Neuer Wirkstoff gegen Spätdyskinesien |
Brigitte M. Gensthaler |
23.06.2025 09:00 Uhr |
Unwillkürliche Bewegungsstörungen im Gesicht, sogenannte Spätdyskinesien, können Betroffene schwer belasten. Sie erschweren Essen und Trinken, Schlucken und Sprechen und verändern die Mimik. / © Getty Images/Westend61/Jan Tepass
Der zuständige Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA hat ein positives Votum für die Zulassung von Deutetrabenazin (Austedo® Retardtabletten, Teva) abgegeben. Indiziert sind die Tabletten zur Behandlung moderater bis schwerer Dyskinesien bei Erwachsenen. Ärzte, die Erfahrung mit Arzneimittel-induzierten Bewegungsstörungen haben, sollen die Therapie beginnen und die Dosis auftitrieren.
Spätdyskinesien (tardive Dyskinesien, TD) sind hyperkinetische, extrapyramidal-motorische Bewegungsstörungen (EPS), die durch unwillkürliche, stereotyp und wiederholt ablaufende Bewegungen charakterisiert sind und vor allem im Gesicht und im Mundbereich auftreten. Typisch sind zum Beispiel stereotypes Kauen und Schmatzen, Drehen, Wälzen oder Vorstülpen der Zunge, Hin- und Herbewegen des Unterkiefers, das Aufblähen der Wangen sowie Grimassieren. Manche Patienten können die Bewegungen aktiv unterbrechen.
TD sind Spätfolgen einer Therapie mit Dopaminrezeptor-Antagonisten. Meist sind sie durch eine langfristige Behandlung mit Antipsychotika der ersten Generation verursacht, aber auch Zweitgenerations-Antipsychotika können EPS auslösen. Besonders ältere Patienten sind von dieser iatrogenen Erkrankung betroffen, die ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und zur Stigmatisierung führen kann.
Deutetrabenazin ist ein deuteriertes Tetrabenazin; das heißt, dass ein Proton des Tetrabenzin-Moleküls durch Deuterium, also sogenannten schweren Wasserstoff, ersetzt wurde. Diese Modifikation verändert die Pharmakokinetik und soll die Verträglichkeit verbessern. Tetrabenazin ist in Deutschland auf dem Markt zur Behandlung von hyperkinetischen Bewegungsstörungen bei Chorea Huntington sowie bei mittelschweren bis schweren Spätdyskinesien.
Deutetrabenazin ist ein reversibler Inhibitor der vesikulären Monoamin-Transporters 2 (VMAT2). VMAT2-Inhibitoren, zu denen auch Tetrabenazin und Valbenazin (in Deutschland nicht im Handel) gehören, hemmen die Aufnahme biogener Amine (Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Histamin) in synaptische Vesikel, was die Verfügbarkeit der Neurotransmitter und damit die Signalübertragung dämpft. Die Monoamine verbleiben im Zytoplasma und werden durch die Monoamin-Oxidase abgebaut. Dadurch soll sich die TD-Symptomatik bessern.
Der Nutzen von Austedo – eine Verbesserung der Schwere der unwillkürlichen Bewegungen, erfasst mit der Abnormal Involuntary Movement Scale (AIMS) – wurde in zwei 2017 publizierten, placebokontrollierten Studien über zwölf Wochen gezeigt. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Somnolenz, Diarrhö, Mundtrockenheit und Fatigue.
In der ARM-TD-Studie mit 117 TD-Patienten reduzierte Deutetrabenazin signifikant den AIMS-Score und war gut verträglich (DOI: 10.1212/WNL.0000000000003960). Die Therapie startete mit 12 mg/d (6 mg zweimal täglich) und wurde wöchentlich um 6 mg bis zur adäquaten Symptomkontrolle hochtitriert. Maximale Dosis war 48 mg/d. Bekamen die Patienten zusätzlich einen starken CYP2D6-Inhibitor, betrug die Maximaldosis 36 mg/d. In der zwölfwöchigen Phase-III-Studie AIM-TD bekamen 298 Patienten Deutetrabenazin 12, 24 oder 36 mg/täglich oder Placebo (DOI: 10.1016/S2215-0366(17)30236-5). Die beiden höheren Dosierungen reduzierten die Symptome signifikant gegenüber Placebo. Die Nebenwirkungsraten waren vergleichbar.
Die gute Verträglichkeit bestätigte eine Sicherheitsanalyse von 2024, in der die Daten von Patienten mit Spätdyskinesien und mit Chorea Huntington untersucht wurden (DOI: 10.1007/s40120-024-00600-1).