Neues Immunsuppressivum für Nierenpatienten |
Annette Rößler |
02.04.2021 08:00 Uhr |
Viele Patienten warten sehnlichst auf eine Spenderniere. Mit Imlifidase können Patienten künftig auch solche Organe erhalten, die für sie bislang aufgrund spezifischer Antikörper nicht infrage kamen. / Foto: Imago/epd
Vor einer Nierentransplantation muss geprüft werden, ob der vorgesehene Empfänger das Organ wahrscheinlich abstoßen wird. Bei diesem sogenannten Crossmatch-Test (Kreuzprobe) wird ermittelt, ob beim Empfänger spezifische Antikörper vom Typ IgG gegen das Spendergewebe vorhanden sind. Ist die Kreuzprobe positiv, macht das den Erfolg der Transplantation bei diesem Patienten unwahrscheinlich und es erhält zumeist ein anderer Patient auf der Warteliste das Organ.
Imlifidase (Idefirix® 11 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Hansa Biopharma) ist für Patienten bestimmt, die aufgrund einer positiven Kreuzprobe mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Spenderniere nicht erhalten können. Es ist eine Cysteinprotease, die von dem IgG-abbauenden Enzym des Bakteriums Streptococcus pyogenes abgeleitet ist. Das Immunsuppressivum spaltet sämtliche humanen IgG-Antikörper, aber keine anderen Immunglobuline. Auch Donor-spezifische Antikörper werden somit abgebaut und die positive Kreuzprobe wird negativ.
Die empfohlene Dosis beträgt 1,25 mg Imlifidase pro kg Körpergewicht, die als Kurzinfusion über 15 Minuten möglichst innerhalb von 24 Stunden vor der Transplantation verabreicht wird. Wird damit die Kreuzproben-Konversion nicht erreicht, kann innerhalb von 24 Stunden eine zweite Dosis verabreicht werden. Als Prämedikation werden Corticosteroide und Antihistaminika gegeben. Zudem sollten zur Prophylaxe von bakteriellen Atemwegserkrankungen für vier Wochen orale Antibiotika mit entsprechendem Wirkspektrum verabreicht werden. Imlifidase ersetzt weder die Induktionstherapie vor der Transplantation noch die Standard-Immunsuppression danach. Ein bis zwei Wochen nach der Infusion beginnt die Rückkehr von endogenem IgG.
Auch therapeutische Antikörper wie Rituximab, Adalimumab und Etanercept werden von Imlifidase gespalten. Ist ein Patient auf ein entsprechendes Antikörperpräparat eingestellt, muss dieses nach der Infusion wieder neu gegeben werden. In welchem zeitlichen Abstand dies erfolgen soll, ist der Fachinformation zu entnehmen.
Bei anhaltender schwerer Infektion darf Imlifidase nicht gegeben werden. Gleiches gilt bei Patienten mit der seltenen Blutkrankheit thrombotisch-thrombozytopenische Purpura. Schwangere Frauen sollten das Mittel aus Vorsichtsgründen nicht erhalten (wobei eine Schwangerschaft ohnehin eine Gegenanzeige für eine Nierentransplantation darstellt) und das Stillen sollte vor der Behandlung mit Imlifidase abgebrochen werden.
Wirksamkeit und Sicherheit von Imlifidase wurden in drei offenen, einarmigen klinischen Studien an insgesamt 46 Patienten gezeigt. Die Teilnehmer waren zwischen 20 und 73 Jahre alt, knapp die Hälfte (46 Prozent) waren Frauen. Alle Patienten wiesen vor der Behandlung mit Imlifidase einen positiven Kreuzprobe-Test auf und wurden durch die Therapie innerhalb von 24 Stunden zu einem negativen Ergebnis konvertiert. Nach sechs Monaten lebten noch alle Patienten; die Nierentransplantat-Überlebensrate betrug 93 Prozent. Die Nierenfunktion wurde »in den für nierentransplantierte Patienten zu erwartenden Bereich wiederhergestellt«, heißt es in der Fachinfo. 90 Prozent der Patienten hatten nach sechs Monaten eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate von mehr als 30 ml/min/1,73 m2.
Die häufigsten Nebenwirkungen in den Studien waren Infektionen (16,7 Prozent der Patienten) sowie mit jeweils 3,7 Prozent Schmerzen an der Infusionsstelle, infusionsbedingte Reaktionen, erhöhte Alanin-Aminotransferase, erhöhte Aspartat-Aminotransferase, Myalgie, Kopfschmerzen und Hitzewallungen. Als häufigste schwere Nebenwirkungen sind Lungenentzündung (5,6 Prozent) und Sepsis (3,7 Prozent) genannt.
Imlifidase ist vorläufig als Sprunginnovation zu werden. Der Wirkstoff ist für bestimmte Patienten, die auf eine Spenderniere warten, als sehr großer Fortschritt zu werten. Imlifidase ist die erste Behandlung für jene Patienten, die auf eine Nierentransplantation warten, hochempfindlich gegen Spendergewebe sind und einen positiven Crossmatch-Test gegen eine verfügbare Niere haben. Dank Imlifidase haben sie die Chance, schneller an ein Spenderorgan zu gelangen, als es zuvor der Fall war. Weitere Studiendaten sollte man jedoch im Blick behalten, etwa zur Langzeitfunktion des Transplantats und zum Überleben von Patienten, die sich nach einer Imlifidase-Behandlung einer Organtransplantation unterzogen haben. Vorerst ist die Einstufung als Sprunginnovation aber absolut gerechtfertigt.
Sven Siebenand, PZ-Chefredakteur