Neuer Antikörper beim T-Zell-Lymphom |
Kerstin A. Gräfe |
29.06.2020 08:00 Uhr |
Sowohl bei Mycosis fungoides als auch beim Sézary-Syndrom sieht der Arzt im Blut des Patienten charakteristische entartete Zellen. / Foto: Shutterstock/Likoper
Mycosis fungoides (MF) und Sézary-Syndrom (SS) sind Subtypen des kutanen T-Zell-Lymphoms, einer seltenen Art des Non-Hodgkin-Lymphoms. Die entarteten T-Zellen exprimieren kontinuierlich das Protein C-C-Chemokinrezeptor 4 (CCR4), das es ihnen ermöglicht, vom Blut in die Haut zu gelangen. Dort können sie eine lokalisierte entzündliche Immunreaktion hervorrufen, die häufig zu sichtbaren Hautsymptomen wie roten Flecken oder Plaques führt. Je nach Stadium sind Haut, Blut, Lymphknoten und innere Organe von der Krankheit betroffen. In Europa gibt es bisher nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten.
Mogamulizumab (Poteligeo® 4 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Kyowa Kirin) ist indiziert zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit MF oder SS, die mindestens eine vorherige systemische Therapie erhalten haben. Der Antikörper bindet selektiv an CCR4. Nach der Bindung kommt es zur Aktivierung von natürlichen Killerzellen, die anschließend die Zerstörung der Zielzelle vermitteln.
Die empfohlene Dosis beträgt 1 mg pro kg Körpergewicht Mogamulizumab als intravenöse Infusion über mindestens 60 Minuten. Die Anwendung erfolgt wöchentlich an den Tagen 1, 8, 15 und 22 des ersten 28-tägigen Zyklus. Anschließend erfolgen die Infusionen alle zwei Wochen an den Tagen 1 und 15 jedes nachfolgenden 28-tägigen Zyklus bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder dem Auftreten inakzeptabler Toxizität.
Wirkmechanismus von Mogamulizumab: Durch die Bindung an den CCR4-Rezeptor lockt der Antikörper natürliche Killerzellen an, die die Krebszelle abtöten. / Foto: Stephan Spitzer
Für die erste Infusion wird eine Prämedikation mit einem Antipyretikum und Antihistaminikum empfohlen. Sofern eine Infusionsreaktion auftritt, ist die Prämedikation auch bei den nachfolgenden Infusionen zu verabreichen. Akute Infusionsreaktionen waren in den klinischen Studien zumeist mild oder mäßig ausgeprägt. Es gab aber auch einige Fälle schwerer Reaktionen. Abhängig vom Schweregrad der Reaktion soll die Therapie unterbrochen, angepasst oder abgesetzt werden. Das gleiche gilt für Fälle, in denen es infolge der Behandlung zu Medikamentenausschlag kommt. Die Fachinformation enthält hierzu detaillierte Anweisungen.
Unter der Behandlung besteht ein erhöhtes Risiko für eine schwerwiegende Infektion und/oder Virusreaktivierung. Die gleichzeitige Anwendung mit systemischen immunmodulierenden Arzneimitteln oder mit anderen zugelassenen Therapien für MF oder SS wurde nicht geprüft. Sie wird aber aber in Anbetracht des per se erhöhten Risikos für schwere Infektionen unter Mogamulizumab nicht empfohlen. Topische Steroide oder systemische Corticosteroide in niedriger Dosierung können während der Behandlung verwendet werden. Das Risiko einer schwerwiegenden Infektion und/oder Virusreaktivierung kann jedoch bei gleichzeitiger Anwendung von systemischen Immunsuppressiva erhöht sein. Vor dem Therapiestart sollten die Patienten auf Hepatitis-B-Infektion getestet werden.
Patienten mit rasch proliferierendem Tumor und hoher Tumorlast sind von einem Tumorlyse-Syndrom bedroht. Bei ihnen sollten insbesondere im ersten Behandlungsmonat Elektrolytstatus, Hydration und Nierenfunktion durch geeignete Labor- und klinische Tests engmaschig überwacht und nach bester medizinischer Praxis behandelt werden.
