Noventi nach Rekordverlust zuversichtlich |
Alexander Müller |
27.09.2023 09:00 Uhr |
Noventi-Finanzvorstand Frank Steimel sieht die Sanierung des Unternehmens auf gutem Kurs. / Foto: Noventi
Vor ziemlich genau einem Jahr hatte der Noventi-Aufsichtsrat die Notbremse gezogen und Anfang September 2022 den damaligen Vorstandsvorsitzenden Hermann Sommer sowie Finanzvorstand Victor Castro entlassen. Im Rahmen der Aufarbeitung wurde öffentlich, dass Noventi eigentlich schon länger rote Zahlen schrieb und die die Bilanzen ab 2020 mit aktivierten Eigenleistungen geschönt wurden. Dabei wurde der Wert selbstentwickelter Software mit Millionenbeträgen auf der Habenseite verbucht.
Im Januar 2023 wurde dann ein umfangreicher Sanierungsplan vorgestellt, der Voraussetzung für eine neue Kreditlinie der Banken war. Das neue Vorstandsduo Mark Böhm und Frank Steimel wollte bei den Beteiligungen aufräumen, die Softwarelinien konsolidieren und mit einem umfassenden Stellenabbau die Personalkosten senken. Ein neues Gebührenmodell bei der Rezeptabrechnung soll die Einnahmeseite stärken.
Der jetzt veröffentlichte Jahresabschluss für 2022 zeigt dagegen das erwartet katastrophale Ergebnis: Die Noventi Health SE weist einen Verlust von 133 Millionen Euro aus. Das ist zum einen den Aufräumarbeiten geschuldet: Allein 47 Millionen Euro entfallen auf die Neubewertungen von Bilanzpositionen wie selbst erstellter Software oder Finanzanlangen.
Ein deutlich verschlankter Personalkörper soll Noventi wieder rentabel machen, der Personalabbau kostet aber erst einmal Geld: In die alte Bilanz wurden Rückstellungen in Höhe von 43 Millionen Euro für das Sanierungsprojekt „Fokussierung 2025“ geschoben. Damit lagen die Personalkosten im vergangenen Jahr mit rund 137 Millionen Euro etwa ein Drittel über dem Vorjahr. Vorteil für das neue Management: Die Rückstellungen können in der Bilanz 2023 aufgelöst werden, neue Belastungen drohen hier nicht.
Das eigentliche Problem von Noventi im vergangenen Jahr war aber der Verlust im operativen Geschäft in Höhe von rund 39 Millionen Euro. Bei einem Konzernumsatz von 234 Millionen Euro in etwa auf Vorjahresniveau (235 Millionen Euro) und stabilem Abrechnungsvolumen von über 31 Milliarden Euro wird angesichts des Fehlbetrags deutlich: Noventi hat in der Vergangenheit einfach viel zu viel Geld ausgegeben. Überdreht wirkende Marketingaktivitäten und überteuerte Zukäufe werden dem alten Management heute zur Last gelegt, selbst eine juristische Auseinandersetzung um etwaige Schadensersatzansprüche steht noch immer im Raum.
Das Eigenkapital wurde durch den Verlust aufgezehrt, Noventi schleppt nun zunächst einen Fehlbetrag von 27 Millionen Euro mit sich herum. „Dieser Jahresabschluss ist nicht schön, aber er ist schonungslos wahr und richtet uns in die Zukunft aus“, so Steimel gegenüber der PZ. Für ihn ist entscheidend, dass die Banken langfristige Zusagen gemacht haben: „In diesem Jahresabschluss sind keine Überraschungen für die Banken, die natürlich alle Zahlen kennen. Die wichtigste Botschaft: Auf der Finanzierungsseite haben wir den vollen Rückhalt für unsere Neuaufstellung.“
Der Sanierungsplan werde exakt eingehalten und stellenweise übererfüllt, so Steimel. „Wir haben es jetzt im Sommer geschafft, das Unternehmen planmäßig in eine operative Gewinnzone zu führen.“ Damit sei es Noventi im laufenden Jahr gelungen, eine Wende einzuleiten. Die Einnahmen im laufenden Geschäftsjahr konnten bereits gesteigert und die Ausgaben deutlich reduziert werden, so der Finanzvorstand.
