Neues Wirkprinzip bei pulmonaler arterieller Hypertonie |
Sven Siebenand |
01.10.2024 09:00 Uhr |
Atemnot, insbesondere unter Belastung, ist oft das erste Symptom einer pulmonalen arteriellen Hypertonie. / Foto: Adobe Stock/Pixel-Shot
Bei pulmonaler arterieller Hypertonie (PAH) verdicken und verengen sich die Blutgefäße in der Lunge. Dadurch ist der Blutdruck in jenen Arterien, die vom Herz in die Lungen führen, sehr hoch. Dies belastet das Herz und führt letztlich dazu, dass die rechte Herzseite nicht mehr richtig arbeitet. Unabhängig von Alter und Geschlecht kann grundsätzlich jeder an PAH erkranken, einen Erkrankungsgipfel gibt es jedoch bei Frauen zwischen 30 und 50 Jahren.
Bis dato ist die Erkrankung unheilbar. Trotz einer Reihe von zugelassenen Therapien, etwa Endothelin-Rezeptorantagonisten, Phosphodiesterase-5-Hemmer, Prostazyklin-Analoga oder Stimulatoren der löslichen Guanylatzyklase, ist die Langzeitprognose der Betroffenen nach wie vor schlecht. Schätzungsweise die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb von fünf bis sieben Jahren nach der Diagnose.
Sotatercept (Winrevair® 45 mg/60 mg Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung, MSD) ist ein erster Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse bei PAH, der Aktivin-Signalweg-Inhibitoren. Er weist eine hohe Selektivität für Aktivin A auf. Dabei handelt es sich um ein Glykoprotein, das zur Liganden-Superfamilie des Transforming-Wachstumsfaktors-β (TGF-β) gehört. Aktivin A bindet an den Aktivin-Rezeptor Typ IIA (ActRIIA), der Schlüsselsignale bei Inflammation, Zellproliferation, Apoptose und Gewebehomöostase reguliert.
Bei PAH-Patienten sind die Spiegel von Aktivin A erhöht. Die Bindung von Aktivin A an ActRIIA fördert die proliferative Signalübertragung, während die Signalübertragung des antiproliferativen knochenmorphogenetischen Proteinrezeptors Typ II (BMPRII) abnimmt. Das Ungleichgewicht der ActRIIA-BMPRII-Signalübertragung, die der PAH zugrunde liegt, führt zu einer Hyperproliferation von vaskulären Zellen, was zu einer pathologischen Umgestaltung der Pulmonalarterienwand, einer Verengung des Arterienlumens, einem Anstieg des pulmonalen Gefäßwiderstands und zu einem erhöhten Lungenarteriendruck sowie rechtsventrikulärer Dysfunktion führt.
Sotatercept besteht aus einem rekombinanten homodimeren Aktivin-Rezeptor-Typ-IIA-Fc-(ActRIIAFc-)Fusionsprotein, das als Ligandenfalle fungiert, die überschüssiges Aktivin A und andere Liganden für ActRIIA abfängt, um die Aktivin-Signalübertragung zu hemmen. Infolgedessen gleicht Sotatercept die proproliferative (ActRIIA/Smad2/3-vermittelte) und antiproliferative (BMPRII/Smad1/5/8-vermittelte) Signalgebung aus, um die vaskuläre Proliferation zu modulieren.
Zugelassen ist Sotatercept in Kombination mit anderen PAH-Therapien für die Behandlung erwachsener Patienten der WHO-Funktionsklasse II bis III zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit.
Sotatercept wird alle drei Wochen als subkutane Einzelinjektion in Abhängigkeit vom Körpergewicht des Patienten gegeben. Der Hämoglobinwert und die Thrombozytenzahl müssen vor Therapiestart und im Verlauf der Therapie immer im Blick behalten werden. Die Behandlung wird mit einer empfohlenen Initialdosis von 0,3 mg/kg Körpergewicht initiiert. Drei Wochen danach sollte die Dosis nach Bestätigung eines akzeptablen
Hämoglobinwerts und einer akzeptablen Thrombozytenzahl auf die empfohlene Zieldosis von 0,7 mg/kg Körpergewicht erhöht werden.
Die Behandlung ist alle drei Wochen mit dieser Dosierung fortzusetzen, sofern keine Dosisanpassungen erforderlich sind. Details dazu finden sich in der Fachinformation. Zudem gibt es dort spezielle Warnhinweise zu den Themen Erythrozytose und schwere Thrombozytopenie. Eine schwere Erythrozytose kann das
Risiko für thromboembolische Ereignisse und ein Hyperviskositätssyndrom erhöhen, weshalb der Hämoglobinwert regelmäßig zu prüfen ist. Wegen der Möglichkeit schwerer Blutungsereignisse ist die Thrombozytenzahl zu überwachen.
