Neuer Schnelltest auf Ototoxizität von Aminoglykosiden |
Theo Dingermann |
22.03.2022 13:30 Uhr |
Eine Genanalyse für die Mutation m.1555A>G, die entscheidend für ein erhöhtes Risiko einer Ototoxizität unter Aminoglykosiden ist, dauerte bislang mehrere Tage. / Foto: Adobe stock/HYUNGKEUN
Eine neonatale Sepsis in den ersten zwei Lebensmonaten ist eine lebensbedrohliche Komplikation. Eine schnelle Diagnose ist zwingend erforderlich, da der Säugling quasi von einem Moment auf den anderen schwer erkrankt und unbehandelt innerhalb weniger Stunden sterben kann. Oft bleibt keine Zeit, eine Diagnose durch eine Blutkultur abzusichern, da das Ergebnis erst nach Stunden oder sogar Tagen vorliegt. Daher wurden immer wieder Kinder behandelt, die gar nicht an einer Sepsis erkrankt waren.
Diese Situation hat sich mittlerweile durch ausgeklügelte Algorithmen zur Risikoabschätzung gebessert. Dennoch gibt es auch bei Anwendung eines risikobasierten Ansatzes immer noch viele Säuglinge, die wegen einer Sepsis behandelt werden, aber eigentlich keine Antibiotika benötigen. Aus einer gewissen Not heraus verfährt man hier ähnlich wie bei einer Blinddarmentzündung: Im Zweifelsfall sollte man ihn entfernen, schreibt Dr. De-Ann M. Pillers von der Abteilung für Neonatologie des Departments of Pediatrics der University of Illinois in Chicago in einem Editorial in »JAMA Paediatrics«.
Da in solchen Fällen häufig Aminoglykosid-Antibiotika mit dem bekannten ototoxischen Potenzial zum Einsatz kommen, ist es wichtig, das Risiko für eine Aminoglykosid-induzierte Ototoxizität (AIO) so gering wie möglich zu halten. Eine Schlüsselrolle spielt hier die Mutation m.1555A>G im mitochondrialen Genom, die für eine ausgeprägte AIO prädisponiert. Bisher dauerte die Genotypisierung zum Nachweis dieser Mutation mehrere Tage, was in der akuten Situation nicht praktikabel ist. Ein Team um John Henry McDermott vom St. Mary's Hospital, Manchester, UK, beschreibt nun in »JAMA Paediatrics« ein Analyseverfahren, das ein Ergebnis nach etwa 30 Minuten liefert. Für den Nachweis bedarf es lediglich eines Wangenabstrichs.
Der Assay wurde im Rahmen einer pragmatischen Implementierungsstudie getestet. Insgesamt wurden 751 Neugeborene aus zwei Zentren in die Studie rekrutiert. Die Kinder waren bei der Rekrutierung im Mittel 2,5 (0 bis 198) Tage alt, das mittlere Gestationsalter zum Zeitpunkt der Entbindung betrug 37 Wochen. Insgesamt 526 Neugeborene (70 Prozent) erhielten im Rahmen ihrer Behandlung Antibiotika.
Den neuartige POCT konnte in der Studie in bestehende klinische Abläufe integriert werden. Die Genotypisierung war bei der Mehrheit der Neugeborenen erfolgreich, wobei die Zeit bis zur Antibiotikatherapie trotz der zusätzlichen Diagnostik der bisherigen Praxis entsprach. Nur 3,3 Prozent der Neugeborenen wurden nicht getestet. In den Fällen, in denen der Genotyp m.1555A>G identifiziert wurde, waren die behandelnden Ärzte in der Lage, diese Daten zu nutzen, um maßgeschneiderte Antibiotika zu verschreiben, wodurch bei drei Säuglingen, die ansonsten Gentamicin erhalten hätten, eine Antibiotika-induzierte Ototoxizität vermieden werden konnte.
Ausgehend von der Häufigkeit der m.1555A>G-Variante in der Bevölkerung und dem weltweiten Einsatz von Aminoglykosid-Antibiotika bei mehr als 7 Millionen Neugeborenen pro Jahr könnte die Einführung dieses Tests Tausende von Antibiotika-induzierten Ototoxizität-Fällen pro Jahr vermeiden, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen Aminoglykoside häufig verschrieben werden.