Nordrheins Apotheken forcieren Selbstmedikation |
Alexander Müller |
12.05.2025 16:00 Uhr |
Der Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, Armin Hoffmann, begrüßte zur Kick-off-Veranstaltung zum Thema Selbstmedikation von Kammer von Verband. / © AKNR
Armin Hoffmann, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein und der Bundesapothekerkammer, teilt die Befürchtung nicht, dass die Apotheken vor Ort die Selbstmedikation an Versandhandel verlieren. Laut einer Umfrage von Pharma Deutschland bevorzugten 62 Prozent die Apotheke vor Ort beim OTC-Kauf. Nähe und Vertrauen seien über alle Altersgruppen hinweg entscheidend. Aber Hoffmann sieht die Apothekenteams auch in der Pflicht: »Die Beratungschecks im Bereich der Selbstmedikation zeigen: Die Bereitschaft, unaufgefordert zu beraten, ist noch ausbaufähig.«
»Ich bin überzeugt, dass wir die Zukunft nur als Heilberufler und damit pharmazeutisch gewinnen können«, so Hoffmann zum Auftakt der Kick-off-Veranstaltung »Selbstmedikation – Eine Win-Win-Situation für Patienten und Apotheken«. Die Kammer bietet das Aufbaukonzept zusammen mit dem Apothekerverband Nordrhein (AVNR) an. Der Auftakt fand am Wochenende in der Zeche Zollverein in Essen für Inhaberinnen und Inhaber statt, Termine für die Teams sind am 5. Juni und 2. Juli online geplant.
Die Bedeutung des OTC-Geschäfts in der Apotheke vor Ort betonte Silke Stütz, Vorstandsmitglied und Schatzmeisterin des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR): »Jedes zweite Arzneimittel ist ein OTC-Arzneimittel, das ohne vorherige ärztliche Beratung abgegeben wird.« Allein in Nordrhein-Westfalen gebe es rund eine Million Patientenkontakte pro Tag. Und bei der Abgabe von mehr als 600 Millionen Packungen im Jahr komme den Apotheken eine wichtige Aufgabe als letzter Kontakt zum Patienten vor der Einnahme zu.
Der Gesundheitsökonom Andreas Kaapke ordnete die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ein: »Selbstmedikation bedeutet nicht Selbstbedienung! Der Gesetzgeber hat die Betriebsform der besonderen Art für Güter der besonderen Art vorgesehen.« Patientinnen und Patienten seien eben keine »souveränen Konsumenten« in diesem Markt.
Mit Blick auf die möglichen Folgekosten einer unregulierten Selbstmedikation – Beispiel USA – sagte Kaapke: »Kein Gesundheitspolitiker konnte bislang nachweisen, dass ein anderer Vertriebskanal effizienter wäre als die Apotheke.« Den geplanten Einstieg der Drogeriekette dm in den OTC-Versand könne man auch als positives ökonomisches Signal verstehen, offensichtlich werde der Markt als lohnend angesehen. Den Apothekenteams spricht er Mut zu: »Zeigen sie denen, mit wem sie es zu tun haben: mit heilberuflicher Kompetenz!«
Apothekerin Anke Kock stellte vor, wie sie Apothekenteams in ihren Coachings (apo Impulse) den leichten Einstieg in das Beratungsgespräch weist. Dabei spielten positive Ausstrahlung und Unvoreingenommenheit wie die feinen Antennen für die wirklichen Bedürfnisse des Kunden eine Rolle. Denn manchmal sei der vermeintlich konkrete Präparatewunsch des Kunden nur das Ergebnis einer schnellen Onlinesuche nach den eigenen Symptomen.
Idealerweise sprechen die Teams dann nicht nur die akuten Beschwerden an, sondern auch mögliche Begleiterscheinung und Prophylaxe-Optionen. Der Kunde fühle sich ernstgenommen, die Apotheke habe Chancen auf Mehrumsatz.
Kathrin Luboldt von der Apothekerkammer und Julian Gorski von upscale Pharma zeigten auf, wie die Sichtwahl als Teamleistung optimiert werden kann. Wie könnten gute Routinen geschaffen werden, so die Frage. Kernempfehlungen würden gemeinsam erarbeitet und immer wieder angepasst. Sogar eine deutlich markierte Rabattecke wurde auf Wunsch des Teams eingeführt. »Ich war erst kein Fan von der Idee, aber es funktioniert«, so Luboldt.
