Nur Patientensteuerung reicht nicht |
Wer einen Facharzttermin braucht, muss oft geduldig sein. / © Adobe Stock/Gina Sanders
Wer heute einen Termin beim Facharzt braucht, muss sich auf lange Wartezeiten gefasst machen. Seit langem wird darüber diskutiert, wie sich die Situation verbessern lässt. Dabei wird meist eine bessere Steuerung der Patienten gefordert. Die Bundesregierung hat beispielsweise in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung eines Primärarztsystems angekündigt. Patienten sollen in diesem Modell mit ihren Beschwerden zuerst einen Hausarzt aufsuchen, der sie dann bei Bedarf an einen Facharzt weiterleitet.
In dieser Woche machte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit einem weiteren Vorschlag auf sich aufmerksam. Um die Patienten besser zu steuern und das angebliche Ärzte-Hopping zu begrenzen, schlug der Geschäftsführer des Verbandes, Steffen Kampeter, eine Kontaktgebühr beim Arztbesuch vor. Kampeters Vorstoß stieß allerdings auf breite Kritik.
Der Hausärzte-Verband lehnt die Idee der Einführung einer Kontaktgebühr für Patienten in deutschen Arztpraxen rundweg ab. »Dieser Vorschlag der Arbeitgeber ist nicht nur unsozial, sondern auch komplett undurchdacht«, sagte die Verbandsvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth der »Rheinischen Post«.
Chronisch Kranke müssten die Gebühr dann Dutzende Male im Jahr bezahlen. »Das würde insbesondere sozial Schwache finanziell komplett überfordern«, warnte die Chefin des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Auch würde eine solche Gebühr zwingend notwendige Arztbesuche verhindern, mit schweren gesundheitlichen Folgen für die Patienten, weil etwa Erkrankungen zu spät behandelt würden oder eine Vorsorgemaßnahme nicht stattfindet.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wandte sich mit ähnlichen Argumenten gegen eine Neuauflage einer Praxisgebühr. Stiftungsvorstand Eugen Brysch sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Wie das Sommerloch steigt auch die Praxisgebühr jedes Jahr aus der Versenkung.« Dabei sei sie nach vielen Jahren der Erprobung 2012 abgeschafft worden. »Schließlich blieb die Steuerungswirkung der Patienten aus.« Auch die Arztpraxen seien wegen des Verwaltungsaufwandes Sturm gelaufen. »Zudem gab es Patienten, die viel zu spät eine ärztliche Konsultation aufsuchten«, sagte Brysch.
Nicola Buhlinger-Göpfarth räumte ein, dass nicht alle Arzt-Patienten-Kontakte notwendig seien. Die Antwort seien aber keine allgemeinen Kontaktgebühren, sondern eine bessere Patientensteuerung. Dafür brauche es ein hausärztliches Primärarztsystem. Doch die Steuerung durch den Hausarzt allein dürfte das Problem nicht lösen.
Der Spitzenverband der Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) warnt in einer Pressemitteilung vor der Annahme, dass allein eine stärkere Steuerung von Patientinnen und Patienten – etwa durch Überweisungspflichten, digitale Ersteinschätzungen oder zentrale Terminvergabe – automatisch zu einer besseren Terminverfügbarkeit in der ärztlichen Versorgung führen würde.
»Wer glaubt, allein durch die Umleitung von Patientenströmen plötzlich mehr Termine zu schaffen, verkennt die Realität in den Praxen. Denn das Problem sind nicht allein falsche Wege der Patientinnen und Patienten, sondern insbesondere fehlende oder strukturell künstlich verknappte Kapazitäten«, so Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa. »Man kann nicht mehr Wasser durch dieselbe Leitung drücken, nur weil man den Hahn an einer anderen Stelle öffnet.«
Die Fachärzte sehen neben der fehlenden Steuerung drei weitere Gründe für die fehlenden Termine:
Der SpiFa betont in seiner Mitteilung, dass jede Form von Patientensteuerung nur dann Effekte zeigen könne, wenn gleichzeitig mehr medizinisches Personal in den Praxen tätig werde und ärztliche Leistungen nicht mehr durch Budgetierung reglementiert werden. Die finanziellen Rahmenbedingungen zum Betrieb einer Praxis würden zunehmend schlechter und machten die eigentlich notwendige Sprechstundenzeit dauerhaft unfinanzierbar.
Der Verband fordert daher die Bundesregierung auf, künftige Reformen der ambulanten Versorgung nicht allein auf Steuerungsinstrumente zu verengen, sondern ihr Augenmerk auf die – lange bekannten – strukturell bedingten Kapazitätsprobleme zu werfen.
»Die Illusion, allein mit Steuerung mehr Termine zu schaffen, ist gefährlich – sie lenkt von den echten Reformbaustellen ab. Wenn von Kassenseite gar behauptet wird, Steuerung würde zu besserer Bezahlung der Fachärztinnen und Fachärzte und gleichzeitig zu mehr Terminen führen, wird die Öffentlichkeit getäuscht«, so Heinrich.