Die Noventi Health SE ist also zwar buchmäßig überschuldet, aber nicht wirtschaftlich. Steimel deutet schon an, wie die Bilanz künftig ausgeglichen werden könnte: Dies soll durch die Thesaurierung zukünftiger Gewinne erfolgen. Darüber hinaus verfüge die Gruppe über erhebliche stille Reserven. Diese bestehen laut Steimel insbesondere im Unternehmenswert der Noventi Health Care, also dem Rechenzentrum. Der Wert des Unternehmens übersteige sowohl den nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag als auch den bilanziellen Firmenwert um ein Vielfaches, so Steimel. Trotz der schwierigen Lage hat die Tochter im vergangenen Jahr einen Gewinn von 7,4 Millionen Euro erwirtschaftet.
Das uneingeschränkte Testat des Wirtschaftsprüfers bescheinigt Noventi, dass derzeit kein Insolvenzrisiko besteht. Noventi betont außerdem, dass sich für die Absicherung der Rezeptabrechnung durch den erheblichen Jahresverlust keine Einschränkungen ergeben. „Die Finanzierung des Unternehmens ist durch den bereits Ende letzten Jahres verlängerten Konsortialkredit gesichert – und damit auch die Rezeptabrechnung.“
Der Noventi-Aufsichtsrat sowie der Eigentümerverein FSA haben einstimmig für die Entlastung des aktuellen Vorstands für das Geschäftsjahr 2022 gestimmt. Die ehemaligen Vorstände Sommer, Castro und Sven Jansen wurden dagegen nicht entlastet.
Im Kerngeschäft hat das Rechenzentrum unlängst eine Umstellung des Gebührenmodells zum November angekündigt. Die soll Transparenz bringen, bedeutet für die allermeisten Apotheken aber eine Verteuerung. Weil eine Preiserhöhung mit einem Sonderkündigungsrecht einhergeht, muss das neue Noventi-Management darauf hoffen, bei der Preisstaffel gut gezielt zu haben: Gebühren so hoch wie möglich, um wieder Geld zu verdienen, aber noch so verträglich, dass die Apotheken nicht in Scharen fliehen.
Bislang scheint das zu funktionieren: Nach Unternehmensangaben hat es bislang nur wenige Abgänge gegeben. Das liegt laut Steimel auch daran, dass die gesamte Branche vor einer neuen Situation steht: Der Zinsaufwand habe sich für alle Unternehmen verfünffacht, die Vorfinanzierung der Rezeptabrechnung sei nach dem Ende der Nullzinsphase teurer geworden. Nicht ohne Grund koppelt Noventi die Finanzierungsgebühr der Apotheken künftig an die Zinsentwicklung.
Weitere Ziele des Sanierungsplans war die Trennung von den Warenwirtschaftssystemen Jump, Infopharm und Pharmasoft. Doch Käufer für die Softwarelinien haben sich nicht gefunden. Pharmasoft wird schon Ende des Jahres eingestellt, Infopharm Ende 2024. Dass die aussortierten Produkt-Linien abgeschaltet und nicht zu Geld gemacht werden, hat laut Steimel aber keinen Einfluss auf den Sanierungsplan. Erlöse für einen möglichen Verkauf seien nicht eingepreist gewesen. Die Kunden sollen möglichst auf Prokas umgestellt werden. Zur Expopharm bringt Noventi mit „Prokas Evolution“ ein Update zu seinem Klassiker mit.
Im Vorfeld der Bilanzpräsentation war darüber spekuliert worden, dass sich an der Gesellschafterstruktur bei Noventi etwas ändern könnte. Aktuell ist der FSA alleiniger Gesellschafter. Steimel bestätigt, dass es durchaus Anfragen von Investoren gegeben habe: „Private Equity Unternehmen schreiben immer E-Mails an Unternehmen, die einen Sanierungsprozess durchlaufen.“ Doch Beteiligungen sind laut dem Finanzvorstand kein Thema: „Es gibt aktuell weder Druck noch Bedarf, dass sich der FSA hier von Eigentumsanteilen an der Noventi löst.“ Den eigenen Kunden sei es sehr wichtig, dass Noventi als apothekereigenes Unternehmen fortgeführt wird.