Apotheker Marc Kriesten sprach über mögliche Einsätze von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Selbstmedikation: In seiner Apotheke nutzt er kuratiertes Wissen von ChatGPT, um die Selbstmedikation zu optimieren. In definierte Prompts trägt er das Anliegen sowie Informationen zum Patienten wie Alter, Geschlecht, relevante Vorerkrankungen oder die bisherige Medikation ein und bekommt so Unterstützung bei der Empfehlung. Auch in die Warenwirtschaft integrierte Lösungen wie »Ask Stella« von CGM oder das Angebot »Frag die PZ« könnten im Alltag helfen. »Sehr valide Datenschätze – da müssen wir hin, die müssen wir nutzen«, so Kriesten.
Dass die Versorgung »hybrid« wird, glaubt auch Apotheker Steffen Kuhnert. Die Apotheken müssten daher vor Ort für die Kunden erreichbar sein, aber eben auch zu Hause am Smartphone. Als gemeinsame Lösung aus den Reihen der Kollegenschaft stellte er das Chat-Beratungskonzept »Frag die Apotheke« vor, das seit 14 Monaten läuft.
Und die Erwartungshaltung des Kunden geht noch weiter, wie Apotheker Gence Polat, aufzeigte – Stichwort Botendienst. Bei seinem Konzept des Expressbotendienstes schließen sich Apotheken lokal zusammen, um bei Fahrern, Fahrzeugen und Routen ihre Aufwendungen zu bündeln. An seinem Standort in Köln habe ihm das eine Einsparung von 65 Prozent gebracht, bei gestiegenem Service für die Kundschaft. Das Angebot wurde 2022 entwickelt und ist heute in 13 Städten verfügbar.
Apothekerin Janet Olgemüller erklärte den Kolleginnen und Kollegen, wie sie das Thema Selbstmedikation in den sozialen Medien spielen können. Die gute Nachricht: Alles, was apothekenrelevant ist, funktioniert auch auf Social Media, gerade auch schambehaftete Themen. Bei der konkreten Nennung von Produkten sei allerdings Vorsicht geboten. Und: Social Media sei und bleibe ein enormer Zeitfresser, wenn man es ernsthaft betreibt, gab Olgemüller zu. Immerhin: »Personalprobleme lösen sich auf, ich bekomme jede Woche Bewerbungen.«
Apotheker Dirk Vongehr findet alle zusätzlichen Services nett, wollte den Fokus beim Thema Selbstmedikation aber noch einmal auf einen anderen Aspekt lenken: »Ich will auch Nutzen davon haben, schließlich bin ich Kaufmann.« Vongehr hat in seiner Paradies-Apotheke gute Erfahrungen mit einem System automatischer Preisanpassung gemacht. Seine Kundschaft gewinne er nicht über den Preis, sondern über das Erlebnis in der Apotheke.
Im Übrigen hätten die Versender die OTC-Preise zuletzt stärker erhöht als die Kollegen vor Ort. Unseriös findet er allerdings Modelle, bei denen der Anbieter mitverdient am Verkauf.
In der abschließenden Podiumsdiskussion machte Sabine Härter als Patientenvertreterin noch einmal deutlich, wie wichtig gerade für Chroniker die Arzneimittelberatung in der Apotheke ist. Dass ein Medikament die Insulinwirkung senke, habe ihr Arzt nicht erwähnt, ihr Apotheker schon. Allerdings wünscht sie sich generell noch längere Öffnungszeiten in den Apotheken.
Lutz Boden vom Herstellerverband Pharma Deutschland betonte, dass die Selbstmedikation mit heilberuflicher Unterstützung auch dazu beitrage, das Gesundheitssystem zu entlasten. Sebastian Berges vom AVNR ermutigte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Kernkompetenz weiter auszubauen, um gegen die Onlinekonkurrenz zu bestehen. Er sieht im OTC-Geschäft »eine riesige Chance«. Sein Appell: »Seien Sie viel mehr Unternehmer, unternehmen Sie etwas!« Kammer und Verband wollen die Apotheken mit der Veranstaltungsreihe dabei unterstützen.