Die Applikation erfolgt in den Bauch, Oberarm oder Oberschenkel. Bei zwei aufeinanderfolgenden Applikationen sollte die Injektionsstelle rotieren. Patienten und Pflegekräfte können das Mittel verabreichen, wenn sie vom medizinischen Fachpersonal geschult wurden.
Die Zulassung basiert auf der randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie STELLAR mit 323 erwachsenen PAH-Patienten mit Funktionsklasse II oder III. Die Patienten setzten ihre bisherige PAH-Therapie fort und erhielten in der Phase-III-Studie über 24 Wochen entweder alle drei Wochen
Sotatercept (n = 163) oder eine Placebo-Injektion (n = 160).
Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Sechs-Minuten-Gehstrecke gegenüber dem Ausgangswert in Woche 24. Im Sotatercept-Arm betrug die placebobereinigte mediane Veränderung gegenüber dem Ausgangswert 40,8 Meter – eine signifikante Verbesserung.
Auch bei den sekundären Endpunkten gab es Positives zu vermelden. Besonders wichtig: Die Behandlung mit Sotatercept führte im Vergleich zu Placebo zu einer Reduktion des Auftretens von Todesfällen oder klinischen Verschlechterungsereignissen um mehr als 80 Prozent. Der Behandlungseffekt des Biologikums gegenüber Placebo begann in Woche 10 und hielt für die Dauer der Studie an.
Zu den sehr häufigen beobachteten Nebenwirkungen zählen Kopfschmerz, Epistaxis, Teleangiektasie, Durchfall, Schwindel, Ausschlag und Thrombozytopenie. Bei Patienten mit einer konstanten Thrombozytenzahl unter 50 x 109/l vor Beginn der Behandlung ist Sotatercept kontraindiziert.
Frauen im gebärfähigen Alter wird ein Schwangerschaftstest vor Therapiestart empfohlen. Sie sollten während der Behandlung und für mindestens vier Monate nach der letzten Dosis eine wirksame Verhütungsmethode anwenden. Die Anwendung von Winrevair bei Schwangeren wird nicht empfohlen. Das Stillen soll während der Behandlung und für vier Monate nach der letzten Behandlungsdosis unterbrochen werden.
Das neue Medikament ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C zu lagern. Die biochemische und biophysikalische Stabilität nach Rekonstitution wurde für vier Stunden bei 30 °C nachgewiesen.
Medikamente besteht nach wie vor Bedarf an neuen Therapieoptionen bei PAH. Der neue Wirkstoff Sotatercept ist eindeutig bei den Sprunginnovationen einzuordnen. Dies liegt einerseits an dem neuen Wirkmechanismus. Es handelt sich um den ersten Aktivin-Signalweg-Inhibitor für die PAH-Therapie. Es wird angenommen, dass das Biologikum die der PAH zugrunde liegende Gefäßproliferation modulieren kann. Das ist etwas Neues und Innovatives. Sotatercept hat das Potenzial, die Therapie vieler PAH-Patienten zu verbessern und die Krankheitslast zu reduzieren.
Die Zulassungsstudie STELLAR zeigte, dass die Add-on-Therapie mit Sotatercept für die Patienten durchaus einiges bringen kann. Der primäre Endpunkt wurde mit Signifikanz erreicht. Der Behandlungseffekt war dabei auch in den verschiedenen untersuchten Subgruppen konsistent. Zudem gab es bei den sekundären Endpunkten Vorteile. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang besonders der Vorteil im Vergleich zu Placebo bei den aufgetretenen Todesfällen oder den klinischen Verschlechterungsereignissen im Verlauf der Studie.
Eine bislang noch weitgehend offene Frage lautet: Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Beginn der Behandlung mit Sotatercept? In der STELLAR-Studie hatten zum Beispiel rund 60 Prozent der Patienten kein parenterales Prostazyklin in ihrer Backgroundtherapie. Würden sie durch Hinzunahme von Prostazyklin eine weitere Verbesserung erfahren oder könnte Sotatercept dieses Ziel sogar auch allein erreichen? Studien wie HYPERION und ZENITH bringen zukünftig hoffentlich Licht ins Dunkel. Zudem bleiben auch Fragen bezüglich der langfristigen Wirksamkeit und Sicherheit von Sotatercept noch offen. Antworten soll die SOTERIA-Studie liefern.
Sven Siebenand, Chefredakteur