Neuer Checkpoint-Inhibitor auf dem Markt |
Annette Rößler |
24.09.2024 09:00 Uhr |
Nicht kleinzelliger Lungenkrebs (NSCLC) macht etwa 80 Prozent der Lungenkrebsfälle aus. Die jährliche Neuerkrankungsrate in Deutschland beträgt etwa 40.400. / Foto: Getty Images/Science Photo Library/Moredun Animal Health Ltd
Tislelizumab (Tevimbra® 100 mg Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Beigene) ist ein humanisierter monoklonaler Immunglobulin-G4-(IgG4-)Antikörper, der gegen das Oberflächenprotein Programmed Cell Death 1 (PD-1) auf T-Zellen gerichtet ist. Bindet einer seiner Liganden PD-L1 oder PD-L2 an PD-1, führt das zu einer Drosselung von T-Zell-vermittelten Immunreaktionen, unter anderem gegen Tumorzellen. Die Blockade von PD-1 beziehungsweise PD-L1 ist daher ein Ansatz, der in der Onkologie bereits breit genutzt wird, und es sind diverse Antikörperpräparate mit diesem Wirkmechanismus auf dem Markt. Nun also auch Tislelizumab.
Der Neuling hat folgende Indikationen:
In beiden Indikationen gibt es diverse Einschränkungen beziehungsweise Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Patient für eine Therapie mit Tislelizumab infrage kommt. Diese können etwa die Zytologie des Tumors (plattenepitheliales/nicht plattenepitheliales NSCLC), seinen Mutationsstatus (EGFR- oder ALK-Mutationen vorhanden Ja/Nein) und die PD-L1-Expression (≥ 50 Prozent der Tumorzellen) betreffen. Abhängig von diesen Bedingungen kann Tislelizumab als Monotherapie oder in Kombination mit Pemetrexed plus Platin beziehungsweise mit Carboplatin plus Paclitaxel/nab-Paclitaxel nach Vortherapien oder als Erstlinienbehandlung gegeben werden.
Empfohlen werden 200 mg Tislelizumab als intravenöse Infusion einmal alle drei Wochen. Wird der Checkpoint-Inhibitor am selben Tag wie eine Chemotherapie gegeben, soll er vor dieser infundiert werden. Bei einer Kombination mit einer Chemotherapie ist eine Prämedikation mit Corticosteroiden zur Linderung von Nebenwirkungen erlaubt. Generell können aber Corticosteroide und andere Immunsuppressiva die Wirkung von Tislelizumab beeinträchtigen, weshalb systemische Corticosteroide vor Beginn der Therapie höchstens mit 10 mg Prednisonäquivalent täglich angewendet werden sollten.
Die erste Infusion von Tislelizumab soll über einen Zeitraum von 60 Minuten laufen; bei guter Verträglichkeit können folgende Infusionen dann über 30 Minuten verabreicht werden. Eine Dosisreduktion bei Unverträglichkeit ist nicht vorgesehen. Beim Auftreten von schweren Toxizitäten soll die Behandlung gemäß Handlungsanweisung in der Fachinformation pausiert oder dauerhaft abgesetzt werden.
In puncto Sicherheit liegt bei Tislelizumab wie bei allen Immuntherapeutika ein besonderes Augenmerk auf immunvermittelten Nebenwirkungen, von denen praktisch alle Organe betroffen sein können und die potenziell tödlich verlaufen können. In den Zulassungsstudien traten unter einer Monotherapie mit Tislelizumab bei 1,2 Prozent der Behandelten tödliche Nebenwirkungen auf und unter einer Tislelizumab/Chemotherapie-Kombinationsbehandlung bei 1,6 Prozent.
Insgesamt war Anämie mit 29,2 Prozent unter Monotherapie beziehungsweise 88,3 Prozent unter Kombitherapie die häufigste Nebenwirkung und mit 5,0 Prozent auch die häufigste schwere Nebenwirkung einer Monotherapie. Bei der Kombitherapie waren andere Störungen der Blutbildung die häufigsten schweren Nebenwirkungen, nämlich Neutropenie (58,6 Prozent) und Thrombozytopenie (18,3 Prozent) gefolgt von Anämie (15,7 Prozent).
In der Schwangerschaft darf Tislelizumab nicht angewendet werden, es sei denn, dass der klinische Zustand der Frau es erforderlich macht. Während der Behandlung und für mindestens vier Monate im Anschluss daran sollen Frauen im gebärfähigen Alter eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Im selben Zeitraum soll auch das Stillen unterbleiben.
