Nothilfe für Gaza unterwegs |
Basel Karnoub (links) und Max Haselbach (rechts) mit Hadeel Abu Obaid, Mitarbeiterin der Partnerorganisation Anera, im Lager in Amman. / Foto: Apotheker ohne Grenzen
PZ: Was beinhaltet die Medikamenten-Lieferung?
Max Haselbach: Wir liefern ein sogenanntes Interagency-Emergency-Health-Kit (IEHK). Das stand schon bei dem internationalen Großhändler IMRES in den Niederlanden bereit und wurde noch mit einem Non-Communicable Diseases-Kit (NCD-Kit) ergänzt. Der Papierkram, bis alles einwandfrei war, war schon aufwändig. Insgesamt sind es vier Paletten. Weil es in Gaza keine Lagermöglichkeiten für empfindliche Arzneimittel gibt, befindet sich keine Kühlware in der Lieferung. Alle eingeführten Arzneimittel müssen nach Einfuhr noch eine garantierte Verwendbarkeit von einem Jahr haben. Betäubungsmittel wie starke Schmerzmittel dürfen leider nicht nach Gaza eingeführt werden. Wir wollten jetzt ein Paket schnüren, das vor allem sicher und so schnell wie möglich ankommt. Parallel klopfen wir ab, was für zukünftige Transporte möglich wären und ob sich der Bedarf vor Ort stark verändert hat.
PZ: Wo befindet sich die Arzneimittellieferung jetzt?
Haselbach: Die Kits wurden von den Niederlanden nach Jordanien geflogen und sind am 18. Januar hier in Amman angekommen. Die Zollkontrolle brauchte drei Tage. In Amman arbeiten wir mit der Organisation Anera zusammen. Sie ist in der Region bekannt und anerkannt und arbeitet auch mit dem Roten Halbmond zusammen. So können wir erstmals Medikamente nach Gaza liefern, was wir bereits seit Oktober versucht haben, möglich zu machen.
PZ: Wann und wie geht es weiter?
Haselbach: Anera arbeitet mit einer weiteren Organisation, JHCO, zusammen. Im dortigen Lager werden die Medikamente lagern, bis sie per Luftfracht nach El Arish in Ägypten transportiert werden können. Dies wird in den kommenden Tagen passieren. Diesen Teil kann man auch noch gut abschätzen. Das letzte Stück werden die Medikamente auf einem LKW des ägyptischen Roten Kreuz zum Grenzübergang Rafah, das sind circa 50 Kilometer, transportiert. Dann folgen die ganzen Grenzkontrollen. Hier können wir nicht abschätzen, ob der Transport Tage oder vielleicht auch ein oder zwei Wochen vor der Grenze nach Gaza steht.
PZ: Wie ist die Situation hinter der Grenze?
Haselbach: In Gaza übernimmt wieder das Team von Anera in Kooperation mit dem palästinensischen Roten Halbmond. Die Lage vor Ort ist sehr dynamisch, man kann nicht sagen, wer die Lieferung an dem Tag, an dem sie ankommt, in Empfang nehmen kann.
Die Infrastruktur in Gaza ist zusammengebrochen. Deswegen haben wir jetzt die Situation, dass wir ab der Übergabe an Anera keine genaue Kontrolle mehr darüber haben können: Zu einem Großteil der Mitarbeiter von Anera im Gazastreifen ist der Kontakt abgebrochen, sodass es momentan nur fünf Personen sind, die sich ab der Grenze um das Health Kit kümmern können. Es gibt bestätigte Todesfälle in den Teams von Anera und deren Familien. Das gilt auch für den palästinensischen Roten Halbmond. Es gibt also nur noch eine kleine Gruppe, die lokal aktiv ist und effektiv Hilfe leisten kann.
Trotz dieser dramatischen Lage sind Anera und auch wir weiterhin optimistisch, dass unsere Medikamentenlieferung dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Ein enger Austausch mit anderen Organisationen, inklusive der UN, findet vor Ort statt. Diese erste Lieferung ist für uns auch als Test gedacht, um danach zu evaluieren, ob wir in Anbetracht der aktuellen Unsicherheiten vor Ort weitere Hilfslieferungen auf den Weg bringen können.
PZ: Wie sieht die Hilfe im Gaza-Streifen konkret aus?
Haselbach: Die Teams versuchen aktuell, mobile Kliniken auf die Beine zu stellen. Sie rotieren tageweise mit ihren Zelten zwischen den Geflüchteten-Unterkünften, um noch möglichst viele Personen versorgen zu können. Für sie sind unsere Medikamente gedacht. Zu diesen Helfern haben wir keinen direkten Kontakt, und auch die vermittelnden Personen haben nur wenig Kontakt, weil das Mobilfunknetz oft nicht funktioniert.
PZ: Wie groß ist Ihre Sorge, dass das Kit nicht oder nicht vollständig ankommt?
Haselbach: Dadurch, dass die Wege recht kurz sind, gehen wir davon aus, dass, wenn am Grenzübergang alles funktioniert, die Medikamente bei den Ärzten ankommen. Die soliden Organisationsstrukturen wie zu Kriegsbeginn sind jedoch nicht mehr vorhanden, sodass im Prinzip jede Organisation dort hilft, wo es nötig ist, und sich die Teams untereinander vermischen. Das ist dann reine Improvisation.
PZ: Hat AoG eine vergleichbare Situation schon einmal erlebt?
Haselbach: Eine vergleichbar schwierige und komplexe Situation hatten wir meines Wissens bislang noch nicht. Selbst mit Syrien ist das nicht vergleichbar. Dass Geflüchtete sich auf so engem Raum befinden und so wenig internationale Hilfe ins Land kommt, macht die Versorgung so schwierig. Auch mit der AoG-Ukrainehilfe kann man dies nur bedingt vergleichen. Wir konnten dort von Kriegsbeginn an handeln und aktiv helfen auch ohne Präsenz vor Ort.
PZ: Wie ist die Stimmung in Amman?
Haselbach: Wir haben keinen Vergleich zu den Zeiten vor dem Angriff der Hamas auf Israel, aber hier in der Hauptstadt herrscht normaler arabischer Alltag. Es ist gut, dass hier in Amman alles weiter funktioniert. So kann unsere Arzneimittellieferung von hier sicher weiter transportiert werden.
Max Haselbach und sein Kollege Basel Karnoub sind seit Oktober 2023 hauptamtliche Projektkoordinatoren für Ukraine, Haiti und Ghana beziehungsweise für Syrien, Libanon, Türkei und Uganda bei Apotheker ohne Grenzen. Karnoub ist Apotheker und für den pharmazeutischen Part zuständig. Haselbach hat internationale Beziehungen studiert und ist für die Logistik zuständig.
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