Neuer bispezifischer Antikörper beim Lymphom |
Kerstin A. Gräfe |
04.08.2022 07:00 Uhr |
Bispezifische Antikörper wie Mosunetuzumab erzwingen eine räumliche Nähe von Immun- und Tumorzellen, damit Letztere effektiver abgetötet werden können. / Foto: Getty Images/mirror-images
Das follikuläre Lymphom (FL) ist eine hämatoonkologische Erkrankung, die von häufigen Rezidiven geprägt ist. Mit jeder Therapielinie werden die progressionsfreien Intervalle kürzer und die verabreichten Medikamente verlieren an Wirksamkeit. Für die Drittlinie steht nun mit dem bispezifischen Antikörper Mosunetuzumab (Lunsumio® 1 mg/30 mg Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Roche) eine neue ambulant durchführbare Monotherapie zur Verfügung. Zum Einsatz kommt sie bei erwachsenen Patienten mit rezidivierendem oder refraktärem FL, die mindestens zwei vorherige systemische Behandlungen erhalten haben.
Mosunetuzumab ist ein vollständiger bispezifischer T-Zellen-rekrutierender Anti-CD20/CD3-Antikörper. Er wirkt als eine Art Brücke zwischen körpereigenen Abwehrzellen und bösartig veränderten B-Zellen: Einer der beiden Antikörper-Arme bindet spezifisch an das B-Lymphozyten-Antigen CD20 auf der Oberfläche maligner B-Zellen. Der andere Arm bindet das CD3-Antigen auf zytotoxischen T-Zellen. Die dadurch erwirkte räumliche Nähe begünstigt die effektive Abtötung der Krebszellen.
Mosunetuzumab wird intravenös verabreicht. Der Antikörper soll über acht Zyklen verabreicht werden, es sei denn, es kommt es zu inakzeptabler Toxizität oder Krankheitsprogression. Bei Patienten, die danach ein vollständiges Ansprechen erreichen, ist darüber hinaus keine weitere Behandlung erforderlich. Denjenigen Patienten, die nach den acht Zyklen ein partielles Ansprechen oder eine stabile Erkrankung erreichen, sollen neun weitere Behandlungszyklen (insgesamt 17 Zyklen) verabreicht werden. Auch hier gilt: Ausnahmen bilden eine inakzeptable Toxizität oder Krankheitsprogression.
Im ersten 21-Tage-Zyklus erfolgt die Gabe an den Tagen 1 (1 mg), 8 (2 mg) und 15 (60 mg), wobei die Infusionen jeweils über einen Zeitraum von mindestens vier Stunden zu verabreichen sind. Wenn diese gut vertragen werden, kann die Dauer der Infusionen in den nachfolgenden Zyklen auf zwei Stunden verkürzt werden. In diesen erfolgt die Gabe jeweils am ersten Tag (Zyklus 2: 60 mg; Zyklus 3 und folgende: 30 mg). Detaillierte Informationen zur Prämedikation bei Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) und infusionsbedingten Reaktionen sowie zu Dosisanpassungen finden sich in der Fachinformation.
Unter Lunsumio kann es zu einem teils lebensbedrohlichen CRS kommen. Anzeichen und Symptome umfassen Fieber, Schüttelfrost, Hypotonie, Tachykardie, Hypoxie und Kopfschmerzen. Die Patienten sind mindestens bis Zyklus 2 mit Corticosteroiden, Antipyretika und Antihistaminika vorzubehandeln. Vor der Verabreichung müssen die Patienten ausreichend hydriert werden und sind auf Anzeichen oder Symptome eines CRS zu überwachen. Sie sind ferner anzuweisen, sofort einen Arzt aufzusuchen, falls zu irgendeinem Zeitpunkt Anzeichen oder Symptome eines CRS auftreten.
Des Weiteren kann es während der Behandlung zu schwerwiegenden Infektionen wie Pneumonie, Bakteriämie, Sepsis oder septischem Schock kommen. Auch eine febrile Neutropenie ist möglich.
