| Annette Rößler |
| 04.12.2025 08:00 Uhr |
Astrozyten tragen ihren Namen wegen ihres sternförmigen Aussehens. Sie zählen ebenso wie die Oligodendrozyten zu den Gliazellen. Wenn sie entarten, bilden sich Gliome. / © Getty Images/Ed Reschke
Gliome sind mit einer Inzidenz von 6 pro 100.000 Personen pro Jahr die häufigsten primären Hirntumoren. Sie werden abhängig vom Zelltyp, von dem sie ausgehen, unterschieden in Astrozytome, Oligodendrogliome und die seltenen Ependymome. Weiterhin findet eine Unterteilung in die Grade 1 bis 4 statt, wobei die Malignität mit steigendem Grad zunimmt; Gliome vom Grad 1 sind gutartig.
Grad-2-Gliome weisen häufig eine Mutation der Isocitrat-Dehydrogenase (IDH) 1 oder 2 auf. Die IDH ist ein Enzym des Citratzyklus, das normalerweise Isocitrat in α-Ketoglutarat umwandelt. Bei Vorliegen einer Mutation geht die Reaktion danach allerdings noch weiter bis zum 2-Hydroxyglutarat (2-HG). Dieser Metabolit akkumuliert im Gliomgewebe, hemmt diverse α-Ketoglutarat-abhängige Enzyme und führt so zu epigenetischen Veränderungen, die das Tumorwachstum begünstigen.
Vorasidenib (Voranigo® 10 mg/40 mg Filmtabletten, Servier) ist ein Inhibitor der mutierten IDH1 und IDH2. Er wird angewendet bei Patienten mit Astrozytomen oder Oligodendrogliomen vom Grad 2 mit einer IDH1-R132-Mutation oder einer IDH2-R172-Mutation. Durch die Gabe wird die abnorme Produktion von 2-HG gedrosselt, was zu einer Ausdifferenzierung der malignen Zellen und einer Verringerung der Proliferation führt. Die Anwendung ist auf erwachsene und jugendliche Patienten ab zwölf Jahren mit einem Körpergewicht von mindestens 40 kg beschränkt. Eine weitere Voraussetzung für die Gabe von Vorasidenib ist, dass die Patienten nach einer Operation nicht unmittelbar eine Strahlen- oder Chemotherapie benötigen.
Patienten nehmen einmal täglich eine 40-mg-Tablette Voranigo mit einem Glas Wasser ein. Die Anwendung sollte jeden Tag etwa zur gleichen Zeit mit einem Abstand von mindestens einer Stunde vor und zwei Stunden nach dem Essen erfolgen. Die Tabletten dürfen nicht geteilt, zerkleinert oder gekaut werden. Für eine möglicherweise erforderliche Dosisreduzierung stehen auch Tabletten à 10 mg zur Verfügung.
Notwendig werden kann eine Dosisreduktion vor allem aufgrund von hepatotoxischen Nebenwirkungen. Die Leberfunktion von Patienten muss engmaschig überwacht werden: Ein großes Blutbild einschließlich der Bestimmung der Leberenzyme ALT, AST, GGT und des Gesamtbilirubins sind vor dem Start einer Therapie mit Vorasidenib, während der ersten zwei Monate zweiwöchentlich, während der ersten zwei Jahre alle vier Wochen und anschließend nach klinischer Indikation vorgeschrieben. Hinweise aus Tierversuchen auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Leberkrebs bei langfristiger Anwendung von Vorasidenib konnten bei Menschen wegen fehlender Langzeitdaten noch nicht überprüft werden. Diesen Punkt wird man aber im Blick behalten müssen.
Stichwort Leberenzyme: Vorasidenib kann über die Cytochrom-P450-Enzyme CYP2B6, CYP2C8, CYP2C19 und CYP3A4 mit anderen Arzneistoffen interagieren. Die gleichzeitige Anwendung mit Substraten dieser Enzyme mit enger therapeutischer Breite sollte vermieden werden. Gleiches gilt für die Kombination mit starken CYP1A2-Inhibitoren. Wechselwirkungspotenzial besteht auch mit Substraten des Pregnan-X-Rezeptors (PXR) und des Brustkrebs-Resistenzproteins (BCRP), weil Vorasidenib diese ebenfalls beeinflusst.
