Neues zu ASS zur Krebsprävention |
Annette Rößler |
08.10.2025 16:20 Uhr |
Lowdose-ASS hat bei älteren Menschen einen unklaren Nutzen zur Krebsprävention. / © Getty Images/Westend61
Die ASPREE-Studie (Aspirin in Reducing Events in the Elderly) war eine prospektive Interventionsstudie, an der zwischen 2010 und 2014 insgesamt 19.114 gesunde ältere Menschen (mindestens 70 Jahre) in Australien und den USA teilnahmen. In der placebokontrollierten Studie wurde untersucht, wie sich die Einnahme von 100 mg ASS täglich auf verschiedene Parameter auswirkte, darunter das Krebsrisiko.
Das Ergebnis war unerwartet: Statt eines präventiven Effekts beobachtete man sogar ein leicht erhöhtes Risiko für Krebs in fortgeschrittenen Stadien, sodass die Autoren der Publikation im »Journal of the National Cancer Institute« dazu rieten, ASS bei älteren Menschen mit Vorsicht einzusetzen. Da jedoch andere Untersuchungen seitdem auch wieder positive Effekte von ASS auf das Risiko speziell für Darmkrebs zeigten, riss die Diskussion zu diesem Thema nicht ab. Studienergebnisse legten auch nahe, dass möglicherweise nur bestimmte Personengruppen von der Anwendung profitieren.
Nun haben Forschende auch anhand der ASPREE-Daten überprüft, ob es bestimmte Merkmale gibt, bei deren Vorliegen ASS einen krebsprotektiven Effekt hat. Die Gruppe um Dr. Le Thi Phuong Thao von der Monash University in Melbourne, Australien, veröffentlichte die Ergebnisse im Fachjournal »JAMA Oncology«.
Ein besonderes Augenmerk richteten die Wissenschaftler auf CHIP: klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (siehe Kasten). Dieses altersassoziierte Phänomen ist mit einem erhöhten Risiko insbesondere für hämatologische Krebserkrankungen, aber auch für solide Tumoren verbunden. Gemäß einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weisen Menschen mit CHIP eine oder mehrere erworbene Mutationen in Treibergenen für myeloische Neoplasien auf, ohne jedoch an Blutkrebs erkrankt zu sein. Der Anteil der mutierten Gene, die sogenannte Varianten-Allelfrequenz (VAF), beträgt dabei mindestens 2 Prozent.
Die klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (Clonal Hematopoiesis of Indeterminate Potential, CHIP) ist laut der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) ein prämaligner Zustand, der für die Entwicklung einer hämatologischen Neoplasie prädisponiert. Ebenfalls erhöht ist bei Trägern von CHIP-Mutationen das Risiko für zahlreiche andere Erkrankungen, darunter Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Schlaganfall, Typ-2-Diabetes, Gicht und Osteoporose. Insgesamt haben Menschen mit CHIP eine deutlich erhöhte Gesamtmortalität. Die Häufigkeit von CHIP nimmt mit steigendem Lebensalter zu: Im Alter unter 40 Jahre sind weniger als 1 Prozent der Bevölkerung betroffen, ab einem Alter von 70 Jahren 15 bis 20 Prozent.
Bereits in einer früheren Subgruppenanalyse der ASPREE-Studie war aufgefallen, dass CHIP mit einer erhöhten Mortalität verbunden war, die vor allem auf eine erhöhte krebsbedingte Sterblichkeit zurückging. Besonders gefährdet waren Personen mit CHIP und einer stark erhöhten VAF von 10 Prozent und mehr. Genau diese Subgruppe scheint laut den Ergebnissen der aktuellen Analyse besonders von der Einnahme von ASS zu profitieren.
Weitere Faktoren, die gemäß dieser Auswertung von 9350 Teilnehmenden der ASPREE-Studie mit einem Nutzen der ASS-Anwendung einhergingen, waren ein höheres Lebensalter, der Status als Nichtraucher, Krebs in der Familie und ein niedriger Body-Mass-Index (BMI). Insgesamt war das Krebsrisiko in der Gruppe der Teilnehmenden, die von ASS profitierten, um 15 Prozent gesenkt (Hazard Ratio 0,85). Dagegen wirkte sich ein höherer BMI, der Status als Raucher, eine Polypharmazie und Krebs in der eigenen Anamnese negativ aus – in der entsprechenden Subgruppe war das Krebsrisiko unter ASS gegenüber Placebo sogar erhöht (HR 1,14).
Die Studie lässt den Leser etwas ratlos zurück. Fragen, die sich aufdrängen, lauten etwa: Wie verbreitet ist CHIP mit einer VAF von mindestens 10 Prozent? Scheint es praktikabel, ältere Menschen auf CHIP zu testen, um diejenigen zu identifizieren, die von einer ASS-Einnahme profitieren könnten? Was ist mit den möglichen negativen Effekten von ASS – Stichwort Blutungsrisiko?
Die Autoren begnügen sich mit dem Hinweis, dass ihre Ergebnisse auf eine »signifikante Heterogenität der Wirksamkeit« von ASS zur Krebsprävention bei älteren Menschen hindeuteten. Dass besonders Patienten mit CHIP profitieren könnten, halten sie aber wegen der antiinflammatorischen Wirkung von ASS für biologisch plausibel.
Deutlich kritischer äußern sich zwei unabhängige Experten gegenüber der Nachrichtenseite »Medscape« über die Studie. Sekundäranalysen seien zwar prinzipiell interessant, eigneten sich aber vor allem zur Entwicklung von Hypothesen, sagt Dr. Christopher Labos, von der McGill University in Montreal, Kanada. Wenn wie in diesem Fall das Ergebnis der ursprünglichen Studie negativ ausgefallen sei, solle man einer Sekundäranalyse nicht zu viel Bedeutung beimessen. Dr. Gilbert Welch vom Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA, wird deutlicher: »Das ist ein Amoklauf der personalisierten Medizin.« Er bezeichnet die Studie als einen Versuch, fragliche Risikofaktoren aufzuzählen, gefolgt von unerwiesenen Interventionen, die, wenn überhaupt, nur wenigen helfen könnten.