Die Wirksamkeit von Tislelizumab wurde in vier randomisierten Phase-III-Studien gezeigt: BGB-A317-304, BGB-A317-307, BGB-A317-303 und BGB-A317-302. Die Untersuchungen fanden größtenteils im asiatischen Raum statt, daher waren in den Studien -304 und -307 alle Patienten chinesisch und in den Studien -303 und -302 war der Anteil an asiatischen Patienten mit 79,9 beziehungsweise 80 Prozent sehr hoch.
An der Studie -304 nahmen 334 Patienten mit nicht plattenepithelialem NSCLC teil, die als Erstlinienbehandlung entweder Tislelizumab in Kombination mit Pemetrexed plus platinbasierte Chemotherapie (T-PP) oder ausschließlich Pemetrexed/Platin (PP) erhielten. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war das mediane progressionsfreie Überleben (PFS); dieses war unter T-PP mit 9,7 Monaten versus 7,6 Monaten unter PP signifikant länger. In einer Subgruppe von 110 Patienten, deren Tumorzellen eine PD-L1-Expression von ≥ 50 Prozent aufwiesen, lag das mediane PFS unter T-PP bei 14,6 Monaten und unter PP bei 4,6 Monaten.
Teilnehmer der Studie -307 waren 360 Patienten mit plattenepithelialem NSCLC, die Tislelizumab in Kombination mit Paclitaxel/nab-Paclitaxel plus Carboplatin (T+PC/T+nPC) oder Paclitaxel/Carboplatin allein (PC) als Erstlinientherapie erhielten. Primärer Endpunkt war auch hier das mediane PFS; es betrug 7,6 Monate unter T+PC und unter T+nPC sowie 5,4 Monate unter PC.
In der Studie -303 wurde Tislelizumab bei 805 NSCLC-Patienten als Zweitlinientherapie mit Docetaxel verglichen. Hier gab es einen dualen primären Wirksamkeitsendpunkt, nämlich das mediane OS in der Intention-to-treat-(ITT-)Analyse und bei denjenigen Patienten mit ≥ 25 Prozent PD-L1-Expression. Der Vorteil für Tislelizumab war mit 17,2 versus 11,9 Monaten in der ITT-Population beziehungsweise 19,3 versus 11,5 Monaten in der Subgruppe mit ≥ 25 Prozent PD-L1-Expression statistisch signifikant.
Studie -302 schloss 512 Patienten mit OSCC ein und verglich Tislelizumab in der Zweitlinie mit einer Chemotherapie nach Wahl des Prüfarztes (ICC), die entweder aus Paclitaxel, Docetaxel oder Irinotecan bestand. Im primären Endpunkt, dem medianen OS in der ITT-Population, erwies sich Tislelizumab gegenüber ICC mit 8,6 versus 6,3 Monaten als statistisch signifikant überlegen.
Tevimbra wird im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C und im Umkarton gelagert. Nach der Verdünnung mit isotonischer Kochsalzlösung ist die Infusionslösung für höchstens 24 Stunden stabil, wenn sie davon maximal 20 Stunden im Kühlschrank aufbewahrt wird.
Mit Tislelizumab steht eine neue Option für die onkologische Versorgung bei zwei Tumorarten zur Verfügung. Zukünftig könnten noch mehr hinzukommen, denn der Antikörper wird bei einer Reihe weiterer Krebsarten getestet.
Vorläufig ist der Wirkstoff allerdings als Analogpräparat anzusehen. Denn das Wirkprinzip des Checkpoint-Inhibitors Tislelizumab, der eine besonders hohe Affinität und Bindungsaffinität gegen PD-1 aufweist, ist keineswegs neu. Antikörper wie Nivolumab und Pembrolizumab funktionieren ebenso und sind schon seit fast einem Jahrzehnt im Handel. Zudem haben sie mittlerweile nicht nur die Zulassung bei Lungenkrebs und Speiseröhrenkrebs, sondern bei vielen anderen Krebsarten. Sie sind Tislelizumab also mehrere Schritte voraus. Der Neuling war in den Zulassungsstudien zweifelsohne wirksam, aber er wurde nicht gegen die anderen Checkpoint-Inhibitoren getestet.
Sven Siebenand, Chefredakteur