Neues zu Biomarkern, Musik und Palliativversorgung |
Brigitte M. Gensthaler |
18.03.2025 18:00 Uhr |
Die Diagnose Demenz ist erst einmal ein Schock für alle Beteiligten. Wie geht es weiter? Die S3-Leitlinie Demenzen fasst den aktuellen Stand von Diagnostik und Therapie zusammen. / © Adobe Stock/alephnull
Jedes Jahr erhalten fast 450.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Demenz, aktuell sind 1,8 Millionen Menschen erkrankt. Eine Demenz ist nicht heilbar; mit einer guten Versorgung kann jedoch ihr Fortschreiten oft verlangsamt, die Symptomlast verringert und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen verbessert werden.
Die S3-Leitlinie Demenzen fasst den Stand des Wissens für eine optimale Diagnostik und Therapie zusammen und ist als Living Guideline angelegt. Die kürzlich vorgelegte erste Aktualisierung enthält sechs neue und sechs überarbeitete Empfehlungen. Federführend sind die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
Gleich vorweg: Die aktualisierte Version enthält keine Empfehlungen zu den Antikörpern Lecanemab und Donanemab. Zwar hat das Expertengremium der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) die Zulassung von Lecanemab empfohlen, aber das Zulassungsverfahren ist seitens der EU-Kommission noch nicht abgeschlossen.
Neu in der Leitlinie ist eine Empfehlung zur Biomarker-Diagnostik im Blut. Die Experten raten klar davon ab, die Diagnostik einer zerebralen Amyloid-Pathologie oder von anderen neuropathologischen Veränderungen allein auf blutbasierte, zugelassene Tests, zum Beispiel auf pτ217 oder Aβ42 und Aβ40 im Plasma, zu stützen. »Neue Studien zeigen gute diagnostische Werte für die ersten blutbasierten Biomarker für die Alzheimer-Erkrankung«, erläutert Leitlinien-Co-Herausgeber Professor Dr. Richard Dodel in einer Pressemeldung der Fachgesellschaften. »Allerdings müssen diese Tests weiter evaluiert werden, bevor sie Einzug in den klinischen Alltag erhalten und die bisherige Diagnostik ersetzen können.«
Bislang werden Biomarker zur Bestimmung von Amyloid-Ablagerungen oder anderen Alzheimer-Indikatoren durch Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) oder mit bildgebenden Verfahren wie der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) ermittelt. Die Leitlinie empfiehlt den Einsatz von Blutmarkern nur in Verbindung mit etablierten Verfahren und nur durch Experten für die Biomarker-Diagnostik.
Musik macht Freude und verbindet Menschen – mit und ohne Demenz. / © Getty Images/Westend61
Die Experten schlagen nun auch die Musiktherapie für Menschen mit Demenz vor. Sowohl das aktive Musizieren, also Singen oder ein Instrument spielen, als auch das Musikhören hätten einen potenziellen Nutzen für die Kognition sowie psychische und Verhaltenssymptome.
Ebenso empfehlen sie für Menschen mit leichter kognitiver Störung (MCI) oder Demenz ein körperliches Training, also Krafttraining und/oder aerobes Training (größter Effekt bei 150 Minuten pro Woche), zur Verbesserung der kognitiven Leistung. Neu ist die Empfehlung einer kognitiven Verhaltenstherapie zur Behandlung einer Depression auch bei Patienten mit MCI.
Auf die Verbesserung der Lebensqualität zielt ein ganz neues Kapitel der Leitlinie ab. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass Menschen mit fortgeschrittener Demenz häufig an sehr belastenden Symptomen wie Schmerzen, Dyspnoe und Schluckstörungen leiden.
Professor Dr. Frank Jessen, Co-Herausgeber der Leitlinie für die DGPPN, erklärt: »Erstmals empfehlen wir an Demenz erkrankten Personen und ihren Angehörigen auch Maßnahmen der palliativen Versorgung, um schwerem Leid vorzubeugen und dieses zu lindern.« Es sei wichtig, Schmerzen und andere Probleme körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art frühzeitig zu erkennen, einzuschätzen und zu behandeln.
Zugleich erinnern die Autoren der Leitlinie daran, dass man Antipsychotika bei Verhaltenssymptomen nur sehr zurückhaltend einsetzen soll – wegen des bei Demenz bekannten Nebenwirkungsprofils. Außerdem soll auffälliges Verhalten nicht mit Analgetika, vor allem nicht mit Opioiden, behandelt werden, wenn keine schmerzbezogene Indikation besteht.
Ab wann eine Palliativversorgung beansprucht werden kann, ist nicht klar definiert. Psychiater Jessen betont: »Das frühzeitige Sprechen über die palliative Versorgung kann helfen, dass die Wünsche und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden.«
In der Pharmakotherapie gibt es keine Änderungen. Nach wie vor werden Acetylcholinesterase-Hemmer und Ginkgo biloba EGb 761 (240 mg täglich) zur Behandlung von Kognition und Alltagsfunktionen bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz – auch zur langfristigen Gabe – sowie Memantin im mittelschweren bis schweren Stadium empfohlen. Donepezil und transdermales Rivastigmin können auch bei schwerer Alzheimer-Demenz (off Label) erwogen werden.
Ein Off-Label-Use ist auch der Einsatz von Donepezil, Galantamin, Rivastigmin oder Memantin bei Menschen mit vaskulärer Demenz. Für die frontotemporale Demenz gibt es weiterhin keine Medikation zur Verbesserung der Kognition. Die Leitlinie Demenzen wurde als Living Guideline turnusgemäß aktualisiert. Die nächste Aktualisierung steht in einem Jahr an.