Gebärfähige Frauen und zeugungsfähige Männer sollten während der Behandlung mit Poteligeo und danach für mindestens sechs Monate eine wirksame Verhütung anwenden. Aus Vorsichtsgründen sollte eine Anwendung von Mogamulizumab bei Schwangeren vermieden werden. In den ersten Tagen nach der Geburt könnte der Antikörper in die Muttermilch übergehen. In diesem Zeitraum kann ein Risiko für das gestillte Kind nicht ausgeschlossen werden. Danach könnte Poteligeo laut Fachinformation bei klinischer Notwendigkeit während der Stillzeit eingesetzt werden.
Die Zulassung basiert auf der Phase-III-Studie MAVORIC an 372 Patienten mit MF oder SS. Sie erhielten randomisiert gemäß den jeweiligen Fachinformationen entweder Mogamulizumab oder Vorinostat (in Deutschland nicht zugelassen). Vorinostat-Patienten mit fortschreitender Erkrankung oder inakzeptablen Toxizitäten durften zur Mogamulizumab-Therapie wechseln. Als primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben definiert.
Mogamulizumab reduzierte im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie das Progressionsrisiko relativ um 47 Prozent: Mit dem CCR4-Antikörper behandelte Patienten lebten im Durchschnitt 7,7 Monate ohne Progress, die Patienten der Vorinostat-Gruppe dagegen nur 3,1 Monate. Die Gesamtansprechrate war mit 28,0 Prozent fast sechsmal so hoch wie unter Vorinostat mit nur 4,8 Prozent. Die Ansprechdauer wurde um fünf Monate verlängert (14 versus 9 Monate). Zudem verbesserte Mogamulizumab signifikant die Lebensqualität.
Die häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen waren Pneumonie, Fieber, Reaktionen im Zusammenhang mit der Infusion und eitrige Entzündungen der Unterhaut (Phlegmone). Als häufigste Nebenwirkungen traten Reaktionen im Zusammenhang mit der Infusion und Ausschlag auf. Diese waren zumeist nicht schwerwiegend (Schweregrade 1 oder 2).
Poteligeo ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C zu lagern.
Der neue Antikörper Mogamulizumab ist als Sprunginnovation einzustufen. Er ist zwar nicht der erste Arzneistoff für die Behandlung kutaner T-Zelllymphome und auch nicht für die Erstlinientherapie zugelassen. Interessant und innovativ ist aber seine Zielstruktur: der Rezeptor CCR4, der auf der Oberfläche maligner T-Lymphozyten überexprimiert wird und der über die vermehrte Bindung bestimmter Chemokine letztlich T-Zellen befähigt, vom Blut in die Haut zu wandern und damit für das Voranschreiten der Erkrankung von Bedeutung ist. Nach Binden von Mogamulizumab an den CCR4-Rezeptor werden natürliche Killerzellen aktiviert, die die Krebszellen zerstören. Es ist der erste Antikörper gegen diesen Rezeptor, der eine Zulassung als Arzneimittel erhielt.
Die MAVORIC-Studie war die größte Studie, die im Bereich der kutanen T-Zell-Lymphome durchgeführt wurde. Darin konnte Mogamulizumab das mediane progressionsfreie Überleben im direkten Vergleich mit Vorinostat mehr als verdoppeln. Vorinostat ist eine in den USA, aber nicht in der EU, genehmigte Behandlung für Mycosis fungoides und das Sézary-Syndrom. Da kurative Behandlungsoptionen bislang fehlen und therapeutische Möglichkeiten ohnehin nur beschränkt zur Verfügung stehen, stellt ein neuer Antikörper mit einem neuen Wirkprinzip einen echter Fortschritt dar, der für die Betroffenen als klinisch relevant einzustufen ist.
Sven Siebenand, Chefredakteur