Neuer Beleg für Epstein-Barr-Virus als Risikofaktor |
Theo Dingermann |
10.01.2024 14:00 Uhr |
Die Immunreaktion auf eine Infektion mit EBV läuft bei MS-Patienten im ZNS offenbar anders ab als in der Peripherie. / Foto: Adobe Stock/Musab (generiert mit KI)
Eine Infektion mit dem zu den Herpesviren zählenden Epstein-Barr-Virus (EBV) kann asymptomatisch verlaufen oder auch zu Pfeifferschem Drüsenfieber führen. Dass zwischen einer EBV-Infektion und der späteren Entstehung einer Multiplen Sklerose (MS) ein Zusammenhang besteht, wird immer offensichtlicher. Wie EBV die entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS) induzieren könnte, ist jedoch unklar. Zu den vorgeschlagenen Mechanismen gehören eine Kreuzreaktivität zwischen EBV-Antigenen und Strukturen im Gehirn (molekulare Mimikry), eine aktive EBV-Infektion im ZNS oder indirekte Auswirkungen der EBV-Infektion auf das Immunsystem, die die Autoimmunantworten verstärken.
Ein Autorenteam um Professor Dr. Assaf Gottlieb von der University of Texas in Houston veröffentlichte nun im Fachjournal »PNAS« neue Erkenntnisse zu dieser Frage. Die Forschenden konnten zeigen, dass expandierte T-Lymphozyten in der Zerebrospinalflüssigkeit von Patienten mit MS vor allem eine Spezifität für EBV-infizierte B-Zellen besitzen. Dagegen werden EBV-Antigene selbst deutlich weniger erkannt.
Zu diesen Ergebnissen kam die Gruppe, nachdem sie die Antigenspezifität der T-Zellen im Liquor von acht Patienten mit schubförmig-remittierender MS, vier Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen und vier gesunden Kontrollen (HC) untersucht und diese mit der Antigenspezifität der T-Zellen von peripheren Blutmonozyten verglichen hatte. Die Untersuchung von Liquor gestatte einen deutlich besseren Einblick in das Immungeschehen im ZNS als die Untersuchung von peripherem Blut, heißt es in der Publikation. Man könne davon ausgehen, dass die im Liquor vorhandenen B- und T-Lymphozyten die laufenden entzündlichen und regulatorischen Prozesse im Hirnparenchym am besten widerspiegeln.
Konkret entnahmen die Forschenden den Probanden am gleichen Tag Liquor und Blut und untersuchten aus diesen Proben die T-Zellrezeptoren bezüglich ihrer Spezifität gegen EBV, aber auch gegen andere Erreger wie Varizella-zoster-Virus (VZV), Influenzavirus und Candida. Dabei fiel auf, dass T-Zellen, die für EBV-infizierte lymphoblastoide Zelllinien (LCL) spezifisch waren, in Liquor und Blut etwa gleich häufig nachweisbar waren (13,0 beziehungsweise 13,3 Prozent der Sequenzanalysen). Demgegenüber waren T-Zellen, die eine Spezifität für VZV, Grippe oder Candida besaßen, im Liquor deutlich weniger häufig zu finden als im Blut.
Für Influenza und Candida sei das zu erwarten gewesen, so die Autoren, da generell angenommen werde, dass diese Erreger bei einer MS keine kausale Rolle spielen. Anders sieht das jedoch für VZV aus, das in der Fachwelt auch als möglicher Auslöser für MS diskutiert wird. Die Ergebnisse dieser Studie, nach der nur eine minimale Anzahl VZV-spezifischer T-Zellen im Liquor von MS-Patienten nachweisbar war, sprechen aber gegen eine kausale Rolle von VZV bei MS.
Bemerkenswert ist zudem, dass bei den MS-Patienten EBV-spezifische T-Zellen deutlich seltener vorhanden waren als T-Zellen mit einer Spezifität für Epstein-Barr-spezifische LCL. Dies wiederum deutet darauf hin, dass die Immunantwort, die eine MS auslösen könnte, vor allem von den mit EBV infizierten lymphoblastoiden Zelllinien und nicht vom infektiösen Virus selbst abgeleitet ist. Daraus lässt sich ableiten, dass das relevante Antigen wahrscheinlich ein EBV-Protein aus der latenten oder frühen lytischen Phase ist oder auch ein menschliches Protein, das in EBV-infizierten Zellen exprimiert wird.