Lunsumio darf während aktiver Infektionen nicht verabreicht werden. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit rezidivierenden oder chronischen Infektionen in der Anamnese. Gleiches gilt für solche mit Grunderkrankungen, die für Infektionen prädisponieren können, oder bei Patienten, die zuvor eine intensive immunsuppressive Behandlung erhalten haben. Bei Bedarf können prophylaktisch antibakterielle, antivirale und/oder antimykotische Arzneimittel verabreicht werden. Die Patienten sind vor und nach der Gabe von Lunsumio auf Anzeichen und Symptome einer Infektion zu überwachen und entsprechend zu behandeln.
Unter Lunsumio sind Schübe der Tumorerkrankung möglich, die vermutlich auf den Zustrom von T-Zellen in die Tumorherde zurückzuführen sind. Spezifischen Risikofaktoren wurden nicht identifiziert.
Auch ein Tumorlysesyndrom (TLS) kann auftreten. Vor der Verabreichung müssen die Patienten ausreichend hydriert sein. Sie sind auf Anzeichen oder Symptome eines TLS zu überwachen und sollen bei Bedarf eine prophylaktische urikostatische Therapie wie Allopurinol und Rasburicase erhalten. Die klinische Chemie der Patienten ist zu überwachen und auffällige Laborwerte sind umgehend zu behandeln.
Während der Therapie mit Lunsumio dürfen keine Lebendimpfstoffe und/oder attenuierte Lebendimpfstoffe appliziert werden.
Der verschreibende Arzt muss mit dem Patienten die Risiken der Therapie besprechen. Ihm ist ein Patientenpass auszuhändigen und er ist anzuweisen, diesen stets bei sich zu tragen. Der Patientenpass beschreibt die üblichen Anzeichen und Symptome eines CRS und enthält Anweisungen, wann ein Patient ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen muss.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für mindestens drei Monate nach der letzten Infusion eine effiziente Kontrazeption anwenden. Der Einsatz des neuen Arzneimittels in der Schwangerschaft wird nicht empfohlen und das Stillen ist während der Behandlung zu unterbrechen.
Die bedingte Zulassung basiert auf den Daten der einarmigen, offenen Phase-Ib/II-Studie GO29781 mit 90 Patienten. Unter Lunsumio-Monotherapie zeigte sich ein objektives Ansprechen von 80 Prozent, wobei 60 Prozent mit einer kompletten Remission auf die Therapie reagierten und damit der primäre Studienendpunkt erreicht wurde. Ein tiefes Ansprechen auf die Behandlung wurde schnell erreicht (etwa nach 1,4 Monaten) und dauerte durchschnittlich 22,8 Monate an. 76 Prozent der Patienten mit einer kompletten Remission zeigten auch zwölf Monate später keine Progression der Krebserkrankung. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 17,9 Monate.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Neutropenie, Fieber und Hypophosphatämie. Ein CRS trat bei insgesamt 44,4 Prozent der Patienten auf, war in den meisten Fällen von milder oder moderater Ausprägung (Grade 1 oder 2) und überwiegend auf den ersten Zyklus beschränkt.
In den späteren Therapielinien des follikulären Lymphoms (FL) gibt es bisher keinen festen Standard. Das könnte sich dank Mosunetuzumab ändern. Es ist für die Drittlinie zugelassen, hat gute Ergebnisse hinsichtlich Ansprechen in der zulassungsrelevanten Studie vorzuweisen und kann als Therapiefortschritt und Schrittinnovation eingestuft werden.
Als T-Zellen-rekrutierender Anti-CD20/CD3-Antikörper liegt bei Mosunetuzumab ein neues Wirkprinzip zur FL-Therapie vor. Mit Spannung darf man auf weitere Studienresultate warten. Der Antikörper wird zum Beispiel in Kombination mit Lenalidomid auch ab der Zweitlinie bei FL untersucht. Ebenso wird Mosunetuzumab plus Polatuzumab Vedotin beim diffus großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL), der häufigsten Form der Non-Hodgkin-Lymphome, getestet. Gut möglich also, dass man von dieser Substanz in Zukunft noch mehr hören und lesen wird.
Sven Siebenand, Chefredakteur