternative sein. Dabei zielt die topische Applikation auf eine lokale, die transdermale hingegen auf eine systemische Wirkung ab.
Im Handel erhältliche transdermale therapeutische Systeme (TTS) von Fentanyl oder Buprenorphin spielen bei der Behandlung von Schmerzen eine wichtige Rolle im Bereich der Palliativversorgung. Bei Patienten mit unkontrollierbarem Speichelfluss können Scopolamin-Pflaster als antisekretorische Therapie Abhilfe schaffen. Dabei handelt es sich um eine Anwendung off Label, da die Zulassung auf die Vorbeugung der Reisekrankheit sowie von Übelkeit und Erbrechen beschränkt ist.
Gerade bei topischen Zubereitungen sind Rezepturen gefragt. / Foto: ABDA
Die topische Therapie wird vor allem für die lokale oder oberflächliche Behandlung von Symptomen angewendet. Als Beispiel: Zur Geruchs- und Keimreduktion bei malignen Wunden kann bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung ein Therapieversuch mit einer Metronidazol-haltigen Infusionslösung versucht werden. Dabei wird die Lösung einmal täglich auf die Wunde gesprüht, mit der Lösung getränkte Kompressen auf die Wunde aufgelegt oder Metronidazol-Gel auf die Wunde aufgetragen. Aufgrund des kanzerogenen Potenzials von Metronidazol ist unbedingt auf ausreichenden Personenschutz zu achten. Auch wenn die Evidenzlage eher dünn ist, kann die Anwendung bei starker Symptomlast eine Option darstellen [2].
Ein häufiges Symptom bei Palliativpatienten ist die Mukositis, die zum Beispiel im Rahmen einer Radio- und Chemotherapie oder starker Mundtrockenheit auftritt. Helfen andere Maßnahmen wie eine sorgfältige Mundpflege oder die Schleimhautbenetzung mit pflanzlichen Ölen nicht weiter, kann topisches Morphin, zum Beispiel als Gel, versucht werden [26, 27]. Dabei wird die periphere schmerzstillende Wirkung bei entzündlichen Haut- und Schleimhautläsionen genutzt [28]. Gerade zur topischen Anwendung sind Rezepturen wie diese aus Apotheken gefragt.
Die intranasale Gabe von Medikamenten hat sich in der Notfallmedizin und bei Krampfanfällen aufgrund des schnellen Wirkeintritts etabliert. Weitere Vorteile sind die einfache Applikation, die auch bei bewusstseinsgetrübten Patienten möglich ist. Über die Nase verabreichte Medikamente werden über die gut durchblutete Nasenschleimhaut unter Umgehung des First-Pass-Effektes in den systemischen Kreislauf aufgenommen. Es können aber nur kleine Volumina bis maximal 1 ml pro Nasenloch verabreicht werden, besser noch sind 0,3 bis 0,5 ml. Bei größerem Volumen besteht die Gefahr des Ablaufens über den Nasen-Rachen-Raum, mit resultierendem verzögerten Wirkeintritt bis hin zum Wirkverlust.
Bei der Anwendung von Fentanyl-Nasenspray ist zu beachten, dass es zur Behandlung von Durchbruchschmerzen bei Erwachsenen zugelassen ist, die wegen chronischer Tumorschmerzen bereits eine Basistherapie mit Opioiden erhalten. Die Behandlung akuter Schmerzen oder die Anwendung bei Patienten ohne Opioid-Basistherapie stellt einen Off-Label-Use dar und geht mit einem erhöhten Risiko für eine Atemdepression einher.
Im palliativen Kontext häufig off Label intranasal verabreicht werden unter anderem Midazolam oder Haloperidol. Möglich ist die Herstellung von Nasensprays als Rezeptur durch eine Apotheke oder präparatespezifisch die Verwendung handelsüblicher Ampullen mit einem entsprechenden Zerstäuberaufsatz für eine 1-ml-Spritze.
Für die intranasale Anwendung von Midazolam sprechen die Autorinnen und Autoren von pall-OLU eine »Kann-Empfehlung« aus, wenn andere Applikationsarten nicht umsetzbar sind und ein schneller Wirkeintritt gewünscht ist. Demnach ist der Arzneistoff aufgrund seiner Stoffeigenschaften gut zur Anwendung in der Nase geeignet und die Studienlage spricht insgesamt für eine gute Wirksamkeit bei schnellem Wirkeintritt nach circa 10 bis 15 Minuten sowie für eine gute Verträglichkeit. Am häufigsten wurden Irritationen der Nasenschleimhaut, Sedierung und ein bitterer Geschmack als unerwünschte Wirkungen beschrieben. In den USA gibt es seit 2019 ein Midazolam-Nasenspray als Fertigarzneimittel zur Behandlung von Krampfanfällen bei Epilepsie [29].
Der zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln ist aus dem klinischen Alltag bei der Palliativversorgung nicht mehr wegzudenken. Wird dieser bedacht und zielführend eingesetzt, kann er das Therapiespektrum für Patienten sinnvoll erweitern.
Apotheker sind erste Ansprechpartner in Arzneimittelfragen, insbesondere zur Darreichungsform und Arzneimittelherstellung. Mit ihrem speziellen Wissen unterstützen sie medizinische und pflegerische Fachkräfte und tragen dazu bei, Patienten ein würdevolles Leben möglichst frei von Leiden zu ermöglichen.
Stefanie Pügge ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie. Sie hat Pharmazie an der TU Braunschweig studiert. Nach ihrer Tätigkeit als Apothekerin im Städtischen Klinikum Braunschweig war sie als pharmazeutische Projektkoordinatorin bei Apotheker ohne Grenzen beschäftigt und leitete dort die internationalen Projekte. Seit 2021 beschäftigt sie sich am Kompetenzzentrum Palliativpharmazie der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin des LMU Klinikums München mit dem Off-Label-Einsatz von Arzneimitteln und promoviert seit diesem Jahr zum Thema »Entwicklung und Evaluation einer praxisorientierten Datenbank mit konsentierten Therapieempfehlungen zum Off-Label-Use von Arzneimitteln in der Palliativmedizin«.
Aleksandra Dukic-Ott ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie. Sie hat an der Universität Belgrad, Serbien, Pharmazie studiert. Anschließend folgten ein Masterstudium sowie eine Promotion an der Universität Gent, Belgien, im Fach Pharmazeutische Technologie. Seit 2014 arbeitet sie in der Apotheke des LMU Klinikums München. Seit 2021 beschäftigt sie sich zusätzlich im Kompetenzzentrum Palliativpharmazie der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin des LMU Klinikums München schwerpunktmäßig mit dem Off-Label-Einsatz von Arzneimitteln und dem Aufbau der pall-OLU Datenbank.
Dieser Artikel entstand unter Mitwirkung von Jennifer Berner, Stephanie Büsel und Dr. Constanze Remi vom Kompetenzzentrum Palliativpharmazie.