Vorasidenib kann die Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva beeinträchtigen. Deshalb müssen Frauen im gebärfähigen Alter unter der Therapie und für mindestens zwei Monate nach der letzten Dosis zusätzlich mit einer Barrieremethode verhüten. Vorasidenib darf in der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Das Stillen sollte während der Behandlung und für mindestens zwei Monate danach unterbrochen werden. Männer sollten während der Behandlung und für mindestens zwei Monate danach kein Kind zeugen.
Wirksamkeit und Sicherheit von Vorasidenib wurden in der Phase-III-Studie INDIGO gezeigt, an der 331 Patienten teilnahmen. Diese erhielten 1:1-randomisiert und doppelblind einmal täglich entweder 40 mg Vorasidenib oder Placebo bis zum radiologischen Fortschreiten der Erkrankung oder einer inakzeptablen Toxizität. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war das radiologische progressionsfreie Überleben (PFS).
Das PFS betrug im Vorasidenib-Arm median 27,7 Monate und in der Placebogruppe 11,1 Monate. Bei 28 Prozent der Patienten in der Verumgruppe und bei 54 Prozent in der Placebogruppe wurde das PFS durch ein Fortschreiten der Erkrankung erreicht; kein Patient starb.
Die häufigsten Nebenwirkungen von Vorasidenib waren Erhöhungen der ALT-, AST oder GGT-Werte, Ermüdung und Durchfall. Sehr häufig traten zudem eine Verminderung der Thrombozytenzahl, Schwindel und Bauchschmerzen auf.
Der Wirkmechanismus von Vorasidenib ist nicht ganz neu. Auch das im Jahr 2023 auf dem deutschen Markt eingeführte Ivosidenib ist eine zielgerichtete Therapie für Patienten mit Isocitrat-Dehydrogenase-(IDH-)-mutierten Tumorerkrankungen. Während Ivosidenib beim Cholangiokarzinom und bei akuter myeloischer Leukämie (AML) zum Einsatz kommt, ist Vorasidenib eine neue Option bei bestimmten Hirntumoren. Als erste zugelassene zielgerichtete Behandlung von Grad-2-Gliomen mit einer IDH-Mutation darf es vorläufig als Schrittinnovation eingestuft werden.
Beide Wirkstoffe stammen aus dem Hause Servier. Dass das Unternehmen für die Indikation Hirntumoren Vorasidenib und nicht Ivosidenib gewählt hat, ist nachvollziehbar. Denn es weist im Vergleich zu Ivosidenib eine bessere ZNS-Gängigkeit auf. Ein weiterer Unterschied: Ivosidenib inhibiert nur die mutierte IDH1, Vorasidenib hingegen mutierte IDH1 und IDH2.
Die für die Zulassung ausschlaggebende Studie zeigt, dass der neue Wirkstoff die Verschlechterung des niedriggradigen Astrozytoms oder Oligodendroglioms verlangsamen kann. Aggressive Behandlungen, etwa eine Chemotherapie oder Strahlentherapie, können hinausgezögert werden. Für Betroffene, die bisher mit begrenzten Behandlungsmöglichkeiten nach einer Operation konfrontiert sind, ist das eine willkommene weitere Therapieoption.
Vorasidenib ist wirksam. Es gibt hinsichtlich Sicherheit aber auch einiges zu beachten. So ist dem Thema Hepatotoxizität in der Fachinformation ein separater Warnhinweis gewidmet. Regelmäßig sollten die Leberwerte geprüft werden. Auch das Thema Empfängnisverhütung wird explizit genannt. Tierexperimentelle Studien haben eine Toxizität für die embryo-fötale Entwicklung gezeigt.
Sven Siebenand, Chefredakteur