Neues Wirkprinzip bei Schizophrenie |
Sven Siebenand |
27.09.2024 14:00 Uhr |
Halluzinationen und Wahnvorstellungen können zur Symptomatik von Patienten mit Schizophrenie zählen. / Foto: Adobe Stock/Photographee.eu
Anders als die meisten bisherigen Antipsychotika wirkt die Kombination aus Xanomelin und Trospiumchlorid nicht direkt auf Dopaminrezeptoren, sondern auf Muskarinrezeptoren. Die eigentlich bei Schizophrenie wirksame Substanz ist dabei Xanomelin. Es wirkt agonistisch an den muskarinischen Acetylcholinrezeptoren M1 und M4. Diese Rezeptoren werden auch in bestimmten Regionen des Gehirns exprimiert und spielen offenbar bei Psychosen und Kognitionsverlust eine Rolle, was darauf hindeutet, dass ihre Modulation Symptome etwa bei Schizophrenie verbessern könnte.
Xanomelin überwindet die Blut-Hirn-Schranke, wäre allein gegeben aber auch in der Peripherie agonistisch an Muskarinrezeptoren wirksam und würde Nebenwirkungen verursachen. Deshalb braucht es einen Kombinationspartner. Dies ist der bekannte und ausschließlich peripher wirkende Muskarinrezeptor-Antagonist Trospiumchlorid.
Bei Schizophrenie wird zwischen unterschiedlichen Symptomatiken unterschieden. Während bei einer Positiv-Symptomatik die Betroffenen eine stärkere psychische Aktivität aufweisen, die sich beispielsweise durch Halluzinationen und Wahnvorstellungen auszeichnet, gibt es bei der Negativ-Symptomatik einen Mangel an psychischer Aktivität, die das Denken, Fühlen und Handeln vermindert oder eingeschränkt.
Die Wirksamkeit von Cobenfy bei der Schizophrenie-Behandlung von Erwachsenen wurde unter anderem in den randomisierten und doppelblinden Studien Emergent-2 und -3 untersucht. In den Phase-III-Studien erreichte Xanomelin/Trospiumchlorid den primären Endpunkt und erzielte im Vergleich zu Placebo eine statistisch signifikante Verringerung der Schizophrenie-Symptome, gemessen an der Veränderung des Gesamtscores auf der Positiv- und Negativ-Syndrom-Skala (PANSS) von Studienbeginn bis Woche 5. Cobenfy zeigte eine Verringerung der PANSS-Gesamtwertung um 9,6 Punkte (–21,2 versus –11,6) beziehungsweise um 8,4 Punkte (–20,6 versus –12,2) im Vergleich zu Placebo.
Die Daten der Studien Emergent-4 und -5, in denen die Studienteilnehmenden 52 Wochen beobachtet wurden, sind bereits ausgewertet, wurden bisher aber noch in keinem Fachjournal veröffentlicht. Es steht allerdings zu vermuten, dass der FDA auch diese Daten vorlagen und sie in die Entscheidung über die Zulassung eingeflossen sind.
Auch Sicherheitsaspekte nahmen die FDA-Experten unter die Lupe. In der US-amerikanischen Fachinformation wird davor gewarnt, dass Cobenfy Harnverhalt, erhöhte Herzfrequenz, verminderte Magenbewegungen oder Angioödeme im Gesicht und an den Lippen verursachen kann. Zudem sollte das Mittel bei bekannter Leberfunktionsstörung nicht angewendet werden. Auch für Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Nierenfunktionsstörung, unbehandeltem Engwinkelglaukom und Harnverhalt wird es nicht empfohlen.
Cobenfy wird zweimal am Tag oral eingenommen. Die Kapsel sollte mindestens eine Stunde vor oder zwei Stunden nach einer Mahlzeit geschluckt und nicht geöffnet werden.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Verdauungsstörungen, Verstopfung, Erbrechen, Bluthochdruck, Bauchschmerzen, Durchfall, Tachykardie, Schwindel und gastroösophageale Refluxkrankheit.
Bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) liegt bislang kein Zulassungsantrag für Xanomelin/Trospiumchlorid vor. Doch dies kann sich nach der US-Zulassung schnell ändern. Professor Dr. Alkomiet Hasan, Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Augsburg, äußerte sich gegenüber dem Science Media Center positiv: »Ich schätze das Potenzial als extrem hoch ein, da wir erstmals seit mehreren Jahrzehnten einen wirklichen Durchbruch in der Pharmakotherapie der Schizophrenie haben.«
Der Mediziner sieht aufgrund des beschriebenen Wirkmechanismus insbesondere die Anwendung bei Menschen mit akuten psychotischen Erkrankungen, Positiv-Symptomen und in frühen Phasen der Erkrankung. Eine besondere Wirksamkeit auf Negativ-Symptome oder kognitive Symptome sei im Moment nicht absehbar. Dennoch gebe der Wirkmechanismus Hoffnung auf eine Wirkung auch bei Negativ-Symptomen – dies müssten aber zukünftige Studien zeigen.
Als großen Vorteil wertet Hasan das sehr geringe bis nicht vorhandene Risiko für motorische Nebenwirkungen bei gleichzeitig günstigem metabolischem Profil. Auch scheine die Substanz wenig zu sedieren. »Ein Nachteil könnte der fehlende D2-Antagonismus sein. Man könnte annehmen, dass die Wirksamkeit in der klinischen Realität vielleicht doch geringer ist als bei den Antipsychotika mit dieser Eigenschaft.« Direkte Vergleichsstudien mit anderen Antipsychotika müssen das in der Zukunft klären.
Neben Xanomelin/Trospiumchlorid stehen in der Schizophrenie-Behandlung weitere neue Optionen bevor. Emraclidin ist zum Beispiel ein positiv-allosterischer Modulator am M4-Rezeptor und weist einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Xanomelin auf. Auch die Agonisten am Trace Amine-Associated Receptor 1 (TAAR-1) verfolgen einen komplett neuen Wirkmechanismus. Ebenso ist es bei D-Aminosäure-Oxidase-Hemmern.